Es gibt Jobs, die möchte man nicht für eine Million Euro haben. Zum Beispiel das Amt des Ministerpräsidenten von Niedersachsen. Amtsinhaber Stephan Weil (SPD) steht ohne Mehrheit da, und die ganze Republik fällt über ihn her, weil er eine Regierungserklärung zur Dieselkrise vom Volkswagen-Vorstand hatte gegenlesen lassen. Für viele umweltbewegte Normalbürger steht er jetzt da wie ein Handlanger der Autoindustrie, dem Automanager die Politik diktieren.
Weil hilft es wenig, dass die Kritik an ihm extrem unfair ist, besonders wenn sie von CDU und FDP kommt, die sich früher nicht minder eng mit Niedersachsens wichtigstem Unternehmen abstimmten. Das Bundesland hält nun einmal 20 Prozent an VW, deshalb sitzt Weil - wie seine Vorgänger - im Aufsichtsrat und muss VW-Interessen wahren. Erzählt er als Ministerpräsident Unsinn, kann er als Aufsichtsrat schnell in Konflikt mit dem Aktienrecht kommen. Ein gelegentlicher Faktencheck kann da nicht schaden.
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Mit einem Fünf-Punkte-Plan will der SPD-Kanzlerkandidat der Elektromobilität europaweit zum Durchbruch verhelfen. Zudem soll die Industrie die Hardware-Nachrüstung von Dieselautos bezahlen.
Das Problem in Niedersachsen ist nicht die redigierte Regierungserklärung Weils, es ist die Tatsache, dass Ministerpräsidenten aus Hannover überhaupt im Aufsichtsrat sitzen. Und damit ist man bei der Beteiligung des Landes an Volkswagen. Solange es diese gibt, sind Interessenkonflikte unvermeidlich. Der Ministerpräsident ist einerseits Teil des Staates, der über der Wirtschaft und damit auch über der Autoindustrie stehen muss. Gleichzeitig ist er Vertreter eines konkreten Autokonzerns und dessen Interessen verpflichtet. Zum Beispiel, wenn es um Stickoxid in Dieselabgasen geht. Das Problem ließe sich relativ einfach lösen - durch Privatisierung. Doch allein der Gedanke daran gilt in der niedersächsischen Politik als Komplott des neoliberalen Gottseibeiuns, und zwar bei allen Parteien. Als Christian Lindner von der FDP die Privatisierung forderte, bekam er Prügel von allen Seiten, auch von den eigenen Leuten in Niedersachsen.
Es wird also weiterhin Interessenkonflikte bei VW geben, auch wenn der Dieselskandal längst vergessen ist. Eine schöne Lektüre ist vor diesem Hintergrund "Der öffentliche Sektor", ein klassisches Lehrbuch der Finanzwissenschaft, das der Wirtschaftsprofessor und frühere SPÖ-Politiker Ewald Nowotny geschrieben hat (in Österreich kann man reichlich Erfahrung mit Staatsunternehmen sammeln). Heute ist Nowotny Gouverneur der Österreichischen Nationalbank. Eine der interessantesten Stellen in dem Buch ist die über die These von der "Ineffizienz öffentlicher Unternehmen". Bei diesen sei die "Zieldivergenz" zwischen Eigentümern und Managern größer als bei privaten, schreibt Nowotny. Das führe dann in der Praxis dazu, dass "in öffentlichen Unternehmen für das Management ökonomisch effizientes Verhalten weniger attraktiv (wird) als das Streben nach persönlichem Nutzen in Gestalt der Maximierung von Gehalt, Macht und Geltung". Bloßes Wachstum werde wichtiger als Effizienz. Nowotny lässt offen, ob er selbst an die Ineffizienz-These glaubt. Deren empirischer Gehalt variiere mit dem ökonomischen Umfeld, schreibt er.
Nun ist ja Volkswagen kein reines Staatsunternehmen. Der größte Teil der Firma gehört Porsche und dem Emirat Katar, die Aktie ist an der Börse notiert. Andererseits bildet der Staat mit der IG Metall eine Art großer Koalition, wodurch der Einfluss viel größer ist, als es der 20-Prozent-Anteil vermuten lassen würden. Und die bloße Empirie spricht bei VW für die These von der Ineffizienz. Es gibt Zieldivergenz - das Land will die VW-Jobs in Niedersachsen maximieren (und nicht anderswo); Wachstum ("größter Autobauer der Welt") ist wichtiger als Rentabilität, die Rendite niedriger als bei der Konkurrenz. Auch die Zögerlichkeit, mit der der VW-Aufsichtsrat personelle Konsequenzen aus dem Dieselskandal zieht, passt zu der These.
Wenn öffentliche Unternehmen in großen Dimensionen denken, wird es gefährlich
Nun gibt es ja in der Welt auch gut geführte öffentliche und schlecht geführte private Unternehmen. Wie überprüft man dann die Ineffizienz-These auf ihre Validität? Ein sehr gutes Kriterium dafür ist der Grad der Politisierung. Es gibt etliche Staatsunternehmen, die relativ unproblematisch sind. Die Versorgung einer Stadt mit Trinkwasser ist ein natürliches Monopol, das heißt: Wettbewerb beim Wasser ist nicht möglich, weil es viel zu teuer wäre, mehrere Wasserleitungen in jedes Haus zu legen. Daher sind Wasserwerke beim Staat gut aufgehoben. Politiker können mit einem Wasserwerk kaum Ziele verfolgen, die über den eigentlichen Unternehmensweck - Wasser zu liefern - hinausgehen. Es stört auch niemanden (außer vielleicht einige Konkurrenten), dass das Hofbräuhaus dem Freistaat Bayern oder die Brauerei Rothaus dem Land Baden-Württemberg gehört, solange die Unternehmen branchenübliche Renditen an die Staatskasse abliefern und daher nicht indirekt subventioniert werden.
Ganz anders sieht das mit der politisierten Bayerischen Landesbank und der seligen West-LB aus, die auf Rechnung des Staates Industriepolitik im großen Stil betrieben. Die Folgen haben die Steuerzahler Milliarden gekostet. Es ist sicher auch kein Zufall, dass die damals halbstaatliche Industriebank IKB das erste Opfer der Finanzkrise wurde. Wenn öffentliche Unternehmen anfangen, in sehr großen Dimensionen zu denken, dann wird meistens die Ineffizienz-These bestätigt. Und in diese Kategorie fällt auch VW.
Zum Glück ist der Autobauer eher die Ausnahme. Deutschland hat im Vergleich wenige Staatsunternehmen. Und das zahlt sich aus. Die Staatsgesellschaft Alitalia ist faktisch pleite. Die einst staatliche Deutsche Lufthansa dagegen wurde im Laufe der Zeit privatisiert - gegen den Widerstand von Franz Josef Strauß übrigens, einem Meister der Politisierung von Unternehmen. Heute ist sie ein gesundes Unternehmen.