Süddeutsche Zeitung

VW-Abgasskandal:Kronzeuge nach Deutschland überstellt

James Liang war der erste VW-Mitarbeiter, der wegen des Abgas-Skandals in einem US-Knast landete. Andere Angeklagte warten noch auf ihren Prozess.

Von Max Hägler, München, Claus Hulverscheidt und Stefanie Dodt, New York

James Liang ist ein kleiner, schmaler, feingliedriger Mann mit hoher Stirn und randloser Brille, eine Art Gegenentwurf gewissermaßen zu jenen lauten Managern, die in der Zeit des Diesel-Skandals das Sagen bei Volkswagen hatten. Er ist vor zwei Jahren der erste und bis dahin einzige VW-Mitarbeiter, dem man in den USA den Prozess machen kann. Als er Ende August 2017 im Justizgebäude der US-Auto-Metropole Detroit vor Richter Sean Cox sitzt, wirkt er auf dem schweren hölzernen Drehstuhl mit dem hellblauen Lederbezug regelrecht verloren. In der Zuschauerbank hinter ihm hält seine Frau die Hände der drei gemeinsamen Kinder und beginnt leise zu weinen.

40 Monate Haft und 200 000 Dollar Geldstrafe, lautet am Ende der Urteilsspruch. Liang, der deutsche Staatsbürger mit indonesischen Wurzeln, sei einer von mehreren "Verschwörern" gewesen, die mit ihrer Tat das Fundament des amerikanischen Wirtschaftssystems beschädigt hätten, sagt Cox. Als der Richter den Saal verlässt, umarmt Liang seine Frau und jedes einzelne seiner Kinder. Alle fünf haben Tränen in den Augen.

In Deutschland gibt es immer mehr Angeschuldigte. Aber noch keinen Prozesstermin

Nun dürfte sich das Leben des Mannes ein wenig erleichtern. Nach Informationen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR ist Liang nach Deutschland überstellt worden. Er war demnach am Montag in New York von zwei Polizeibeamten abgeholt worden und am Dienstag in Frankfurt gelandet. Nun soll der Ingenieur seine Reststrafe hierzulande absitzen. Sein Anwalt Gero von Pelchrzim, sagt, er hoffe, dass das letzte Drittel der Strafe für seinen Mandanten ausgesetzt werde. Damit könnte Liang bereits im Dezember freikommen.

Ein Kapitel schlösse sich dann in dem Dieselskandal. Bei anderen Beteiligten hingegen, Vorgesetzten und Topmanagern, steht das alles noch bevor: Ein Prozess, eine mögliche Verurteilung oder ein Freispruch. Die deutschen Staatsanwälte ermitteln weit umfangreicher als die US-Kollegen, und immer noch finden sich neue mutmaßliche Täter.

So bereitet die Staatsanwaltschaft Braunschweig offenbar Anklagen gegen sechs weitere frühere VW-Manager vor. Es handelt sich um hochrangige Ingenieure und Softwareentwickler, die ebenfalls in den Abgasbetrug verwickelt gewesen sein sollen. Den Recherchen von SZ, NDR und WDR zufolge hat das Landeskriminalamt Niedersachsen seine Ermittlungen gegen die Manager abgeschlossen. Die in den Abschlussberichten erhobenen Vorwürfe und die Beweisführung sind demnach nahezu deckungsgleich zu der Argumentation der Strafverfolger in den bereits angeklagten Fällen, darunter auch der des früheren VW-Vorstandschefs Martin Winterkorn.

Allerdings deutet derzeit vieles darauf hin, dass sich eine Prozesseröffnung weiter verzögern könnte. Das zuständige Landgericht Braunschweig hat bereits mehrmals die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft kritisiert und wichtige Inhalte in den Anklageschriften in Zweifel gezogen. Nun geht es um die Frage, ob die Angeklagten möglicherweise persönlich finanziell profitiert haben - in Form von Bonuszahlungen. Den Recherchen zufolge ist das Gericht der Auffassung, dass hierzu die bisherigen Ermittlungsergebnisse "nicht hinreichend aussagekräftig seien".

Zudem ist weiterhin unklar, wie viele Autos von dem Betrug betroffen sind. Laut den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft sollen es weltweit mehr als neun Millionen Fahrzeuge der Marken VW, Audi, Porsche, Seat und Skoda gewesen sein. Doch das Gericht hatte diese Zahl bereits vor Wochen angezweifelt und ein neues Gutachten gefordert.

Dieses will nun offenbar das Kraftfahrtbundesamt (KBA) gemeinsam mit einer Universität erstellen. Die Behörde hat offenbar erklärt, dass außer ihr niemand dazu in der Lage sei. Gegen dieses Vorhaben haben jedoch mehrere Verteidiger der angeklagten VW-Manager Widerspruch eingelegt. Ihrer Ansicht nach ist das Amt weder ausreichend kompetent für ein solches Gutachten, noch sei es unparteiisch.

Liang wird solche prozessualen Debatten wohl mit Unverständnis wahrnehmen. Er leitete im US-Testzentrum von VW das "Diesel-Kompetenzteam" - eine Abteilung, die nur aus ihm selbst bestand. Als die US-Umweltämter 2014 begannen, Verdacht gegen VW zu schöpfen, beteiligte sich Liang daran, den Abgasbetrug zu verschleiern. Anders als viele Kollegen blieb er jedoch in den USA, um an der Lösung der technischen Probleme mitzuwirken - was ihm schließlich zum Verhängnis wurde. Für eine eine Schlüsselfigur oder gar den Drahtzieher der Affäre hält ihn aber nicht einmal der US-Staatsanwalt, der ihn anklagte. Er beschrieb den Ingenieur vielmehr als "freundlichen Mann der leisen Töne", der zu seiner Verantwortung stehe und Innenansichten eines Konzerns geliefert habe, "der im Streben nach höheren Marktanteilen und Gewinnen seinen moralischen Anker verloren hatte". Gut möglich, dass er davon ebenfalls vor deutschen Gerichten erzählen wird: Auch in Deutschland wird gegen Liang wegen der Abgasaffäre ein Betrugsverfahren geführt - und er wäre allemal ein interessanter Zeuge.

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SZ vom 21.11.2019/mxh
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