Vorwürfe gegen Ökostrom-Unternehmen:Windreich soll lange vor Insolvenzantrag pleite gewesen sein

Windpark Alpha Ventus

Windpark in der Nordsee: Auch Windreich plante Großes. Geblieben ist davon vor allem der Verdacht auf Insolvenzverschleppung.

(Foto: dpa)

Schwere Vorwürfe gegen Ökostrom-Produzent Windreich: Mehr als 120 Millionen Euro hatte das Unternehmen bei Anlegern eingesammelt. Dann beantragte es Insolvenz - doch nach SZ-Informationen soll es schon gut zwei Jahre vorher zahlungsunfähig gewesen sein.

Von Markus Balser, Berlin

Flaute? Stillstand? Schon der Slogan von Windreich machte klar: Gründer Willi Balz war angetreten, das große Rad zu drehen: "Windreich - die Energiewender". Der Ökostrom-Pionier hatte sich zum Ziel gesetzt, zum großen Spieler auf dem deutschen Strommarkt zu werden - mit milliardenschweren Windparks auf hoher See. Sogar eine eigene Strommarke hatte die Firma in Planung, um Deutschlands Energiekonzerne anzugreifen.

Doch dann begann der Gegenwind. Der Sturm erreichte Windreich am 5. März des vergangenen Jahres, als drei Dutzend Fahnder am frühen Morgen die Zentrale und Privaträume von Managern filzten. 35 LKA-Ermittler und vier Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft Stuttgart nahmen fast 1200 Ordner mit. Der Verdacht: Insolvenzverschleppung, Kapitalanlagebetrug und Bilanzmanipulation. Seit der Aktion fragen sich Tausende Anleger, die Balz mehr als 120 Millionen Euro anvertraut haben, was dran ist an den Vorwürfen. Erst recht, seit die Firma im September 2013 tatsächlich Insolvenz anmelden musste.

Jetzt wird ein schwerer Verdacht laut: Insolvenzverwalter Holger Blümle stieß bei seinen ersten Recherchen offenkundig auf Erstaunliches: Windreich sei nach seinen Ermittlungen "spätestens im Oktober 2011 zahlungsunfähig" gewesen, heißt es im vertraulichen Entwurf des Insolvenzgutachtens, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Die Firma war nach vorliegenden Unterlagen "bereits über einen längeren Zeitraum vor der Insolvenzantragstellung zahlungsunfähig", urteilte Blümles Kanzlei Schultze & Braun Ende vergangenen Jahres. Nur eine Brückenfinanzierung und das Stillhalten ihrer Finanzierer habe sie überhaupt ins Jahr 2013 gerettet.

Die Kritik: Fehlendes Controlling und eine zweite Führungsebene

Ein Unternehmen, das trotz Zahlungsunfähigkeit beinahe zwei Jahre weiter macht und Anlegergelder einsammelt? Wie ist das möglich? Der Fall wäre wohl einmalig in der deutschen Wirtschaft.

Blümles Bestandsaufnahme ist eine heftige Kritik an jener Firma, die Milliardenprojekte stemmen wollte: Es fehle eine funktionierende Buchhaltung, ein Controlling und eine funktionierende zweite Führungsebene. Und: Das Gehaltsgefüge "war exorbitant hoch. Selbst normal qualifizierte Tätigkeiten wurden deutlich über den mir bekannten Marktpreisen honoriert". Privat- und Unternehmenssphäre von Balz und Windreich seien kaum getrennt gewesen. Auch im Vorfeld der Insolvenz seien "erhebliche Zahlungen wechselseitig zwischen Gesellschaften und auch aus der Privatsphäre von Herrn Willi Balz erfolgt", heißt es weiter.

Doch dass Balz immer wieder Geld nachschoss, half offenbar wenig. Der Verwalter notierte Ende Oktober 2013 eine "Liquiditätslücke von 98 Prozent". Verbindlichkeiten von 179 Millionen Euro standen dem Papier zufolge damals liquide Mittel von 4,2 Millionen Euro gegenüber. Wurden etwa Tausende Anleger an der Nase herum geführt? Gründer Balz widerspricht dem Verdacht vehement. "Wir waren zu keiner Zeit zahlungsunfähig", sagt Balz. "Wer tot ist, kann keine zwei Jahre weiterleben."

Flug nach Nirgendwo

Es liege am Geschäft von Windparkplanern, dass Durststrecken bis zum Verkauf eines Projekts überbrückt werden müssten. Er habe im Jahr vor der Insolvenz noch rund 30 Millionen Euro in seine Firma gesteckt, sagt Balz. "Für ein Pleiteunternehmen hätte ich das nicht gemacht." Aus seinem eigenen Vermögen habe er selbst dem Insolvenzverwalter schließlich auch noch jenen Vier-Millionen-Euro-Kredit zur Verfügung gestellt, der das Überleben der Firma nach dem Insolvenzantrag sichergestellt habe.

Die rätselhafte Pleite nimmt mit dem Verdacht immer groteskere Züge an. Insolvenzverwalter Blümle will die genauen Umstände der Pleite nun endgültig aufklären. Der Ausschnitt des Gutachtens sei als "vorläufig anzusehen", da "die genauen Berechnungen zum tatsächlichen Eintritt der Zahlungsunfähigkeit noch nicht abgeschlossen sind", erklärt Blümle. Nach Angaben der Kanzlei läuft die Prüfung noch. "Da sich mit der Frage, wann genau die Zahlungsunfähigkeit eingetreten ist, möglicherweise strafrechtliche Folgen für die Geschäftsführung ergeben, können wir uns hierzu öffentlich zum jetzigen Zeitpunkt nicht festlegen", teilt ein Sprecher mit.

Würde sich der Verdacht bewahrheiten, könnten für das Ex-Management von Windreich schwere Zeiten anbrechen. Balz hatte es geschafft, einige bekannte Köpfe an das Unternehmen zu binden. Etwa Walter Döring - der FDP-Politiker leitete einst das Wirtschaftsministerium in Baden-Württemberg. Bei Windreich war er bis Juni 2012 Vizevorstandschef.

Anfang 2013 überraschte Balz mit einer anderen Top-Personalie: Eine bekannte TV-Moderatorin wurde stellvertretende Aufsichtsratschefin. Nun könnte Ex-Managern und -Aufsichtsräten ein Nachspiel drohen. Blümle deutet im Gutachten an, möglicherweise Ansprüche gegen frühere Führungskräfte geltend zu machen, darunter auch Balz selbst. Zahlungen über mehr als 50 Millionen Euro seien auch nach Oktober 2011 aus dem Unternehmen erfolgt. Auch Ansprüche gegen Aufsichtsorgane schließt Blümle nicht aus.

In neuem Licht erscheint mit den Vorwürfen in jedem Fall der Verdacht, die Schweizer Traditionsbank Sarasin habe Anleger gar in Kenntnis einer Schieflage von Windreich in die Anleihen der Firma gedrängt. Sarasin hatte Windreich nicht nur millionenschwere Darlehen zur Verfügung gestellt, sondern auch den Verkauf der Anleihen forciert. Die Bank hatte sich zu den Vorwürfen nicht äußern wollen.

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