Vorstand soll nicht entlastet werden:Neue Vorwürfe bei Siemens

Im Korruptionsskandal bei Siemens liegen den internen Ermittlern neue Erkenntnisse vor, wonach Top-Manager bis in den Vorstand von schwarzen Kassen und Schmiergeldzahlungen gewusst haben sollen. Bis zur Aufklärung des Verdachts sollen die Aktionäre keine Vorstände entlasten - mit Ausnahme des neuen Konzernchefs Peter Löscher.

Markus Balser und Klaus Ott

Nach Angaben aus Konzernkreisen haben in den vergangenen Wochen mehrere Dutzend Beschäftigte Löschers Angebot genutzt, auszupacken und dafür von Schadensersatzforderungen oder Kündigungen verschont zu bleiben. Die Mitarbeiter hätten bei ihren Vernehmungen durch die US-Anwaltskanzlei Debevoise & Plimpton auch Vorwürfe geäußert, die bis in die Konzernspitze reichten. Es gehe um den Verdacht, Top-Manager bis hin zu Vorständen hätten in den vergangenen Jahren von schwarzen Kassen und Schmiergeldzahlungen gewusst und dieses System geduldet.

Debevoise ermittelt im Auftrag des Aufsichtsrats, wer in den Skandal verstrickt ist. Die US-Kanzlei teilte Aufsichtsratschef Gerhard Cromme am Mittwoch mit, man habe von Beschäftigten und aus anderen Quellen wichtige neue Informationen und "sehr substantielle Hinweise" erhalten. Das betreffe insbesondere "das Verhalten und die Kenntnisse einer Reihe von Personen", die in den vergangenen Jahren dem Vorstand angehört hätten oder ihm noch angehörten. Deren Namen wolle man aus mehreren Gründen derzeit nicht nennen. Das könne die Nachforschungen behindern, die gut liefen. Beinahe täglich gewinne man wichtige neue Erkenntnisse. Außerdem müsse man die Ermittlungsergebnisse abwarten.

Aktionäre sollen abwarten

Der Konzernvorstand und das Aufsichtsratspräsidium nahmen diese Mitteilung zum Anlass, ihre Vorschläge für die Hauptversammlung kommende Woche zu korrigieren. Entgegen den bisherigen Empfehlungen sollen die Aktionäre den Vorstand mit Ausnahme von Löscher doch nicht entlasten, sondern abwarten, bis der Skandal aufgeklärt ist. Darüber wird auch bei einer außerordentlichen Aufsichtsratssitzung am kommenden Montag gesprochen. Löscher kam erst Mitte 2007 zu Siemens und kann deshalb mit den früheren Machenschaften nichts zu tun haben. Löscher hat angekündigt, den Skandal vollständig aufklären zu wollen.

Neue Vorwürfe bei Siemens

Die Aktionäre treffen sich am 24. Januar in der Münchner Olympiahalle. Bislang liegt ihnen der Vorschlag vor, allen Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern des vergangenen Geschäftsjahres zu bescheinigen, ihren Job ordentlich erledigt zu haben. Nunmehr sollen elf aktive und vor allem ehemalige Vorstände doch nicht entlastet werden, darunter auch der vormalige Konzernchef Klaus Kleinfeld und sein Vorgänger Heinrich von Pierer.

Bei Pierer steht die Abstimmung über seine Arbeit auf der Tagesordnung, da er nach seiner Zeit als Konzernchef anschließend bis April 2007 den Aufsichtsrat geleitet hat. Bei den übrigen Aufsichtsräten soll am bisherigen Vorschlag festgehalten werden, sie entlasten zu lassen. Debevoise hat mitgeteilt, aus den neuen Erkenntnisse ergäben sich keine Vorwürfe gegen den Aufsichtsrat. Der geplanten Wiederwahl von Cromme und Josef Ackermann, dem Vorstandschef der Deutschen Bank, stehe nichts im Wege.

Klärung im Detail

Wird ein Vorstand nicht entlastet, dann hat das erst einmal symbolische Wirkung; auf lange Sicht könnte es Schadensersatzklagen erleichtern. Der Schmiergeldskandal hat Siemens bislang eine Milliarde Euro gekostet.

Aus dem Aufsichtsrat verlautete, man wolle bei allen Vorständen mit Ausnahme von Löscher die Entscheidung vertagen, damit keine Diskussion über einzelne Manager beginne. Würde man aufgrund der Informationen von Debevoise einzelne Vorstände herausgreifen, dann käme das einer Vorverteilung gleich. Die geplante Nicht-Entlastung bedeute auch nicht, dass die betreffenden Manager in den Skandal verstrickt seien. Die Anschuldigungen müssten erst im Detail geklärt werden, ehe man sich zu einzelnen Personen äußern könne. Kleinfeld und Pierer haben stets beteuert, von dem Schmiergeldsystem nichts gewusst zu haben.

Nicht entlastet werden sollen Klaus Kleinfeld (bis 30 Juni 2007 Konzernchef), Rudi Lamprecht, Eduardo Montes, Jürgen Radomski, Uriel Sharef, Klaus Wucherer (jeweils bis Ende 2007 im Vorstand), Joe Kaeser, Erich Reinhardt, Hermann Requardt und Heinrich Hiesinger (alle gegenwärtig Mitglied des Vorstands) sowie der frühere Aufsichtrats- und Vorstandschef Heinrich von Pierer.

Das Geschäftsjahr von Siemens weicht vom Kalenderjahr ab und endet bereits am 30. September. Deshalb müssen die Aktionäre auf der Hauptversammlung auch noch nicht über die Arbeit jener Vorstände abstimmen, die der Konzern seit Oktober 2007 ins Spitzenmanagement geholt hat. Neben Peter Y. Solmssen (verantwortlich für Recht und die Korruptionsbekämpfung) zählen dazu auch Personalchef Siegfried Russwurm und der neue Chef der Energiesparte Wolfgang Dehen.

Nachdem Debevoise in dem Brief an Cromme mitgeteilt hat, die zusätzlichen Erkenntnisse bezögen sich auch auf "gegenwärtige" Vorstandsmitglieder, dürfte das Spekulationen auslösen, welche der heutigen Top-Manager davon betroffen sind. Sollten die Aktionäre der neuen Empfehlung folgen, was sie in der Regel tun, dann muss der Konzern mit vier Vorständen weiterarbeiten, die nicht das ausdrückliche Vertrauen der Eigentümer haben. Finanzchef Kaeser, Medizintechnik-Chef Reinhardt und Technologievorstand Requardt gehörten schon dem Vorstand unter Kleinfeld an. Hiesinger kam zusammen mit Löscher in die Konzernspitze.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: