Vorsorge:Gewappnet gegen den Brexit

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Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: N/A)

Ob Großbrittanien in der EU bleibt, ist ungewiss. Firmen sollten für alle Fälle aber vorsorgen.

Von Christiane Kaiser-Neubauer

Der Ausgang ist noch offen, doch die Unsicherheit steigt. Immer mehr Wirtschaftsvertreter erwarten den Austritt Großbritanniens aus der EU. So auch heimische Unternehmer: 60 Prozent der Familienunternehmen und des Mittelstands halten laut einer Umfrage der Beratungsgesellschaft Pricewaterhouse Coopers (PwC) den Brexit für wahrscheinlich. Besorgt über das Ausscheiden einer der wichtigsten Handelspartner Deutschlands zeigt sich aber nur eine Minderheit. 21 Prozent der Befragten äußern Bedenken. Das Institut für Mittelstandsforschung (IfM) hingegen warnt. "Das mittelständische exportorientierte produzierende Gewerbe in Deutschland ist stark auf dem britischen Markt engagiert und würde daher besonders unter dem Brexit leiden", sagt Friederike Welter, Präsidentin des IfM. Handlungsbedarf für Unternehmer ist somit gegeben. Doch wie können sich Betriebe auf den Brexit vorbereiten, um drohende Umsatzeinbußen zu minimieren?

Erste unmittelbare Folge eines positiven Referendums am 23. Juni wäre der Absturz des britischen Pfundes, warnen Experten. Bereits im Vorfeld der Entscheidung hat der Euro in den vergangenen Monaten zum Pfund deutlich aufgewertet. Gegen ein schockartiges Szenario sollten Unternehmen mit intensiven Handelsbeziehungen nach Großbritannien gerüstet sein. "Bei Warenlieferungen nach Großbritannien empfehlen wir in nächster Zeit in Euro oder US-Dollar zu fakturieren", sagt Gunter Schaible, Abteilungsleiter International und Handel der IHK Aachen. Alternativ könnten Unternehmen das Währungsrisiko bei Banken etwa mit Termingeschäften absichern. In den kommenden Wochen ist allerdings mit einer Verteuerung der Konditionen für Währungsgeschäfte zu rechnen.

Entscheidend für die tatsächliche Belastung deutscher Exporteure sowie heimischer Unternehmer am Ort ist die konkrete Ausgestaltung der Handelsvorschriften zwischen EU und dem künftigen Drittstaat Großbritannien. Im schlimmsten Fall werden die Handelsbeziehungen zwischen den beiden Parteien nicht nach dem EWR-Abkommen, sondern durch einen völlig neuen Vertrag festgelegt. "Deutsche Produkte haben in Großbritannien einen sehr guten Ruf, und die Unternehmen gelten als zuverlässige Partner. Daran wird der Brexit nichts ändern", sagt Ulrich Hoppe, Geschäftsführer der Industrie- und Außenhandelskammer UK und meint: "Das Geschäft wäre künftig allerdings mit deutlich mehr Bürokratie und Kosten verbunden."

Konkret können Zölle und Zertifizierungsvorschriften sowie die Einschränkung der Arbeitnehmer- und Niederlassungsfreizügigkeit ab 2018 zu erheblichen Belastungen führen. "Wird der Marktzugang nach Großbritannien durch den Brexit erschwert, sind die deutschen Unternehmen gefordert. Sie müssen versuchen, den Kundennutzen ihrer Produkte zu erhöhen, um die steigenden Kosten auszugleichen", sagt Welter. Grund für schnelle Reaktionen gibt es angesichts der zweijährigen Übergangszeit bis zum tatsächlichen Ausscheiden der Briten sowie der Unkenntnis künftiger Wettbewerbsregeln nicht.

Einzige Ausnahme: Langfristige Kontrakte. Unternehmer müssen bei Verträgen, die vor dem 23. Juni verhandelt werden und langfristige Wirkung haben, entsprechend vorsorgen. "In Verträgen sollte geregelt sein, wer die Mehrkosten durch Einfuhrformalitäten und Zöllen trägt, der britische Geschäftspartner oder das EU-Unternehmen", sagt Schaible. Kritische Punkte sind mögliche Aufwendungen für Produktanpassungen und Zulassungsverfahren für den britischen Markt sowie generell die Frage der Rechtswahl im Vertragsrecht.

Um Überraschungen zu vermeiden, sollte man bestehende Verträge überprüfen

Sonderregelungen sollten besonders im großvolumigen Projektgeschäft oder bei Zukäufen mögliche Veränderungen durch den Brexit vertraglich abbilden. "In sogenannten MAC-Klauseln wird vor allem in Verträgen bei Unternehmenskäufen und -zusammenschlüssen dem Erwerber ein Rücktrittsrecht eingeräumt, wenn im Zeitraum zwischen Vertragsabschluss und tatsächlicher Durchführung des Vertrags ein nachteiliges Ereignis eintritt. Unternehmer sollten den Brexit vorsorglich als Kündigungsgrund definieren", sagt Manuel Koch, Partner der Steuerberatungsgesellschaft LKC International. Um keine Überraschungen zu erleben, ist es ratsam, auch bestehende Verträge mit britischen Geschäftspartnern zu prüfen.

Deutliche Geschäftseinbußen drohen nicht nur Exporteuren, sondern auch heimischen Betrieben mit Töchtern im Vereinigten Königreich. "Deutsche Unternehmen der Auto- und Maschinenbaubranche, die in Großbritannien für ihre globale Wertschöpfungskette produzieren, wären von den Folgen des Brexit mit am stärksten betroffen", sagt Hoppe. Günstige handels- und steuerrechtliche EU-Richtlinien für internationale Konzerne könnten in Großbritannien ihre Gültigkeit verlieren. In der Folge kann es zu Kapazitätsanpassungen sowie Investitionsverlagerungen in verbleibende EU-Staaten kommen. Ein Szenario mit direkten Auswirkungen auf mittelständische Zulieferer.

Experten raten, Investitionsentscheidungen für den britischen Markt erst nach dem Referendum zu treffen. Eine Empfehlung, die generell für alle deutschen Unternehmen am Ort, unabhängig von ihrer Zielgruppe, gilt. Ein Brexit würde spürbare Einbußen bringen. "Im Falle eines Austritts wird eine Eintrübung der britischen Wirtschaft erwartet, was dann zu sinkender Nachfrage, auch nach deutschen Produkten, führen kann", sagt Koch. Von einem völligen Marktrückzug als Reaktion auf ein positives Referendum raten Experten ab. "Der Brexit sollte Unternehmen nicht zur Entscheidung motivieren, ganz aus dem britischen Markt auszuscheiden. Schließlich ist Anpassungsfähigkeit traditionell eine große Stärke des deutschen Mittelstandes", sagt Welter.

© SZ vom 28.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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