Vorratsdatenspeicherung:Die Justizministerin trotzt dem Brüsseler Speichergebot zu Recht

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Die Frist der EU-Kommission ist ausgelaufen, eigentlich müsste Deutschland bald ein Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung vorlegen. Doch Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger hält dem Druck aus der eigenen Koalition stand - und zeigt eine politische Tugend, die in der aktuellen FDP-Spitze nicht üppig vorhanden ist.

Oliver Das Gupta und Johannes Kuhn

Die schlechte Nachricht des Tages für die FDP lautet: Sie bleibt auch in der aktuellen Forsa-Umfrage stabil unter fünf Prozent. Die gute Nachricht des Tages für die FDP: Sie hat Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Denn die Bundesjustizministerin und stellvertretende Parteichefin erreicht mit ihrer Haltung beim Thema Vorratsdatenspeicherung jene Bürger, die den Liberalismus längst in anderen Parteien suchen.

Die Ministerin weigert sich standhaft, die EU-Richtlinie aus dem Jahr 2006 umzusetzen, obwohl am Mittwoch die von der EU-Kommission gesetzte Frist zur Umsetzung auslief. Den Brüsseler Vorgaben zufolge müssen einige Kommunikationsdaten verdachtsunabhängig zwischen sechs Monaten und zwei Jahren gespeichert werden, um bestimmte Straftaten aufklären zu können.

Zu den Daten gehören bei Festnetz- und Mobiltelefonaten Telefonnummer von Anrufer und Angerufenem, Uhrzeit und Dauer des Gesprächs sowie bei Handygesprächen den Standort der Teilnehmer. Bei Internet-Surfern sind Online-Zugangsdaten wie IP-Adresse und die Anschlusskennung (Rufnummer oder DSL-Kennung) sowie Zeitpunkt und Dauer der Einwahl ins Netz betroffen. Im E-Mail-Verkehr fallen die IP-Adressen von Sendern und Empfängern unter die Speicherpflicht. In allen Fällen dürfen nur Informationen über die Kommunikation, nicht aber deren Inhalt gespeichert werden.

Das Bundesverfassungsgericht hatte im März 2010 die damals geltenden Gesetze zur Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig erklärt, die Speicherung von Verbindungsdaten ohne konkreten Verdacht an sich jedoch für rechtmäßig erklärt. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hatte selbst zu den erfolgreichen Beschwerdeführern gegen die Vorratsdatenspeicherungsregelung gehört.

Die Union erhöht den Druck

Seit vielen Monaten versuchen CDU und CSU ihrem Koalitionspartner FDP das Plazet für eine Neuauflage des Gesetzes abzuringen. Es ist eine Grundsatzfrage, bei der beide Seiten viel zu verlieren haben:

Auf der einen Seite die Union, die beim Thema Innerer Sicherheit unbedingt punkten will - auch, weil damit enttäuschte Konservative in der Partei bedient werden. Nachdem die SPD sich auch für eine eingeschränkte Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen hat, forciert die Union den Druck auf die FDP und verweist dabei inzwischen auf die rechtsextreme NSU-Mordserie.

Auf der anderen Seite die liberale Justizministerin, die beim Thema Bürgerrechteunbedingt punkten will. Dass sie auf die schwarz-rote Linie einschwenkt, ist äußerst unwahrscheinlich, wie ein Blick in die Vergangenheit belegt: Für ihre Überzeugungen trat sie bereits 1996 als Justizministerin zurück - nachdem ihre von den Wirtschaftsliberalen dominierte FDP beim Großen Lauschangriff umgefallen war.

Auch jetzt peinigt manchen FDP-Politiker die Vorratsdatenspeicherung nicht allzu sehr. Dennoch springen die in Wahlen und Umfragen arg ramponierten Freidemokraten der linksliberalen Ministerin demonstrativ zur Seite. Schließlich misst selbst die Piratenpartei Leutheusser-Schnarrenberger eine politische Tugend bei, die in der aktuellen FDP-Spitze nicht üppig vorhanden ist, aber für (Wahl-) Erfolge unerlässlich gilt: Man hält sie für glaubwürdig.

In der aktuellen Diskussion kommt der Justizministerin zugute, dass die Vorratsdatenspeicherung auch in anderen EU-Ländern umstritten ist: Wie in Deutschland kassierten auch in Rumänien und Tschechien die jeweiligen Verfassungsgerichte die Gesetze. Schweden weigert sich bis heute, die Richtlinie umzusetzen und wurde deshalb 2010 vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) verurteilt - ein ähnliches Verfahren droht nun Deutschland.

Weil das Stockholmer Parlament im März 2011 einen entsprechenden Gesetzesentwurf erneut ablehnte, hat die EU-Kommission inzwischen zum zweiten Mal Klage vor dem EuGH eingereicht. Die geforderten Strafzahlungen könnten bei einer Verurteilung von 9.500 auf 40.900 Euro pro Tag steigen.

Mit Cecilia Malmström ist es nun ausgerechnet eine liberale Schwedin, die als EU-Kommissarin für Innenpolitik die Umsetzung der Richtlinie einfordert. Anlässlich eines Evaluierungsberichts vom April 2010 ( pdf hier) erklärte Malmström, es gebe "Raum für Verbesserungen".

Richtlinie wird überarbeitet

Die Regelungen gelten nicht zuletzt deshalb als mangelhaft, weil EU-Gremien und die europäischen Staats- und Regierungschefs die Richtlinie vor sechs Jahren im Rekordtempo durchpeitschten, um nach den Terroranschlägen von London und Madrid Handlungsfähigkeit zu demonstrieren.

Es wird erwartet, dass Brüssel in einer Überarbeitung 2012 die Höchstspeicherfristen senkt, zudem könnten die rechtlichen Verfahren zur Datenabfrage klarer geregelt werden. Dass Malmström die Richtlinie für obsolet erklärt, ist allerdings nicht zu erwarten. So heißt es in dem Evaluierungsbericht vom April: "Die Bewertung hat insgesamt gezeigt, dass die Vorratsdatenspeicherung ein wertvolles Instrument für die Strafjustizsysteme und die Strafverfolgung in der EU ist."

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