Vorbilder:Albanien, Norwegen oder die Türkei?

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Die geplante Fusion der Londoner Börse mit der Deutschen Börse ist durch den Ausstieg der Briten aus der EU ins Stocken geraten. (Foto: Toby Melville/Reuters)

Worauf die Brexit-Verhandlungen hinauslaufen, ist nicht absehbar. Es gibt aber einige Vorbilder.

Von Björn Finke, London

Michael Gove erklärt Albanien zum Vorbild. Der britische Justizminister, einer der Vorkämpfer der Brexit-Kampagne, sagte vor dem Referendum, Großbritannien solle nach dem Austritt doch einfach ein Freihandels-Abkommen mit der EU abschließen, wie es Albanien oder die Ukraine haben. Für den Vergleich kassierte er einiges an Spott. Aber vielleicht laufen die Verhandlungen zwischen britischer Regierung und Brüssel am Ende auf ein ganz ähnliches Modell hinaus. Wie das Ergebnis aussieht, kann niemand wissen, weil die britische Regierung bisher selbst nicht weiß, was sie möchte. Klar ist, dass sich London und die EU an drei Vorbildern orientieren können.

Norwegen/Schweiz

Nikolaus von Bomhard, Chef des Rückversicherers Munich Re, hofft auf einen "soft Brexit". Damit meint er, dass Großbritannien nach dem Austritt ungehinderten Zugang zum gemeinsamen Binnenmarkt der EU haben soll. Dann wäre es für britische Unternehmen und Banken weiter möglich, ohne bürokratische Hürden oder gar Zölle Geschäfte auf dem Festland zu tätigen - und umgekehrt. Vorbild ist Norwegen. Das Land ist nicht in der EU, aber im Europäischen Wirtschaftsraum.

Doch hat die norwegische Lösung aus Sicht Londons gravierende Nachteile: So muss Norwegen viele EU-Regeln übernehmen, welche die Wirtschaft betreffen. Zugleich sitzen norwegische Minister nicht mit am Tisch in Brüssel, wenn neue Gesetze erlassen werden. Norwegen muss zudem Einwanderer aus der EU akzeptieren. Das ist der heikelste Punkt. Schließlich gewann die Brexit-Kampagne das Referendum mit dem Versprechen, nach einem Austritt wieder Kontrolle über die Grenzen zu haben. Die Skandinavier zahlen auch in den EU-Haushalt ein. Das Institut der deutschen Wirtschaft rechnet vor, dass auf Großbritannien ein Beitrag von fast fünf Milliarden Euro im Jahr zukommen könnte. Im Durchschnitt der Jahre 2010 bis 2014 waren es netto 8,5 Milliarden Euro.

Theresa May, die als Favoritin für die Nachfolge David Camerons gilt, sagte, sie werde bei den Verhandlungen Zugang zum gemeinsamen Binnenmarkt anstreben - doch nur, wenn trotzdem eine Begrenzung der Einwanderung möglich ist. EU-Vertreter beharren allerdings darauf, dass offene Grenzen für Waren und Dienstleistungen nur zusammen mit offenen Grenzen für Einwanderer zu haben sind.

Die Schweiz ist nicht Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums, hat allerdings in Verträgen ähnliche Bedingungen wie Norwegen ausgehandelt. Aber ausgerechnet die Banken können nicht ohne weiteres Geschäfte in der EU treiben. Sie brauchen eine Niederlassung und eine Lizenz in der Union - und wählen als Standort dafür oft London. Das Schweizer Modell würde der wichtigen Finanzbranche des Königreichs also nichts bringen.

Türkei

Die Türkei hat eine Zollunion mit der EU abgeschlossen. Handel ist ohne Zölle möglich, und auch die Zölle für Güter von außerhalb Europas und der Türkei sind einheitlich. Das macht Geschäfte einfacher. Der Haken: Die Vereinbarung deckt keine Dienstleistungen ab - schlecht für die Banken und Versicherer.

Freihandelsabkommen

Vertreter der Brexit-Kampagne wie Michael Gove oder Andrea Leadsom nennen als bevorzugtes Modell immer Freihandels-Abkommen. Die EU hat mit mehr als 50 Ländern solche Verträge geschlossen, darunter Staaten in der Nachbarschaft wie Albanien oder weit entfernte Länder wie zuletzt Kanada. Dank dieser Abkommen fallen keine Zölle mehr an beim Handel. Doch bürokratische Hemmnisse, etwa unterschiedliche Standards, bleiben. So ein Abkommen würde es den Londoner Banken auch nicht ermöglichen, weiter überall auf dem Kontinent ohne zusätzliche Genehmigungen tätig zu sein. Der Vorteil aus Sicht Londons ist, dass das Königreich befreit wäre von EU-Vorschriften und dem Zwang, Einwanderer zu akzeptieren.

Das wäre dann kein "soft Brexit", sondern ein "hard Brexit".

© SZ vom 08.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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