Süddeutsche Zeitung

30 Jahre Dax:Aktien bleiben für die Deutschen Teufelszeug

  • Der Dax ist allgegenwärtig, trotzdem konnte er die Deutschen nicht zu einem Volk von Aktionären machen.
  • Trotz des Booms in den vergangenen Jahren erinnern sich viele an ihre Verluste beim Platzen der Internetblase Anfang der 2000er.
  • Anlageexperten machen daher recht verzweifelt Werbung für den Deutschen Aktienindex.

Von Harald Freiberger

Frank Mella, 68, ist schon im Ruhestand, aber in diesen Tagen hat er noch mal gut zu tun. Ein Anruf: "Es geht nur kurz, ich muss gleich zu einem Fernseheinterview", sagt er, und hinterher sei es auch schlecht. Mella gilt als Vater des Dax, zum 30. Geburtstag ist er ein gefragter Mann.

Mella war von 1977 bis 1988 Redakteur bei der Börsen-Zeitung. In dieser Zeit entwickelte er einen Börsenindex, der sich aus den größten deutschen Aktiengesellschaften zusammensetzte, den BZ-Index. Die Deutsche Börse nahm ihn zum Vorbild, als sie 1988 einen eigenen Index einführte, den Dax.

Hat Mella eigentlich selbst finanziell von seiner Erfindung profitiert. "Ja", sagt er mit rheinischem Humor, "es gab bei der Einführung eine Flasche Sekt und ein Dankesschreiben von der Börsengeschäftsführung."

In den ersten Jahren war übrigens nicht absehbar, dass es der Dax einmal zu solcher Bekanntheit und Allgegenwärtigkeit bringen würde. Heute ist von ihm in jeder Nachrichtensendung die Rede. "Es ist unmöglich, ihm zu entgehen", sagt Mella stolz. In den Gründerjahren dagegen kannten ihn nur ein paar Experten. Börsenberichte waren damals noch bildhaft, oft gab es Vergleiche mit dem Dachs, dem Tier: "Der Dax verharrte in seiner Höhle", hieß es an handelsarmen Tagen.

"Zum fünften Geburtstag des Dax 1993 passierte überhaupt nichts", erinnert sich Mella - keine Feier, keine Erwähnung in der Presse, niemand nahm davon Notiz. Erst 1998, zum zehnten Geburtstag, veranstaltete die Börse eine kleine Festivität. Das war auch die Zeit, in der es mit dem Dax-Hype langsam anfing. 1996 ging die Telekom an die Börse und vermarktete die Anteile als Volksaktie. Es war der Auftakt zu einem nie dagewesenen Börsenboom. Befeuert wurde er von der Phantasie durch neue Technologien wie Internet und Biotech. Die Kurse schossen in die Höhe, und mittendrin immer der Dax und sein 1997 eingeführter Technologie-Abkömmling, der Nemax-50, der später in Tec-Dax umbenannt wurde. Es war die Zeit, in der die Deutschen sich bei Börsengängen um die Aktien von T-Online oder Infineon rissen. Binnen drei Jahren verdreifachten sich die Kurse, viele Bürger fühlten sich reich.

Es kam, was kommen musste: Die Blase platzte, von 2000 bis 2002 drittelten sich die Kurse. Hochgejubelte Firmen wie EM.TV stürzten ab und bescherten ihren Anlegern Totalverlust. Auf einmal fühlten sich die Deutschen wieder arm, die Dax-Kurve kündeten davon.

Es ist bis heute das prägende Ereignis für deutsche Anleger. Viele, die damals ein paar tausend Mark verloren haben, halten Aktien bis heute für Teufelszeug. Trotz seiner Allgegenwart hat es der Dax nicht geschafft, die Deutschen zu einem Volk von Aktionären zu machen. Irgendwie trauen sie ihm nicht mehr über den Weg, obwohl er ihnen jeden Tag begegnet. Die Anleger verharren in ihrer Höhle.

Seit 2008 hat sich der Wert des Dax fast vervierfacht

Das Deutsche Aktieninstitut (DAI), das von den großen Unternehmen im Dax finanziert wird, hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Aktienkultur in Deutschland zu fördern. Doch es bleibt ein zähes Unterfangen. Um das Jahr 2000 herum gab es schon einmal 13 Millionen Deutsche, die Aktien oder Aktienfonds besaßen. Das Platzen der Internetblase und die Finanzkrise von 2008 haben diese Zahl auf zehn Millionen schrumpfen lassen; sie ist seither auch nicht nennenswert gestiegen.

So ging der Börsenboom, der bereits seit zehn Jahren anhält, an den meisten Deutschen vorbei. Seit 2008 hat sich der Wert des Dax fast vervierfacht. Dabei gibt es kaum einen Anlageexperten, der Aktien nicht als wesentlichen Bestandteil für die Altersvorsorge empfiehlt. "Langfristiges Investieren zahlt sich aus: Wer vor 30 Jahren in den Dax investiert hat, erzielte seitdem eine ansehnliche durchschnittliche Rendite", sagt Florian Uleer, Deutschlandchef der Fondsgesellschaft Columbia Threadneedle. Ideal sei regelmäßiges Sparen, etwa über einen monatlichen Sparplan, möglichst nicht nur mit deutschen Aktien, sondern breiter gestreut.

Große Krisen wirken heute wie kleine Rückschritte

Das DAI wirbt mit einem "Rendite-Dreieck". Es zeigt, dass Anleger über längere Zeit im Durchschnitt jedes Jahr mit dem Dax eine Rendite von sieben Prozent einfahren. Wer 15 Jahre investiert blieb, hatte in der Vergangenheit praktisch kein Verlustrisiko mehr - trotz der Einbrüche nach der Internetblase und der Finanzkrise. Blickt man zum 30. Geburtstag auf den Kursverlauf des Dax, nehmen sich selbst die großen Krisen nur wie kleine Rückschritte auf einem langen, weiten Weg nach oben aus.

Das Problem ist grundsätzlicher Art. "Wir gehen sehenden Auges in eine Altersvorsorge-Krise, da die Zinsen auf lange Zeit niedrig bleiben werden", sagt Robert Halver, Chefökonom des Wertpapierhauses Baader. Er hat einen Geburtstagswunsch für den Dax: Die Politik müsse sich für die Aktienkultur einsetzen, zum Beispiel mit einem steuerlich geförderten Vermögensbildungsfonds, der nach dem Vorbild des norwegischen Staatsfonds stark aktienlastig sei. "Die Deutschen brauchen eine grüne Ampel, damit sie über die Straße gehen", sagt Halver.

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Quelle:
SZ vom 28.06.2018/been
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