Prozent. So viel zusätzliches Wirtschaftswachstum könnte die Europäische Union verzeichnen, wenn das Abkommen im geplanten Umfang in Kraft treten sollte. Das erwartet zumindest die EU-Kommission. Das ist nicht viel, zumal dieser Effekt erst vom Jahr 2027 an voll zum Tragen kommen soll. Andere Studien kommen dagegen zu weniger optimistischen Ergebnissen. All diese Vorhersagen sind jedoch mit Vorsicht zu sehen. TTIP ist so komplex wie kein anderes Freihandelsabkommen zuvor. Verlässliche Rechenmodelle gibt es also nicht. Trotzdem verspricht sich vor allem die deutsche Wirtschaft viel von dem Vertrag, etwa besseren Marktzugang in den USA und weniger Kosten durch gemeinsame Produktstandards. So wird das Beispiel einheitlicher Blinker in der Autoindustrie immer wieder genannt. Erfahrungen mit früheren Freihandelsabkommen zeigen, dass Wachstumseffekte oft erst nach mehr als zehn Jahren spürbar werden.
Menschen in Europa und den Vereinigten Staaten sind potenziell vom geplanten Transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP betroffen. Gelingt das Vorhaben, entsteht der größte Wirtschaftsmarkt der Welt. Im Fokus stehen dabei nicht in erster Linie Zölle oder Exportquoten. Die sind zwischen den USA und der EU bereits weitgehend abgebaut. Ziel ist vielmehr, Regulierungen, Standards und Gesetze in nahezu allen Bereichen der Wirtschaft und des öffentlichen Sektors anzugleichen. Entsprechend kompliziert sind die Verhandlungen. "Die nächsten Handelskriege werden nicht über Zölle geführt, sondern über Regulierungen und Standards", sagt EU-Handelskommissar Karel De Gucht. Ein solches Abkommen wird auf Drängen internationaler Konzerne bereits seit Mitte der Neunzigerjahre angestrebt. Auch auf politischer Ebene wird das Projekt stark gefördert. Dort glaubt man, dass Europa und die USA so ihre wirtschaftliche Vormachtstellung gegenüber aufstrebenden Mächten wie China leichter behaupten können. Voraussetzung ist aber, dass sich die Gesprächspartner einig werden. Und das wird nicht einfach werden, denn nicht nur Agrar- und Finanzthemen sind heftig umstritten. Ein Vertragsentwurf wird deshalb vermutlich frühestens Ende 2015 vorliegen.
Unterschriften aus sieben Ländern braucht die Europäische Bürgerinitiative ECI, um in Brüssel eine Anhörung zum geplanten Freihandelsabkommen zu erzwingen. Dieses Ziel werden die TTIP-Gegner vermutlich bald erreichen. Dann muss die EU-Kommission Stellung beziehen, und es kommt wohl auch zu einer Debatte im Europaparlament. Unter den Abgeordneten ist TTIP umstritten. Rechte, Linke und Grüne sind dagegen, die Konservativen dafür, die Sozialdemokraten gespalten. Kritiker fürchten, dass das transatlantische Abkommen vor allem den Interessen internationaler Konzerne dienen soll - und nicht den Bürgern. Ein Dauerärgernis ist für viele die Geheimniskrämerei, die von europäischen und amerikanischen Verhandlungsführern betrieben wird. Seit einem Jahr wird hinter geschlossenen Türen getagt, die Themenfelder sind zwar grob umrissen, doch es fehlen etwa Details zu bisherigen Verhandlungsergebnissen. Ob die Ängste und Vorbehalte gegen das Abkommen berechtigt sind oder nicht, lässt sich deshalb schwer sagen. Vor allem in Deutschland, Österreich, Frankreich und Luxemburg ist der Widerstand in der Bevölkerung gegen TTIP inzwischen sehr stark. In Großbritannien sowie den Ländern Süd- und Osteuropas herrscht dagegen Gelassenheit.
Mitgliedsländer haben der EU-Regierung ein Verhandlungsmandat gegeben. Kritiker des Abkommens fordern den Abbruch der Gespräche. Dass es so weit kommt, ist jedoch unwahrscheinlich, weil die meisten EU-Länder ein Abkommen mit den USA wollen. Strittig ist aber, was passiert, wenn der Vertrag fertig ist. Unklar ist, ob nur das EU-Parlament und die Regierungen oder zusätzlich die nationalen Parlamente zustimmen müssen. Das oberste EU-Gericht wird dies wohl klären müssen. Sollten die Richter feststellen, dass alle 28 nationalen Parlamente Ja sagen müssen, könnte es eng werden.
Euro Schadensersatz verlangt der schwedische Energiekonzern Vattenfall nach unbestätigten Angaben von Deutschland nach dem Atomausstieg. Grundlage dafür ist ein internationales Energie-Abkommen mit Investorenschutzklauseln. Auch in TTIP sollen solche Sonderrechte für Konzerne eingebaut werden. Für Kritiker zeigt das Vattenfall-Beispiel, wie große Firmen versuchen können, neue Gesetze, etwa für einen besseren Klima-, Umwelt-, Verbraucher- und Gesundheitsschutz, zu untergraben. Hier gibt es zum Teil große Unterschiede zwischen den USA und der EU. Beide Seiten wollen sich mit den TTIP-Gesprächen annähern. Kritiker befürchten, dass höhere Schutzstandards in der EU aufgeweicht werden könnten.
Eingaben aus der EU gibt es zu den geplanten Investorenschutzregeln (ISDS) - so viele Menschen, Verbände und Organisationen beteiligten sich an der Befragung der EU zu den geplanten Sonderrechten für Konzerne. Die Klauseln sind ein besonders umstrittener Punkt in den TTIP-Verhandlungen. Sie ermöglichen es Unternehmen, Staaten zu verklagen, wenn ihnen etwa ein Gesetz nicht passt und sie dadurch ihre Gewinne gefährdet sehen. Verhandelt werden sollen Fälle dann aber nicht vor öffentlichen Gerichten, sondern vor privaten Schiedsgerichten, die hinter geschlossenen Türen tagen. Setzen sich Großkonzerne mit Schadensersatzforderungen durch, müssten am Ende die Bürger, also die Steuerzahler, dafür aufkommen. Der Investorenschutz ist einer der Hauptkritikpunkte der TTIP-Gegner. Die Proteste waren so heftig, auch von der Bundesregierung, dass die EU-Handelskommission die Verhandlungen über das entsprechende Kapitel von TTIP für mehrere Monate aussetzte und eine Umfrage startete.
Prozent der in den USA angebauten Soja-, Mais-, und Zuckerrübenpflanzen sind gentechnisch verändert. Zu viel für den europäischen Geschmack. In Deutschland ist der Anbau verboten, 80 Prozent der Bürger sind gegen Gentechnik im Essen. Doch der Druck von amerikanischer Seite ist groß, die EU stärker für Agrarprodukte und Lebensmittel made in USA zu öffnen. Verbraucherschützer befürchten, dass Standards aufgeweicht werden und Produkte in die Supermärkte gelangen, die bisher in der EU nicht erlaubt waren. Andere Angstszenarien sind Chlorhühnchen und das Fleisch hormonbehandelter Rinder.
Unternehmen in der EU und den USA gehören der amerikanischen Botschaft in Berlin zufolge zum Mittelstand. Politiker auf beiden Seiten des Atlantiks betonen, dass kleine Unternehmen und Start-ups besonders von TTIP profitieren würden. Denn ohne Zölle und nervige Bürokratie werde es für sie leichter, Waren und Dienstleistungen zu exportieren. Auch als Zulieferer erhielten die Mittelständler zusätzliche Aufträge, wenn Großkonzerne wegen TTIP bessere Geschäfte machten, betonen die Lobbyisten in Brüssel. Diese Einschätzung wird jedoch nicht überall geteilt. Nur 15 Prozent der deutschen mittelständischen Unternehmen glauben laut einer Commerzbank-Umfrage, dass ihnen das Abkommen bessere Geschäfte bescheren wird.
neue Arbeitsplätze könnten allein in Deutschland entstehen, glaubt das Ifo-Institut - sofern sich Amerikaner und Europäer trauen, nicht nur Zölle abzubauen, sondern auch andere Handelshemmnisse: Zulassungsverfahren, Vorschriften über Normen und so weiter. Wie üblich sind die Amerikaner sogar noch optimistischer: Sie sagen, jede Dollarmilliarde zusätzlicher Exporte bringe fast 6000 Jobs; TTIP könne folglich insgesamt Millionen neuer Jobs schaffen. Beide Annahmen sind jedoch umstritten. Fest steht, dass durch TTIP ein Strukturwandel in Gang kommt, der in einigen Branchen Stellen kosten kann, während andere profitieren. Vor allem Gewerkschafter sehen bei TTIP eher Risiken als Chancen. Sie befürchten weniger Rechte für die Arbeitnehmer und Druck auf die Löhne - ohne dass all die Segnungen einträfen. IG-Metall-Chef Detlef Wetzel sagt: Da sei das Wetter für die Beschäftigung wichtiger als das Freihandelsabkommen.
regionale Freihandelsabkommen sind weltweit in Kraft. Geschlossen wurden sie zwischen zwei oder mehreren Staaten. Zu den bekannten Verträgen gehört das Nafta-Abkommen, das die USA, Kanada und Mexiko 1994 eingingen - und natürlich der Europäische Wirtschaftsraum (EWR). Solche Verträge haben in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen, weil die Bemühungen um ein globales Abkommen im Rahmen der Welthandelsorganisation WTO nicht vorankommen.
europäische Kulturminister haben in den Vorverhandlungen zu TTIP gefordert, die Kultur aus dem Freihandelsabkommen auszuklammern. Ihre Befürchtung: Die in Europa stark geförderte Kultur müsse sich bald auf dem freien Markt behaupten. Mit TTIP sollen jegliche Handelshemmnisse fallen, wozu Kulturschaffende auch die Buchpreisbindung, den verminderten Mehrwertsteuersatz oder Subventionen für Theater zählen. Durch die Initiative Frankreichs wurden audiovisuelle Medien von den Gesprächen ausgenommen. Die EU-Kommission hat dagegen mehrfach betont, die Kultur sei bei TTIP ausgeklammert. Aber deren Vertreter wollen, dass dies in den TTIP-Verhandlungspapieren schriftlich garantiert wird.