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Ursula von der Leyen auf dem SZ-Wirtschaftsgipfel:"Europa hat die Pflicht, ein gutes Vorbild zu sein"

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen äußert sich beim SZ-Wirtschaftsgipfel enttäuscht über die Klimakonferenz in Glasgow. Zugleich verteidigt die CDU-Politikerin die ehrgeizigen grünen Ziele der EU.

Von Björn Finke, Berlin

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat am Montag die Ergebnisse der Klimakonferenz in Glasgow als zu wenig ehrgeizig kritisiert. Das Resultat sei angesichts der drängenden Herausforderungen "gerade mal ein Zwischenschritt und nicht der große Erfolg", sagte sie beim Wirtschaftsgipfel der SZ in Berlin. Zu der Konferenz war von der Leyen per Video zugeschaltet. Zugleich verteidigte sie das ambitionierte Klimaschutz-Programm der EU.

Die CDU-Politikerin bezeichnete es als Enttäuschung, dass bei den Verhandlungen in Glasgow der weltweite "Kohleausstieg in allerletzter Minute nur zu einem Kohleabbau verwässert worden ist". Zudem würden die Industrieländer arme Staaten beim grünen Umbau der Wirtschaft nicht ausreichend finanziell unterstützen. Europa habe hier seine Versprechen erfüllt, "aber andere nicht".

Lobbyverbände warnen schon vor Nachteilen für Europas Unternehmen, wenn andere Wirtschaftsblöcke beim Klimaschutz langsamer voranschreiten als die EU. Wolfgang Große Entrup, der Hauptgeschäftsführer des Verbands der Chemischen Industrie, klagt, dass "viele Länder unbequeme Maßnahmen weiter in die Zukunft verschieben, während Europa den klimaneutralen Umbau der Wirtschaft bereits massiv vorantreibt". Die EU müsse nun "sicherstellen, dass die heimische Industrie während der Transformation nicht unter die Räder kommt". Auch Markus Beyrer, Generaldirektor des europäischen Unternehmerdachverbands Business-Europe, bemängelt, dass "wir in Glasgow einen Mangel an nationalen Zusagen von den größten Handelspartnern der EU gesehen haben".

"Gigantische Signalwirkung" für den Rest der Welt

Von der Leyen betonte aber bei der SZ-Konferenz, dass sich "aus dieser Vorreiterrolle eine große Chance für Europa und Deutschland" ergeben könnte. "Europa hat die Pflicht, ein gutes Vorbild zu sein", und wenn die EU beweise, dass man gleichzeitig wirtschaftlich prosperieren und das Klima schützen könne, würde das eine "gigantische Signalwirkung" für den Rest der Welt haben.

Die Deutsche verteidigte auch die geplante Verschärfung und Ausweitung des EU-Emissionshandelssystems - vor allem Letzteres ist sehr umstritten. Viele Industriebetriebe und Energieversorger benötigen seit 2005 Verschmutzungsrechte, wenn sie Klimagase in die Atmosphäre blasen. Die EU verknappt die Zahl dieser Kohlendioxid-Zertifikate, doch die Verschmutzungsrechte sind handelbar. Daher können Konzerne entweder in neue grüne Technik investieren oder überschüssige Zertifikate von Unternehmen kaufen, denen es leichter fällt, den Ausstoß an Treibhausgasen zu senken. Durch diesen Mechanismus werden die Einsparziele auf die effizienteste und billigste Art erreicht.

"Unfassbar perfide Vorgehensweise"

Die Kommission schlägt in ihrem umfassenden Klimaschutz-Gesetzespaket vor, das Emissionshandelssystem im Jahr 2026 auf Heizen und Verkehr auszuweiten. Dann müssten auch Verkäufer von Benzin oder von Öl und Gas zum Heizen Verschmutzungsrechte erwerben. Das würde die Preise für Verbraucher verteuern. Das halten zahlreiche EU-Regierungen für politisches Gift - und der Ärger der vergangenen Wochen über die hohen Strom- und Gaspreise bestärkt diese Zweifler. Von der Leyen sagte bei dem Wirtschaftstreffen, dass die Ausweitung von einem "verlässlichen sozialen Ausgleich begleitet sein" müsse. Die Kommission will einen Teil der neuen Zertifikate-Einnahmen aus Heizen und Verkehr nutzen, um einen Klimasozialfonds zu füllen. Der soll Regierungen dabei unterstützen, Härten abzufedern, etwa durch Zuschüsse für Wärmedämmung.

Von der Leyen äußerte sich ebenfalls zu der Flüchtlingskrise an der Grenze zwischen Belarus und Polen. Die EU-Außenminister machten am Montag bei einem Treffen den Weg frei für neue Sanktionen gegen das Regime von Alexander Lukaschenko in Minsk. Sie sagte, die EU habe "geschlossen und schnell" auf die "unfassbar perfide Vorgehensweise des Regimes Lukaschenko" reagiert. Sie kündigte zudem ein "Sicherheitspaket" an, "um den betroffenen Ländern noch stärker unter die Arme zu greifen".

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