Vom Start-up zur Firma:Nach der Pubertät

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Thomas Kirchner, einer der Gründer (links), und Vorstandschef Andreas König. (Foto: Simon Kiefer/OH)

Am Münchner Start-up Proglove lässt sich beobachten, was passieren muss, damit aus einem erfolgreichen Start-up ein erwachsenes Unternehmen wird.

Von Elisabeth Dostert, München

Der erste Eindruck täuschte gewaltig und beinahe wäre aus Andreas König, 53, und Proglove nichts geworden. Im Sommer 2018 besuchte König zum ersten Mal das Münchner Start-up, das zwar eigentlich Workaround heißt, aber vor allem unter dem Namen seiner ersten Produktfamilie bekannt ist: Proglove. Einer der Investoren hatte ihn darum gebeten. König sah sich die Produkte an: ein Scanner auf einem Handschuh oder einer Manschette. "Ob ich da noch ein zweites Mal hingehe?", überlegte König. "Doch je mehr ich drüber nachgedacht habe und gesehen habe, wie viel das Ding eigentlich kann, welche Technologien drinstecken, desto mehr habe ich gemerkt, das ist nur der Anfang ist."

Das Ding kann viel. Die Produkte von Proglove ersetzen in der Produktion und im Lager die herkömmlichen Scanner-Pistolen. Bei jedem Scanvorgang lassen sich so ein paar Sekunden sparen. In einem Werk summiert sich das schnell auf Tage und Wochen. Mehr noch: Die Produkte verbinden die Menschen mit den Dingen und Daten, solche Erfindungen machen das Internet der Dinge erst möglich. Ein Auslöser am Zeigefinger des Handschuhs oder der Manschette startet den Scanner. "Wir sind in der ganzen Welt eines der wenigen Unternehmen, das den Menschen im Fokus hat", sagt Mitgründer Thomas Kirchner, 33: "Wir stärken den Werker." Diese Philosophie gefiel König: "Die Daten müssen zu den Menschen kommen und nicht der Mensch zu den Daten. Mit Wearables landen sie direkt bei ihm."

Seit Anfang Dezember ist König nun Vorstandschef des Münchner Start-ups. Er hat Kirchner abgelöst, der sich seither um Produkte kümmert. "Und das macht er saugut", sagt König. Kirchner ließ sich gern ablösen. "Als Gründer haben wir Dinge gemacht, die gemacht werden mussten", erzählt er: "Einer musste CEO sein, einer musste sich um die Finanzen kümmern."

Proglove hat schon mehr als 10 000 Scanner gebaut und 100 000 Handschuhe verkauft

Die Geschichte des Münchner Unternehmens zeigt, wie ein Start-up erwachsen wird und welche Phasen es durchläuft. Königs Beobachtungen treffen auf viele junge Firmen zu. "Wenn man Unternehmen mit vier oder sechs Personen startet, dann ist das ein Haufen von Freunden, die sich zusammentun", sagt er: "Sie debattieren am liebsten die ganze Nacht und jeder will noch mehr recht haben. Keiner trifft Entscheidungen oder wenn, dann wenigstens einstimmig." Kirchner widerspricht nicht.

Er und Paul Günther, Jonas Girardet und Alexander Grots taten sich 2014 zusammen, um an einem Wettbewerb des Chipkonzerns Intel teilzunehmen. Das US-Unternehmen suchte neue Ideen für Wearables, also am Körper getragene Computersysteme. Aus einem Handschuh aus dem Baumarkt und einem alten MP3-Player bastelte das Team einen Prototyp und belegte im Wettbewerb den mit 150 000 Dollar dotierten dritten Platz. Erst danach gründete das Team das Start-up.

Um zu wissen, wie Unternehmer geht, nahmen die Gründer am Coaching-Programm Techfounders des Unternehmertum teil, des von Susanne Klatten gegründeten Zentrums für Innovation und Gründung in Garching. Im "Maker Space", der Werkstatt des Zentrums, haben die Gründer ihren ersten Handschuh gebastelt. Ein längst überholter Prototyp ist noch immer in einer Vitrine zu sehen.

Proglove ist eine von vielen erfolgreichen Gründungen aus der Unternehmertum, andere sind Magazino, es stellt Roboter für das Lager her, Konux, ein Anbieter von Lösungen für vorausschauende Wartung oder das mit mehr als einer Milliarde Dollar bewertete Daten-Start-up Celonis - ein sogenanntes Unicorn. 2018 begleitete und förderte das Zentrum nach eigenen Angaben rund 200 Start-up-Teams.

Die erste markttaugliche Version des Proglove-Handschuhs, das Modell Mark, kam im Herbst 2016 auf den Markt. Inzwischen gibt es den Mark 2. Seit der Markteinführung hat Proglove mehr als 10 000 Scanner gebaut und 100 000 Handschuhe ausgeliefert, der Umsatz liege in Millionen-Höhe. Zu den mehr als 400 Kunden zählen Firmen wie BMW, Kuka, die Lufthansa, VW und Ikea. "Wir basteln bereits an Prototypen von Handschuhen, die Fotos aufnehmen und sie auf größeren Displays darstellen können", sagt Kirchner. Damit könnten Lagerarbeiter beispielsweise beschädigte Lieferungen dokumentieren.

Nicht nur Kirchner sitzt jetzt am richtigen Platz, auch die anderen Gründer. Paul Günther etwa, der sich um die Technik kümmerte, darf jetzt wieder der Nerd sein. Und Geschäftsführer König hat noch mehr geändert. "Ich weiß, wie man große Deals macht. Das hatten sich die Gründer autodidaktisch beigebracht", erzählt er. Und die Entscheidungen erfolgten strukturierter. "Wir diskutieren immer noch bis aufs Messer. Aber jetzt haben wir jemanden, der unsere Meinungen sortiert und Entscheidungen trifft", sagt Kirchner. Umgezogen ist das Start-up auch, von einem Gebäude am Münchner Ostbahnhof in eine alte Fabrik von Siemens im Stadtteil Obersendling. Hier ist es heller und es gibt Platz zum Wachsen. Bis Ende 2019 soll die Zahl der Mitarbeiter von 130 auf 190 steigen.

Königs anfängliche Skepsis ist längst in Euphorie umgeschlagen. Er schwärmt: "Aus Proglove kann ein Unicorn werden." Mit solchen Fabelwesen, Investoren und Informationstechnologien kennt sich König aus. Bis Ende 2017 war er Chef der auf die Fernwartung von Computern spezialisierten Firma Teamviewer, auch ein Unicorn.

König dringt auf Wachstum. "Wir forcieren extrem die Entwicklung von Software", sagt er. Proglove soll nicht nur Handschuhe, Manschetten und Scanner liefern - schon diesen Markt schätzt König auf weltweit sieben bis acht Milliarden Dollar - sondern auch die Technik, um deren Daten besser auszuwerten. "Wir haben genügend Geld auf dem Konto um weiterzuwachsen", sagt Kirchner. Bei der Finanzierungsrunde im April 2018 holte sich Proglove 5,5 Millionen Euro, insgesamt sind es mittlerweile 7,7 Millionen Euro. Zu den Investoren zählen Intel Capital, Gettylab, Bayern Kapital und Deutsche Invest Capital Partners. Die Gründer halten rund die Hälfte des Kapitals. Wie hoch die Bewertung derzeit ist, wollen weder König noch Kirchner verraten. Noch ist Proglove kein Einhorn.

Was daraus einmal werden soll? "Eine Firma, die ein Standing hat und auf die wir stolz sein können", sagt König. Er schließt nichts aus, weder einen Börsengang, noch einen Verkauf, "wenn denn jemand käme, der uns das böte, was wir glauben, dass wir wert sind". Zum ersten Mal klingen König und Kirchner nicht wie zwei Männer auf der gleichen Linie. "Wenn wir es selber bauen können, machen wir es selber", sagt Kirchner. Er sagt, er sei zufrieden, und er wirkt auch so. "Ich stamme aus Ostdeutschland. Ich verdiene mehr, als meine Eltern je hatten. Meine Peak-Performance habe ich schon erreicht. Ich bin glücklich."

© SZ vom 14.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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