Vom Aussterben der Gasthäuser:Pasta statt Schweinebraten

"Die Leute fressen billigen Dreck und wundern sich, dass sie dick und krank werden", sagt Sternekoch Alfons Schuhbeck. Der Geiz hat einen hohen Preis.

Robert Lücke

"Was dürfen wir Ihnen denn Gutes tun?", fragt Birgit Müller. Der Gast ordert ein Menü: Duo von Thunfisch und Gänseleber mit Wasabi-Sorbet, Froschschenkel im Chorizo-Fumet, bretonischen Hummer, Kalbsrücken, dazu eine Flasche fränkischen Weißburgunder und spanischen Tempranillo-Rotwein, Mineralwasser und Kaffee.

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Was ist günstig, schnell, unkompliziert und dreht sich? Ein Running-Sushi-Restaurant in Berlin.

(Foto: Foto: dpa)

Das alles kostet für zwei Personen zusammen etwa 500 Euro im Restaurant "Dieter Müller" in Bergisch-Gladbach, einem von nur sechs Restaurants in ganz Deutschland, das drei Sterne im Michelin hat. Das ist also die Spitze, etwas für Liebhaber und ganz besondere Anlässe. Das andere Extrem ist der Alltag, und der sieht in Deutschland oft so aus:

Der Mitte geht es nicht gut. Sie wird immer schmaler

Die Wuppertaler Filiale "B7" des Sandwich-Giganten Subway ist recht klein und eher düster, die junge und sehr freundliche Bedienung in dem Lokal fragt : "Was möchten Sie essen?" Zur Auswahl stehen vier verschiedene Baguettesorten mit Sesam, Oregano, Weizen oder mit Honig. In schwarzen Plastiknäpfen liegt der Belag, Scheiben von Aufschnitt und Käse, Geflügelfleisch, Salate und verschiedene Gemüse. Am Ende kostet ein Baguette mit Hühnchen, Frischkäse, Scheibletten, Speck, Salat, Zwiebeln, Pepperoni und Honigsenfsauce 4,59 Euro.

Satt wird man, auf sehr unterschiedliche Weise, bei beiden, dem exklusiven, teuren und dem einfach-billigen. Zwischen Fastfood-Filiale und Spitzenküche liegen unzählige günstige, mittlere und teure gastronomische Betriebe, exakt sind es 189.000 Restaurants, Cafés, Eisdielen und Imbissstuben. Aber dieser Mitte geht es oft nicht gut. Sie wird immer schmaler.

Das liegt vor allem an den Gästen. Der Gast von heute ist ein schwieriger Patient: Er will Vertrautes, keine Experimente, aber trotzdem immer wieder etwas Neues. Es soll nicht teuer sein, am besten billig, trotzdem muss der Teller voll sein. Er will statt Kroketten lieber Tacos, aber wenn er Tacos bekommt, sehnt er sich nach Kroketten.

Der Geiz hat einen hohen Preis

Marktforscher fanden heraus, dass keine andere Nation in Europa so knausrig ist wie die Deutschen, wenn es ums Essen geht. "Die Leute fressen jahrzehntelang billigen Dreck und wundern sich nachher, wenn sie dick und krank werden", sagt der Sternekoch Alfons Schuhbeck.

Der Geiz hat auch noch einen anderen Preis: Seit 1992 ist die Zahl der Lokale in Deutschland um 20.000 zurückgegangen, mehr als sechs Prozent der knapp eine halbe Million Beschäftigten verloren in den vergangenen acht Jahren ihren Job. "Keine Branche in Deutschland reagiert so sensibel auf Konjunkturschwankungen", sagt Stefanie Heckel vom Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga). Wenn den Menschen weniger Geld im Portemonnaie bliebe, gingen sie seltener essen.

Pasta statt Schweinebraten

Die Jahre nach dem Zerplatzen der Börsenblase, die Zeit nach dem 11. September, die Angst vor Terror, aber auch Hartz IV und Arbeitslosigkeit verdarb vielen den Appetit. Doch selbst jetzt, in Zeiten des Aufschwungs, profitiert die Branche nur langsam: 2006 wuchs der Umsatz um magere 1,4 Prozent, immerhin das erste Plus seit 2002.

Aber davon profitieren vor allem große Marken wie McDonald's, Käfer, Starbucks oder Maredo - sie legten um satte 7,6 Prozent zu. Und, immerhin, die Pro-Kopf-Ausgaben in der Fullservice-Gastronomie sind von 2000 bis 2006 um zehn Prozent auf durchschnittlich 14 Euro gestiegen.

Vor allem die Franchise-Ketten profitieren

Grund also zum Jubeln? "Ja und nein", sagt Stefanie Heckel von der Dehoga, "die Ertragssituation ist nach wie vor extrem angespannt. Löhne und andere laufende Kosten setzen vor allem kleineren Betrieben sehr zu, und das Dorfgasthaus hat heute kaum noch eine Chance." Gewinner sind die Billigen, wie der Hamburger-Brater McDonald's mit mehr als 1.260 deutschen Filialen, die Restaurants von Ikea, unzählige Döner- und Pommes-Frites-Ketten oder eben der amerikanische Filialist Subway.

Als Fred De Luca 1965 in Bridgeport im Bundesstaat Connecticut seinen kleinen Sandwich-Shop "Super Submarines" eröffnete, konnte er noch nicht wissen, dass daraus vier Jahrzehnte später ein globaler Lebensmittelgigant werden sollte. Die Brote, die wie U-Boote geformt sind und den Sandwiches den Namen gegeben haben, verkauften sich so gut, dass es 20 Jahre später bereits 1.000 Subway-Schnellrestaurants gab, heute sind es weltweit 27.000 Filialen, alle im Franchisesystem betrieben.

Schnell, unkompliziert freie Auswahl und ein Erlebnis

Die Franchise-Nehmer müssen 12,5 Prozent ihres Brutto-Umsatzes an die Zentrale abführen. Das führt dazu, dass ein Drittel der Filialen in Deutschland am Existenzminimum kratzen oder zumindest unzufrieden mit den Erträgen sind, meint zumindest der Deutsche Franchise-Nehmer-Verband. Doch die Kunden schert das nicht.

In Deutschland eröffnete 1999 in Berlin das erste Lokal, inzwischen sind es mehr als 440, der Umsatz stieg 2006 um 113 Prozent. In den USA hat Subway sogar McDonald's überholt. "Das Erfolgskonzept ist einfach. Die Sandwiches werden individuell und frisch sofort vor den Augen der Kunden zubereitet", sagt Axel Roggmann von Subway. Im Schnitt gäben die Kunden 5,50 Euro aus und blieben 25 Minuten im Lokal. 60 Prozent nähmen ihr Essen mit.

Pasta statt Schweinebraten

Offensichtlich verlangen Verbraucher heute mehr als nur ein schnödes Angebot auf einer Speisekarte. Es muss schnell gehen, unkompliziert sein, sie wollen das Gefühl haben, frei wählen zu können - oder gleich noch obendrein unterhalten werden. Dieses Prinzip funktioniert auch außerhalb der Systemgastronomie, wie die Vielzahl der erfolgreichen Restauranttheater beweist. Sie werben mit zumeist prominenten Namen von Köchen wie Harald Wohlfahrt, Eckart Witzigmann oder Hans-Peter Wodarz.

Während man in Zelten oder Revuetheatern für durchschnittlich 120 Euro ein vermeintlich von dem jeweiligen Namensgeber zubereitetes Essen genießt (in Wahrheit kocht ein anderer), machen Travestiekünstler einen Kopfstand oder erzählen Witze. Der Gast will sich amüsieren, aber bitte nicht dauernd, kurzum: Er will alles und nichts und das gleichzeitig.

Wie aber kann man jemanden sättigen, der nicht genau sagen kann, worauf er eigentlich Hunger hat? Roland Adler sitzt in seinem Büro in Nürnberg, und mit der Maus klickt er sich kreuz und quer durch die deutsche Esslandschaft, die in Tabellen und Diagrammen versteckt ist. "Es muss schnell gehen, Zeit ist ein ganz wichtiger Faktor, und der Konsument will sehen, dass er etwas Frisches bekommt."

Um 19 Uhr noch frisches Brot vom Bäcker - das gab es früher nicht

Adler muss es wissen, er arbeitet beim Marktforschungsunternehmen npdgroup Deutschland, das Tausende von privaten Konsumenten in Tagebüchern aufschreiben lässt, was sie so alles einkaufen, essen und trinken, wo, wann, wie viel und warum. Er sagt, der ganze Markt sei inhomogen und nicht mehr so wie früher.

"Beim Bäcker in der Großstadt bekomme ich heute um 19 Uhr noch frisches Brot und Brötchen, früher waren da die Regale längst leer und der Laden zu." Und wer früher in der Betriebskantine zu Mittag aß, sucht heute neue gastronomische Konzepte, weil er dort für wenig Geld vielleicht oder tatsächlich Besseres bekommt.

Zudem ist Fast-Food heute derart gesellschaftlich akzeptiert, dass nur noch jeder siebte Deutsche behauptet, niemals in einem Fast-Food-Restaurant zu essen, wie das Marktforschungsinstitut AC Nielsen herausfand. Als wichtigsten Grund für einen Besuch nannten die meisten Befragten die "bequem zu erreichende Lage", das "vernünftige Preis-Leistungs-Verhältnis" - und die fehlende Zeit. "Insbesondere in Deutschland war Zeitmangel ein wichtiger Beweggrund und wurde von allen untersuchten Ländern am häufigsten angeführt", sagt Stefan Gerhardt von AC Nielsen.

Pasta statt Schweinebraten

Wie man dem schwierigen Gast gerecht werden kann, zeigt die Nudelkette Vapiano. Im Jahr 2002 in Hamburg gegründet, hat sie bereits 15 deutsche Filialen. Alle liegen im Zentrum von größeren Städten, meist in der Nähe von Bürohäusern mit vielen Menschen, die in der Mittagspause hungrig sind.

An jeweils mehreren Stationen werden in den Vapiano-Restaurants Nudelgerichte, Pizzen und Salate à la minute zubereitet oder teilweise Vorgefertigtes erwärmt oder ergänzt, jeder Gast holt sich sein Essen selbst ab und bezahlt es an einer zentralen Kasse. Der Großteil der Gerichte kostet zwischen 3,50 und 8,50 Euro. Schnell geht es aber nicht immer, zu Stoßzeiten stehen Gäste oft lange an. Weil Vapiano die Bedienung einspart, kommen die Kunden hier auf günstige Weise zu einem halbwegs passablen Essen, im Schnitt gibt der Kunde hier etwa zehn Euro aus.

Pasta und Pizza: Gut schmecken, wenig Kosten

"Heute hat kein Mensch mehr eine Stunde Zeit in der Mittagspause. Also geht er dorthin, wo er in einer halben Stunde eine Menge bekommt und erlebt", beschreibt Konsumforscher Adler diesen Trend. Vapiano selbst begründet den eigenen ökonomischen Erfolg so: Viele eilige Hungrige schätzten offensichtlich die "schnelle Selbstbedienung, die individuelle Zubereitung der Speisen vor den Augen des Gastes und eine bewusste Beschränkung auf Pasta, Pizza und die bunte Salatfrische".

Für das Unternehmen hat dies den Vorteil, die Kosten für Vorratshaltung gering halten und Branchenfremde schnell einarbeiten zu können. Genauso könnte man aber auch sagen: Hier braucht kein ausgebildeter Küchenmeister oder Geselle bezahlt werden, es reichen un- oder angelernte Kräfte. Hinzu kommt, dass Nudeln wenig kosten, was die Gewinnspanne erhöhen dürfte. Obendrein sind sie gerade beim großstädtischen Publikum beliebt, Nudeln machen schnell satt und haben ein positives Image - anders als etwa Eintopf mit Kartoffeln oder Schweinebraten.

Auf dem Land zum Chinesen oder Vietnamesen

Besonders schwer haben es deshalb jene Lokale vor allem auf dem Land, in denen es seit Jahren ein- und dasselbe zu essen gibt, Betriebe, die zu keiner Neuerung fähig oder bereit sind. Die einerseits eher konservative Klientel verlangt bei gleichbleibenden Preisen große Portionen, will aber dennoch durch Sonderangebote oder andere Aktionen bei Laune gehalten werden.

In vielen nord- und ostdeutschen Landkreisen können deshalb nur noch Chinesen und Vietnamesen in ehemals deutschen Gasthäusern ihre ländliche Kundschaft anlocken, oft mit Büffets zu Discounterpreisen. Doch die sind nur möglich durch Dumpinglöhne, die Hilfe der eigenen Familie - und den Einsatz billigster Ware.

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