Europa und China:"Wir sind zurück in den 1920er-Jahren"

Europa und China: "Ich hätte an mancher Stelle etwas diplomatischer sein müssen", sagt Håkan Samuelsson selbstkritisch.

"Ich hätte an mancher Stelle etwas diplomatischer sein müssen", sagt Håkan Samuelsson selbstkritisch.

(Foto: Nicolas Maeterlinck/imago images)

Håkan Samuelsson leitete zehn Jahre Volvo, den schwedischen Autobauer mit chinesischem Eigner. Jetzt wechselt er den Job - und sagt eher düstere Veränderungen in der Wirtschaft voraus.

Von Max Hägler

Das Bild ist stimmig, auch jetzt beim Jobwechsel. Die Video-Schalte läuft, "Hej!", sagt Håkan Samuelsson und hockt sich auf einen gemütlichen Sessel. Wenn Samuelsson sich noch weiter zur Kamera hinbeugt, was öfter passiert in der kommenden Stunde, dann schweben direkt über seinem Kopf drei große Design-Glühbirnen. Es sieht alles sehr Ikea-mäßig aus, auch der Manager, der Pulli über dem Hemd trägt. Und tatsächlich ist man ja nach Schweden geschaltet, zu der anderen großen Firma dort, die die Deutschen mit dem Land verbinden: Volvo.

Zehn Jahre hat Samuelsson den Autobauer geleitet und zu einem ernstzunehmenden Konkurrenten für die deutschen Premium-Hersteller gemacht: "Als Wettbewerber habe ich großen Respekt vor der Leistung von Håkan Samuelsson", sagt etwa Mercedes-Chef Ola Källenius. "Und als Schwede freue ich mich, dass eine der traditionsreichsten Marken aus unserem gemeinsamen Heimatland unter seiner Führung zu einer der progressivsten geworden ist."

In Göteborg sind Europa und China sehr eng verzahnt

Jetzt hat er der 71-Jährige die Führung an Jim Rowan übergeben und wird Aufsichtsratschef bei der E-Auto-Schwestermarke Polestar. Ein neues Kapitel, aber er wird weiter ein entscheidender Teil sein von einer der interessantesten Firmengruppen der Industrie weltweit. Kaum sonst irgendwo in der Wirtschaft sind Europa und China derart eng verzahnt wie bei ihm in Göteborg, was man allein schon an den Büros sehen kann: Neben den Firmenlogos oder auf den Türschildern von Volvo oder Polestar sind meist auch chinesische Schriftzeichen zu finden.

Zwar beteuert Samuelsson: "Volvo war und ist schwedisch", da gebe es nur wenige aus China gesandte Leute in Göteborg, "wenn dann vor allem im Finanzbereich". Tatsächlich aber sind die Eigentümerverhältnisse doch andere: Volvo gehört mehrheitlich zur Geely-Gruppe des Self-Made-Milliardärs Li Shufu. Genauso wie die Sportwagenmarke Lotus, die London-Taxis, Polestar - und auch zehn Prozent an Mercedes. Li gilt als ein so einflussreicher wie geheimnisvoller Unternehmer: Denn öffentlich erklärt sich der Mann, der mal als Fotograf und Kühlschrankverkäufer arbeitete, kaum.

Europa und China: Vom Fotografen und Kühlschrankverkäufer zum Self-Made-Milliardär: Konzerneigner Li Shufu (Mitte) im Jahr 2017 in Belgien.

Vom Fotografen und Kühlschrankverkäufer zum Self-Made-Milliardär: Konzerneigner Li Shufu (Mitte) im Jahr 2017 in Belgien.

(Foto: NICOLAS MAETERLINCK/AFP)

Dabei sei Li Shufu, so sagt Samuelsson, "für chinesische Verhältnisse sehr international". Der Mann arbeite "sehr strategisch", spiele die Rolle, die ein Eigentümer spielen müsse. Das Management dort sei "sehr fokussiert" auf Geschwindigkeit und funktioniere "sehr sehr hierarchisch". Was zu Reibungen geführt haben dürfte. Er habe viel mit Li diskutiert, sagt Samuelsson einerseits, "etwa zur Frage: Sollen wir alle Autos elektrifizieren?" Bei Werkseröffnungen schien das Diskutieren andererseits an ein Ende zu kommen: Da machte der Eigentümer durch sein Auftreten klar, wer das Sagen hat, man sah Samuelsson dann schon mit trotziger Miene. Er blieb sich insofern treu. Als er MAN-Chef war, da nannten sie ihn in München den "sturen Elch". Und er selbst sagt von sich mittlerweile: "Ich hätte an mancher Stelle etwas diplomatischer sein müssen."

Für einen Volvo reiche Tempo 180 völlig aus - das hat er echt mal gesagt

Wohl auch deswegen gelang Samuelsson jetzt nicht der Wechsel in den Aufsichtsrat der Firma, die er so geprägt hat: Die ganze Branche geriet in Aufregung, als er sagte: Tempo 180 reiche völlig, schneller dürften Volvos nicht fahren. Und groß waren die Schlagzeilen auch, als er vor Jahren - es war noch die Verbrenner-Ära - erklärte, ab 2030 würden nur noch rein elektrische E-Volvos gebaut. Bislang gibt allerdings nur einen reinen Elektro-Volvo, die große Umstellung kommt noch, auch da ist Samuelsson selbstkritisch: "Das hätten wir noch schneller auf den Weg bringen sollen." Genauso wie eine eigene Batteriefabrik, "denn die Batterietechnik ist doch nicht so austauschbar, wie wir in der Industrie lange dachten".

Zugleich ändere sich die Autoindustrie insgesamt, glaubt der Manager: "Wir werden nicht noch mehr Übernahmen sehen", denn die Industrielogik ändere sich durch die Elektrifizierung: "Wir sind zurück in den 1920er-Jahren!" Nun sei wieder die Zeit, in der auch Newcomer erfolgreich sein könnten, sagt Samuelsson, und nennt Nio aus China, Lucid und Rivian aus den USA und Polestar. "Diese Firmen haben keinen Rucksack, der sie zurückhält: Die haben keine Verbrenner-Fabriken, keinen umständlichen Vertrieb über Großhändler." Tatsächlich zeigt Samuelssons neuer Wirkbereich Polestar mit dem deutschen Vorstandschef Thomas Ingenlath, wie wertvoll sogenannte schlanke Strukturen sind: In dieses kleine Start-up hat nicht nur der Schauspieler Leonardo di Caprio investiert, es wird von Analysten vor dem anstehenden Börsengang auch ähnlich hoch bewertet wie die viel größere Traditionsmarke Volvo, die Samuelsson bereits im Herbst an die Börse hieven konnte.

Europa und China: Ein neuer Sprößling des schwedisch-chinesischen Konzerns: Der Polestar 2, der ohne das technische Knowhow von Volvo so gar nicht möglich wäre.

Ein neuer Sprößling des schwedisch-chinesischen Konzerns: Der Polestar 2, der ohne das technische Knowhow von Volvo so gar nicht möglich wäre.

(Foto: TOBIAS SCHWARZ/AFP)

Die Aktien sollen Geld bringen für den Technologiewandel und sie sollen aus dem Europa-China-Konstrukt einen Weltkonzern machen. Nachvollziehbar - und doch widersprüchlich. Denn eigentlich beobachtet auch Samuelsson den umgekehrten Trend. Immer lauter prangern westliche Politiker und Manager die Menschenrechtslage in China an. Samuelsson pflegt da eine pragmatische Haltung: "Ich glaube nicht, dass Sanktionen und Handelsabbrüche sinnvoll sind, um Länder zu bestrafen oder zu erziehen, die anders sind als wir", sagt er. "Das hat keine Wirkung." Der Westen müsse akzeptieren, mit Ländern und Kulturen zu arbeiten, "auch wenn wir nicht immer mit allem einverstanden sind". Die rote Linie für Samuelsson: Wenn ein Land einen Angriffskrieg führe, wie Russland jetzt.

Tatsächlich sei aber die Globalisierung insgesamt, "erst einmal zu einem vorläufigen Ende gekommen", befindet Samuelsson, und das sei erst der Anfang: "Wir werden eine Teilung sehen", glaubt der erfahrene Manager. Der Westen - also die USA und die EU - als Freihandelszone und dann China, das die "westliche Dominanz überwinden" wolle. "Big Blocks, das ist leider der Megatrend", nicht nur politisch, sondern auch in der Industrie, weil beide Seiten zunehmend mit Restriktionen arbeiteten: Der Westen liefert keine Software, der Osten hat ganz andere Standards, etwa beim Datenschutz. Entwicklungen, bei denen auch Göteborg kaum vermitteln kann.

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