Süddeutsche Zeitung

Volvo:Bei 180 ist Schluss

Volvo drosselt das Höchsttempo seiner Autos. Sicherheitsgründe sind dabei nur ein Argument, vor allem dürfte es um den Energieverbrauch gehen - und damit um die Reichweite künftiger Elektroautos.

Von Joachim Becker und Max Hägler

Es ist eine Nachricht, die im Hochgeschwindigkeits-Deutschland für Erstaunen sorgt. Autos der Marke Volvo sollen schon bald ein gutes Stück langsamer sein, zumindest in der Spitze. Kein Neuwagen der schwedisch-chinesischen Firma soll ab kommendem Jahr schneller als 180 Kilometer pro Stunde fahren können. Ein solches Tempolimit sei zwar kein Allheilmittel für sicheren Verkehr, sagt Volvo-Chef Håkan Samuelsson. Wenn dadurch aber auch nur ein Menschenleben gerettet werden könne, lohne sich der Schritt. Er wolle einen Meinungsaustausch darüber in Gang bringen, ob Autobauer das Recht oder sogar die Pflicht hätten, mit der Technik in den Autos das Verhalten ihrer Fahrer zu verändern. Null Verkehrstote ab 2020: Das Ziel der schwedischen Verkehrspolitik hat sich Volvo schon lange zu eigen gemacht: "Durch unsere Forschungen wissen wir, wo die Haupthindernisse auf unserem Weg zu unserem Ziel liegen, dass es zu keinen schweren Verletzungen oder gar Todesfällen in unseren Fahrzeugen mehr kommt", erklärt Samuelsson. Doch die Studie, auf die er sich stützt, sieht die Hauptursachen für schwere Unfälle nicht (allein) im schnellen Fahren: Laut der amerikanischen Behörde für Straßenverkehrssicherheit ist jeder vierte Unfalltote auf überhöhte Geschwindigkeit zurückzuführen. Besonders hohe Risiken bergen aber auch Trunkenheit am Steuer und Ablenkung des Fahrers. Zudem sind Statistikern zufolge nicht die ganz hohen Geschwindigkeiten das größte Problem: Von den mehr als 302 000 Unfällen mit Personenschäden, die sich im Jahr 2017 in Deutschland ereigneten, passierten nur 21 000 auf Autobahnen. Auch das ist fraglos zu viel, am gefährlichsten sind aber doch Städte und Landstraßen, wo niemand annähernd mit 180 fährt.

Ist das eingebaute Tempolimit also eine überzogene Maßnahme? Gar eine Spaßbremse oder, schlimmer noch, eine Form von Freiheitsberaubung? Schon um die Geschwindigkeitsbeschränkung innerorts auf 50 Kilometer pro Stunde tobte vor Jahrzehnten eine emotionale Debatte. Heute ist aus Gründen des Lärmschutzes vielerorts nur noch Tempo 30 erlaubt. Anfang des Jahres forderte eine Expertenkommission im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums ein Tempolimit auf Autobahnen als Maßnahme für den Klimaschutz. Auftraggeber Andreas Scheuer (CSU), war überhaupt nicht amüsiert: Der Bundesverkehrsminister sprach von einer Maßnahme "gegen jeden Menschenverstand".

Trotz hunderter PS fahren viele Tesla-Besitzer freiwillig 130 - um Energie zu sparen

Die Deutschen sehen das allerdings mehrheitlich wohl anders. Einer repräsentativen Befragung aus dem Jahr 2017 zufolge halten vier von fünf Deutschen ein Umdenken im Verkehr zugunsten des Klimaschutzes für nötig. 60 Prozent sprachen sich für eine reduzierte Höchstgeschwindigkeit aus. Frauen befürworten ein Tempolimit dabei mit 70 Prozent häufiger als Männer, bei denen es 50 Prozent sind. Auch das Alter spielt eine Rolle: Am geringsten ist Zustimmungsrate mit 35 Prozent bei jungen Männern unter 30. Die jungen Männer sind damit auf Linie mit der deutschen Autoindustrie, deren Neuwagen derzeit auf 153 PS unter der Haube haben. "Wir halten von einem Tempolimit nichts", sagt Deutschlands oberster Autolobbyist Bernd Mattes, Präsident des Branchenverbandes VDA in Genf. Erst vor wenigen Wochen hatte er vor einem "Kreuzzug gegen das Auto" gewarnt. "Wir alle machen PR", lautet übrigens die knappe Einschätzung von Daimler-Chef Dieter Zetsche zum Volvo-Vorschlag. Soll heißen: Die 180 km/h sind eine Methode, um Schlagzeilen zu machen. Das allein dürfte aber nicht der Antrieb sein für Volvo-Chef Samuelsson. Er hat verstanden, dass Autobahn-Duelle mit den Stromern keinen Sinn machen. Fahrzeugtaugliche Batterien können nur einen Bruchteil der Energie speichern, die in einen Kraftstofftank passt. Und der Fahrwiderstand steigt exponentiell mit der Geschwindigkeit - wer sehr schnell fährt, braucht extrem viel Energie. Reichweitenangst ist der Grund, warum viele Tesla-Fahrer freiwillig mit Autobahnrichtgeschwindigkeit unterwegs sind - obwohl sie Hunderte von PS unter der Haube haben. Übrigens hat auch Mercedes hat sein neues Elektroautos EQC bei 180 Kilometer pro Stunde abgeregelt - weil sich die Reichweite sonst schnell halbieren kann. Anders als der VDA meint, gibt es eine ganze Reihe von guten Argumenten für eine Deckelung der Höchstgeschwindigkeit, allen voran neue Technologien: Voraussichtlich im kommenden Jahr werden Autobahnassistenten auch in Deutschland zugelassen. Ein Hindernis für diese umsichtigen und kooperativen Roboter sind aber die menschlichen Raser auf der Autobahn. Wenn die Geschwindigkeitsdifferenz zu hoch ist, haben die Sensoren große Schwierigkeiten, von hinten herannahende Fahrzeuge sicher zu erkennen. Das verzögert die Entwicklung und macht sie unnötig teuer, statt die Unfallzahlen mit einer breiten Durchdringung der weiterentwickelten Abstandsassistenten zu senken. Aus dieser Perspektive wäre Höchsttempo 180 also ein sinnvoller Schritt. "Im Jahr 2030 wird die automobile Welt eine andere sein als heute", sagt übrigens auch Autolobbyist Mattes.

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SZ vom 06.03.2019
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