Süddeutsche Zeitung

Volocopter:Vier Minuten über Stuttgart

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Tausende Neugierige bestaunen ein Lufttaxi am Himmel. Am Boden wird unterdessen die Akzeptanz abgefragt.

Der Aufwand ist riesig. Der Autobauer Daimler hat eine große Event-Arena aufgebaut, Tausende Neugierige bevölkern den Vorplatz des Mercedes-Museums in Stuttgart. Der Höhepunkt der Veranstaltung am Samstag dauert dann ganze vier Minuten: Ein elektrisch betriebenes Lufttaxi fliegt erstmals unbemannt in einer europäischen Stadt. Für Daimler-Chef Ola Källenius ist es "ein neues Kapitel der Mobilitätsgeschichte". Ganz nebenbei ist es auch eine perfekt inszenierte PR-Veranstaltung, um die Akzeptanz des neuartigen Fluggeräts zu testen - und zu steigern.

Der Volocopter ist eine Mischung aus Drohne und Hubschrauber. Die Sitzplätze bleiben an diesem Samstag aber leer, aus Sicherheitsgründen. Gesteuert wird das Gerät von einem Piloten auf dem Boden via Fernbedienung. Für den Auftrieb sorgen 18 Rotoren, die in einem Kranz über der Passagierkabine installiert sind. Der Volocopter surrt verhältnismäßig leise, viel leiser als ein herkömmlicher Hubschrauber. In Stuttgart fliegt das Gerät in etwa 50 Metern Höhe ausschließlich über einer menschenleeren und gut bewachten Sportanlage - mit großem Sicherheitsabstand zum Publikum. Noch herrscht große Distanz zwischen den Lufttaxis und den Menschen. Immerhin: Als der Volocopter wieder landet, kommt Applaus auf.

Volocopter-Chef Florian Reuter bedankt sich via Großbildleinwand bei allen Beteiligten und kündigt an, er wolle weltweit der erste sein, der eine Zulassung für einen kommerziellen Lufttaxi-Betrieb erhalte. In "zwei bis drei Jahren" solle es soweit sein. Neben Volocopter tüfteln andere Unternehmen wie Airbus, Lilium oder Ehana an Flugtaxis, auch sie haben erste Testflüge absolviert. Die neue Technologie tastet sich langsam vor, Hopser für Hopser in die Städte sowie in die Köpfe der Menschen. 2017 absolvierte Volocopter den ersten unbemannten Testflug über bewohntem Gebiet: Das Gerät war acht Minuten in Dubai City in der Luft.

Volocopter wurde vor sechs Jahren in Bruchsal bei Karlsruhe gegründet, inzwischen haben der Autohersteller Daimler und dessen Großaktionär Geely aus China Anteile an der Firma erworben. "Ich bin überzeugt, dass der Volocopter bald die Stauprobleme auf spezifischen Strecken lösen kann", sagt Daimler-Chef Källenius in Stuttgart. Demnächst sollen weitere Tests in Singapur stattfinden.

Wann und wo die ersten Flugtaxis über Städten regulär unterwegs sein werden, ist aber noch offen. Für Ola Källenius und andere Befürworter sind Lufttaxis die klimafreundliche Lösung vieler Verkehrsprobleme in Innenstädten - andere sehen in ihnen eher weitere Störenfriede, deren Auswirkungen auf die Umwelt nicht zwingend positiv sind. Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann zeigte sich aber sehr angetan von dem Volocopter: "Natürlich wäre das auch für mich ein optimales Gerät", sagte er am Samstag in Stuttgart. Er könne sich angesichts seines Zeitdrucks "absolut vorstellen" solche Lufttaxis zu nutzen. Immerhin werden sie elektrisch angetrieben, sind also lokal emissionsfrei.

Ob die Menschen der neuen Technik - vor allem autonom gesteuert ohne Pilot - auch vertrauen werden, ist noch offen. Dieser und weiteren ähnlichen Fragen ging die Stuttgarter Hochschule für Technik vor und während des Testflugs am Samstag in einer Umfrage nach. Die Forscher wollen auch herausfinden, welchen Preis die Menschen für einen 15-minütigen Taxiflug von der Innenstadt zum Flughafen Stuttgart akzeptieren würden. Erste Ergebnisse sollen im Oktober veröffentlicht werden.

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Quelle:
SZ vom 16.09.2019
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