Als Dirk Hoke vor gut zwei Jahren als Chef der Airbus-Verteidigungssparte aufhörte, wagte er einen ungewöhnlichen Schritt. Statt in den Vorstand eines anderen großen Konzerns zu wechseln, wurde er Chef eines kleinen Start-ups in Bruchsal, das elektrische Fluggeräte entwickeln wollte – Volocopter. Es lockte die Idee, etwas ganz Neues aufzubauen in einer Branche, in die Investoren weltweit zeitweilig Milliarden pumpten.
Ziemlich genau zwei Jahre später kündigten Hoke und Volocopter am Dienstag das Ende ihrer Zusammenarbeit an. Der Volocopter-Chef wird noch bis Ende Februar im Haus sein. Wohl auch, um das Vertrauen in die Zukunft des Unternehmens nicht zu sehr zu beschädigen, übernimmt der ehemalige Daimler-Chef Dieter Zetsche den Posten des Beiratsvorsitzenden. Bislang war er in dem Gremium einfaches Mitglied. Hoke ließ wissen, er habe noch nie „eine so dynamische Unternehmensentwicklung in so kurzer Zeit“ erlebt, Volocopter sei bestmöglich platziert für die Vermarktung des Volo City. Zu den Gründen, warum er geht, äußerte er sich nicht.
„Dynamisch“ – das könnte man allerdings auch mit nervenaufreibend übersetzen. In den zwei Jahren hätte der Volo City eigentlich die Zulassung der European Union Aviation Safety Agency (EASA) erhalten haben sollen. Während die immer noch aussteht und nun für Anfang 2025 geplant ist, hat Hoke sehr viel Zeit damit verbracht, Geld aufzutreiben und das Projekt am Laufen halten.
Der Volo City ist zunächst ein zweisitziger, elektrisch angetriebener Multikopter, der für innerstädtische Flüge gedacht ist. Mit der Maschine will Volocopter allerdings erst einmal beweisen, dass das Konzept funktioniert. Viel bessere Marktchancen verspricht sich das Unternehmen von einem größeren Modell mit vier Sitzen, das in den nächsten Jahren folgen soll. Volocopter ist eines von Hunderten Start-ups, die weltweit kleine elektrische Fluggeräte bauen wollen. Unter ihnen ist auch Lilium aus Oberpfaffenhofen mit einem technisch völlig anderen Ansatz, aber ähnlichen Problemen bei der Finanzierung.
Die Zulassung des Volo City wurde verschoben
Hoke hatte im Frühjahr Alarm geschlagen und gewarnt, Volocopter müsse womöglich bald Insolvenz anmelden, wenn nicht schnell neues Geld gefunden werde. Anträge auf Kreditbürgschaften der Landesregierungen in Baden-Württemberg und Bayern für bis zu 100 Millionen Euro scheiterten. Neue Investoren konnten nicht aufgetrieben werden, die Stimmung hatte sich bei Risikokapitalgebern längst gedreht. Im Juni einigten sich dann die bestehenden Anteilseigner, darunter Daimler, die chinesische Geely Technology Group und das saudische NEOM-Projekt, auf eine Kapitalerhöhung in mehreren Tranchen, die bis zum vierten Quartal abgeschlossen sein sollte. Das zusätzliche Geld sollte bis zur Zulassung des zweisitzigen Volo City reichen, diese allerdings ist mittlerweile auf Anfang nächsten Jahres verschoben worden.
Auch die am Rande der Olympischen Spiele geplanten Demonstrationsflüge waren nicht der erhoffte Erfolg. Ohne eine Zulassung konnte Volocopter keine zahlenden Passagiere befördern, die Zahl der „Vertiports“ (Start- und Landeplätze) schrumpfte von fünf auf letztlich einen. Und weil ein Zulieferer die neueste Version der Elektromotoren nicht rechtzeitig gebaut hatte, konnte nicht das Serienmodell fliegen, sondern ein früherer Prototyp.
Dieter Zetsche, der auch Aufsichtsratschef bei Tui ist, steht vor komplexen Aufgaben. Er muss einen neuen Vorstandschef auftun, einer vom Kaliber und der Bekanntheit Hokes dürfte schwer zu finden sein. Und er steht nun vor allem mit seinem Namen dafür ein, dass Volocopter trotz aller Schwierigkeiten eine Zukunft hat. „Zusammen mit dem ganzen Team werden wir die Markteinführung von Volocopter vorantreiben und ein neues Kapitel der Luftfahrtgeschichte schreiben“, ließ er sich zitieren.
Vielleicht aber ist eine andere Personalie ebenso wichtig. Zhihao Xu, Chef von Geely Technology, ist jetzt ebenfalls im Beirat vertreten. Der chinesische Konzern, Muttergesellschaft unter anderem der Automarken Volvo und Polestar, war 2022 bei Volocopter als Minderheitsaktionär eingestiegen. Eine Industrie rund um das elektrische Fliegen aufzubauen, gehört zu den Prioritäten der chinesischen Wirtschaftspolitik. Und chinesische Firmen stehen immer dann ganz oben auf der Liste möglicher Geldgeber, wenn westliche Elektroflugspezialisten gerade wieder Finanznöte haben. Denkbar also, dass Geely Volocopter bald wieder zu Hilfe eilt. Das allerdings würde womöglich bedeuten, dass zumindest die Produktion bald woanders stattfinden würde. Einen ähnlichen Weg geht Lilium: Wenn staatliche Beihilfen in Frankreich genehmigt werden, soll dort auch ein großes Werk entstehen.