Deutschland:Arbeitskräfte werden knapp

Deutschland: Seit dem Wirtschaftswunder in den 60er-Jahren hatten es Bewerber nicht mehr so leicht, mit einer ordentlichen Ausbildung eine Stelle zu finden.

Seit dem Wirtschaftswunder in den 60er-Jahren hatten es Bewerber nicht mehr so leicht, mit einer ordentlichen Ausbildung eine Stelle zu finden.

(Foto: dpa (2), Imago (2))
  • Insgesamt gab es im dritten Quartal 2018 mehr als 1,2 Millionen offene Stellen; fünf Jahre zuvor waren es nur 763 000.
  • Während 2017 nur noch zwei Arbeitslose auf eine offene Stelle kamen, waren es 2005 mehr als zehn.
  • Weil es viel weniger Arbeitslose gibt als früher, wird heute mehr als jede zweite offene Stelle von jemandem besetzt, der schon einen Arbeitsplatz hat.

Von Susanne Höll, Henrike Rossbach, Jan Willmroth und Markus Zydra

Kurz vor Weihnachten sitzen zwei Herren in dem stets sehr ansehnlich dekorierten Bettenladen unweit des Goethehauses in Frankfurt am Main und verstehen die Welt nicht mehr. Monatelang hatte der auf Naturmaterialien spezialisierte Matratzenhersteller Hüsler Nest nach einem Fachverkäufer gesucht, der das eingeführte Geschäft in der Innenstadt selbständig leiten sollte. Die bisherige Mitarbeiterin hatte gekündigt, sie kam aus dem Umland und hatte genug von der oft mühseligen und zeitraubenden Pendelei in die City.

Das Angebot war gut, und je länger Hüsler niemanden fand, desto mehr Extras versprach das Unternehmen: unbefristeter Vertrag, Vollzeit, ein Gehalt von deutlich mehr als 3000 Euro, einen 13. Monatslohn, sogar Bonus und Fahrtkostenzuschuss bot Hüsler an. Man suchte per Arbeitsamt, engagierte zwei private Vermittler. Wird schon klappen, sagte man sich bei Hüsler.

Aber es kam kein einziges Bewerbungsgespräch zustande, keine Dame, kein Herr habe sich für den Job interessiert, sagt Vertriebschef Jens Simic und zuckt mit den Schultern. Die einzigen Bewerbungen seien von Leuten gekommen, die bislang Handy-Verträge verkauft hätten. Für den Produzenten eher kostspieliger Matratzen waren das nicht die idealen Anwärter.

Deshalb ist Simic in der Weihnachtszeit an den Main gekommen - der Laden wurde geschlossen. Verbliebene Accessoires wurden zu Schnäppchenpreisen verkauft, nach den Feiertagen war Schluss. Leider. Denn man hätte das Geschäft nur zu gern weitergeführt, schließlich sei es profitabel gewesen. Wer sich in Frankfurt für eine Matratze des Schweizer Herstellers interessiert und probeliegen will, muss nun nach Mainz, Darmstadt oder Gelnhausen fahren. So sieht der Fachkräftemangel im Rhein-Main-Gebiet aus.

Vor allem im Verkehr, Bau und in der Pflegebranche fehlen fähige Arbeitskräfte

Er ist symptomatisch für die Situation in weiten Teilen Deutschlands: Nach neun Jahren des Aufschwungs sind die Arbeitskräfte knapp geworden. Im Wettbewerb um Fachkräfte finden Firmen vielerorts keine geeigneten Bewerber mehr, warten immer länger, bis eine Stelle besetzt ist, können kaum noch expandieren, weil ihre Belegschaft längst ausgelastet ist. In vielen Regionen bewegt sich die Wirtschaft am Rande der Vollbeschäftigung.

Was für ein Umbruch! Jahrzehntelang stand die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit im Mittelpunkt politischer Anstrengungen. Jetzt steht die demografische Entwicklung im Vordergrund und damit die Frage, wie Deutschland in den kommenden Jahren und Jahrzehnten seinen Bedarf an Arbeitskräften noch decken kann. Die geburtenstarken Jahrgänge gehen peu à peu in Rente und Pension, die folgenden Alterskohorten haben deutlich niedrigere Geburtenziffern, und ohne geregelte Zuwanderung, das ist gewiss, wird die Lücke nicht zu schließen sein.

Seit dem Wirtschaftswunder in den 60er-Jahren hatten es Bewerber nicht mehr so leicht, mit einer ordentlichen Ausbildung eine Stelle zu finden. Damit ist natürlich noch nichts über die Bezahlung gesagt. In einigen Berufen sind die Gehälter weiter extrem niedrig, obwohl Mangel herrscht. Das schreckt Bewerber ab. Zudem wollen immer mehr junge Leute studieren, ins Handwerk zieht es nur wenige. Jahr für Jahr bleiben mehr Ausbildungsplätze unbesetzt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema