Süddeutsche Zeitung

Vollbärte:Make-up des Mannes

Ist das noch ein Trend oder schon eine neue Ära? Jetzt bietet sogar schon die VHS Bartpflege-Kurse an.

Von Stefan Mayr

Bartöl, Bartcreme, Bartwachs, Bartshampoo, Bartkamm, Bartbürste, Barthobel. Die Bartpflege-Regale der Drogerieläden verhalten sich exakt so wie die Gesichtshaare der Männer: Sie wachsen und wachsen und wachsen. Wann hat das überhaupt noch mal angefangen? Was gibt es mehr in den Innenstädten? Ein-Euro-Shops, Wettbuden oder Barber-Salons? Ist das eigentlich noch ein Trend oder schon eine Ära?

Selbst die Volkshochschule Stuttgart bietet neuerdings einen Bartpflege-Kurs an mit dem Untertitel: "Ein Kurs für echte Männer". Oha. "Ungepflegt und unhygienisch war gestern", mahnt das VHS-Programm, "gut gestylt und ansprechend ist heute!" Der Bart stehe "für den Charakter und die Ideale des Mannes", heißt es weiter, und "bleibt im Trend". Stellt sich die Frage: Muss nun jeder, der hip sein will, ganz schnell seine Matte entfernen, um nicht mit VHS-Kurs-Gängern in einen Topf geworfen zu werden? Können Rasierklingen-Hersteller Gillette und Wilkinson-Sword endlich wieder aufatmen und die Langbart-Krise für beendet erklären?

Vielleicht ist dieser Kurs aber auch der Beleg dafür, dass sich hier ein Trend allmählich auswächst zu einer Epoche - nennen wir sie: Bartozän. So sieht es jedenfalls VHS-Dozent Bernd, ein Barber-Shop-Besitzer mit Langhaar-Pelz. "So lange es Männer gibt, wird es auch Bärte geben", sagt er. Und sein Assistent Alf ergänzt: Früher habe ein Mann mit Vollbart das Image mit sich herumgetragen, zu faul zum Rasieren zu sein. Heute dürfe der Mann sich Zeit nehmen für sich und sein Äußeres. "Deshalb hat sich der gepflegte Bart durchgesetzt. Und deshalb wird er auch bleiben."

Unter mangelnder Nachfrage leidet der Salon jedenfalls nicht, beteuern sie dort. Sechs Mann nehmen am Kurs teil, jeder bringt eine andere Bartkreation mit. Einer kommt extra aus Karlsruhe, er trägt die längste und aufwendigste Variante inklusive Zwirbel-Schnauzer. Überhaupt gibt es ja eine große Vielfalt an Bärten, um sich vom Nebenmann abzugrenzen. Holzfällerbart, Zwei- bis Zwölftagebart, Schnauzer, Almöhi-Bart, "Henriquatre", Dalí-Schnörkel, Thierse-Teppich. Und ab und zu läuft einem auch eine Backenbürste über den Weg, als eine Art Spätausläufer des eigentlich doch längst abgeschlossenen Kotelettozän.

Die Drogerieketten dm und Rossmann bestätigen den Trend weg von Rasiermesser und -wasser hin zu Barttrimmer und -farbe. Einen Umsatzeinbruch gibt es in der Branche aber (noch) nicht. Wilkinson und Gillette ihrerseits schweigen sich seit jeher zu Umsatz und Gewinn/Verlust aus.

Bärte sind das Make-up der Männer, heißt es. Sie bringen Farbe ins Gesicht, und auch eine markante Kontur - ganz ohne Schönheits-OP. Vielleicht auch deshalb hat sich das Phänomen vom Hipster auf den Normalo ausgewachsen. Dass der Bart Mainstream ist, zeigt ein Blick auf die Werbeplakate: Kein Mann oben ohne! Wer steht noch auf aalglatte Typen?

Jens Dagné von der Friseurvereinigung Intercoiffure Mondial prophezeit aber die Trendumkehr: Mittelfristig überlebe nur der Schnurrbart. Die VHS-Dozenten sehen das anders - obwohl sie künftig keinen Kurs mehr anbieten. "Weil wir keine Werbung mehr brauchen", sagt Bernd, "unsere Stammkunden müssen eh schon zu lange warten."

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Quelle:
SZ vom 10.02.2020
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