Volkswagen:Weniger Wolfsburg, mehr Freiheit

Der VW-Gürtel muss enger

Manche Mitarbeiter identifizieren sich sogar bei der Kleidung mit VW. Doch wie lange noch? Womöglich steht bald der größte Umbau seit Jahren an.

(Foto: Julian Stratenschulte/dpa)
  • Volkswagen soll umgebaut werdern: Der Großkonzern soll dezentraler werden und gleichzeitig Milliarden einsparen.
  • Dafür spielen die Verantwortlichen verschiedene Modelle durch.

Von Thomas Fromm

Es gibt Orte, von denen niemand annehmen würde, dass dort die ganz großen Dinge passieren. Zum Beispiel der Braunschweiger Flughafen. Zwei Start-, zwei Landebahnen, die vor allem von Geschäftsfliegern des Volkswagen-Konzerns genutzt werden. Und "Il Terrazzo, Ristorante am Flughafen", mit mediterranem Büfett auf zehn Metern.

Ab und zu mal ein Flugzeug, Pasta-Variationen, frutti di mare. Bis zu jenem Samstag Ende April war da nicht viel mehr.

Es war damals gegen Mittag, als die Spitzen-VW-Aufsichtsräte in einem Büro auf dem Airport-Gelände zusammenkamen, um über das Schicksal ihres Chef-Kontrolleurs Ferdinand Piëch zu beraten. Der Alleinentscheider und Konzernpatriarch Piëch hatte tagelang versucht, seinen Ziehsohn und Konzernchef Martin Winterkorn zu demontieren. Jetzt musste er am Flughafen auf die Entscheidungen der anderen warten. Als dann alles vorbei war in Braunschweig, war es auch mit der Ära Piëch vorbei.

Das Unternehmen ist zu groß geworden, um so weitermachen zu können wie bisher

Es sind ein paar Wochen seit dem Rückzug des Alten vergangen, es ist Freitag, Mitte Juni. Und wieder Braunschweig, wieder Flughafen. Und wieder sind sie hier, die Mächtigen des Aufsichtsrats und Konzernboss Martin Winterkorn. Diesmal geht es nur am Rande um Menschen und ihre Schicksale. Diesmal geht es darum: Wie soll es mit VW weitergehen, jetzt, wo Piëch nicht mehr da ist? Wie kann dieses Riesenreich mit seinen 200 Milliarden Euro Umsatz, seinen 600 000 Mitarbeitern und 119 Fabriken überhaupt noch regiert werden?

Es geht um den Umbau des Milliardengiganten, den wohl größten seit vielen Jahren. Einfacher soll die Struktur werden, und weniger zentralistisch. Weniger Wolfsburg, mehr Regionen. Mehr Freiheit für die Marken, weniger Absolutismus - und hohe Milliardeneinsparungen. Das alles soll so organisiert sein, dass der Konzern nicht geschwächt wird. Ein Drahtseilakt.

Doch etwas muss geschehen, das hat nicht zuletzt der dramatische Showdown zwischen Piëch und seinen Gegnern vom April gezeigt, der den Koloss wochenlang lähmte. Jahrelang war immer alles größer und immer komplexer geworden.

Turbowachstum für das große Ziel: An Toyota vorbeizuziehen und größter Autobauer der Welt zu werden. Jetzt ist klar, die schiere Größe schützt den Konzern nicht vor seinen Problemen, und hinter den großen Rekordzahlen tauchen nun allmählich die großen Baustellen auf. Die Pkw-Kernmarke VW mit Modellen wie dem Golf und dem Passat steckte im Mai den achten Monat in Folge im Minus. China, der für Volkswagen wichtigste Markt, läuft nicht mehr rund und schwächelt. Und in den USA kommt das Unternehmen seit Jahren schon auf keinen grünen Zweig mehr.

Der einflussreichste Erneuerer im Konzern: Betriebsratschef Osterloh

Die Zeit drängt, ein Koloss wie VW bewegt sich nur langsam, deshalb muss hinter den Kulissen kräftig Druck entstehen. Aus Konzernkreisen heißt es, der Fahrplan für den Umbau sei klar gesteckt. Über den Sommer hin werde man reden, planen und nach Entscheidungen suchen. Ende September dann, also kurz nach der Automobilausstellung IAA in Frankfurt, will man sich dann zur entscheidenden Aufsichtsratssitzung zusammensetzen. Kurz darauf dann der Startschuss für den neuen Konzern. Dann wäre Oktober.

Wie der Konzern am Ende aussehen könnte, dazu werden derzeit verschiedene Modelle durchgespielt. Die jüngst gegründete Nutzfahrzeug-Holding, unter deren Dach die Lkw-Töchter MAN und Scania zusammenarbeiten sollen, könnten hier Modell stehen. VW, das Viel-Marken-Reich, könnte in einzelne Gruppen aufgeteilt werden. Die Massenmarken VW, Seat und Škoda wären so eine. Die Luxusschmieden Bentley, Lamborghini und Bugatti wären eine andere. Und auch die sportlichen Töchter Audi und Porsche könnten eine solche Gruppe bilden - auch wenn es die Konzernoberen lieber sähen, wenn sich Ingolstädter und Zuffenhausener am Markt kräftig Konkurrenz machen.

Der zurzeit wohl einflussreichste Erneuerer im Konzern: Betriebsratschef Bernd Osterloh. Er war es, der sich in der Öffentlichkeit in den vergangenen Wochen auffällig nachdrücklich als Architekt der neuen Konzernarchitektur empfahl. Man brauche "keinen riesigen Vorstand mit aufgeblähten Stäben", sagte er neulich in einem Interview. Zum Beispiel die Ressorts Produktion und Vertrieb - braucht man dafür noch eigene Konzernvorstände in Wolfsburg? Oder wäre es nicht besser, das erledigten die Leute vor Ort - zum Beispiel in China und den USA? Das Thema bestimmt seit Wochen die Wolfsburger Flurgespräche.

Bei dem Großumbau könnte es auch den einen oder anderen Manager treffen

Die Stelle von Produktionsvorstand Michael Macht ist seit dessen Abgang im vergangenen Jahr frei. Und für den Vertrieb ist Christian Klingler zuständig, den man mitverantwortlich macht für das schlechte Abschneiden auf Auslandsmärkten wie den USA. Bisher allerdings, so heißt es, sei Klingler gesetzt gewesen - er galt seit jeher als eng mit dem Ex-Patriarchen Piëch. Mit dem Mann also, der nicht mehr da ist.

Wenn die Vertriebsleute draußen in den Regionen mehr Macht über die Modellpolitik vor Ort bekommen, dann bedeutet das wohl automatisch weniger Macht für die zentrale Vertriebsleitung in Wolfsburg.

Es dürfte also wie so oft sein, wenn Großkonzerne umgebaut werden. Es wird da umstrukturiert, hier verlagert, dort neu positioniert - und der eine oder andere könnte nach dem großen Stühlerücken auf einmal zwischen allen Stühlen landen.

Wenn es um Stühle geht, sind Autos erst einmal zweitrangig.

Im Juli kommt dann der frühere BMW-Entwicklungsvorstand Herbert Diess nach Wolfsburg, um dort die Marke VW zu übernehmen. Schon jetzt wird spekuliert, was das für die vielen Stühle in Wolfsburg bedeuten wird. Er wird dann zu einer Zeit antreten, in der der Konzern mitten im Umbau steckt.

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