Volkswagen:Runter vom Bock

Volkswagen - Hauptversammlung

Ein Bild aus besseren Tagen: Lastwagen-Vorstand Andreas Renschler vor einem Jahr bei der Hauptversammlung des Volkswagen-Konzerns.

(Foto: Michael Kappeler/dpa)

Andreas Renschler sollte für VW die Lkw-Töchter MAN und Scania zusammen­führen. Nun muss er gehen und mit ihm auch gleich der MAN-Chef.

Von Thomas Fromm

Wenn in der Wirtschaft von heute auf morgen die Chefs ausgetauscht werden, dann wird das meistens sehr schmallippig mit ein bis zwei Standardsätzen kommuniziert. Die sind dann zwar höflich geschrieben, aber nicht unbedingt immer höflich gemeint. Und manchmal fragt man sich, wie sie überhaupt gemeint sind.

So wie im Fall der Personalie Andreas Renschler. Der überraschende Abgang des 62-jährigen VW-Vorstands und Chefs der Lkw-Holding Traton nach fünf Jahren im Konzern wurde am Dienstagabend vom VW-Aufsichtsrat verkündet und zwar so, als gehe da ein alter Freund, den man nur ungern ziehen lasse: Die Trennung erfolge "im besten gegenseitigen Einvernehmen". Nun ist es aber so, das Renschler schon zum 15. Juli geht, also gerade mal noch eine knappe Woche im Amt ist. Das klingt weniger nach bestem Einvernehmen, sondern eher nach: Nichts wie weg! Man hätte natürlich auch schreiben können, dass man bei strategischen und personellen Themen schon länger über Kreuz lag, dass es vorne und hinten nicht mehr passte zwischen ihm und seinem Arbeitgeber in Wolfsburg. Aber die Sache mit dem besten Einvernehmen klingt natürlich viel besser. Und ist auch nicht so komplex wie die Geschichte hinter der großen Personalrochade vom Dienstagabend.

Renschler wurde mit einem klaren Auftrag angeheuert. Und wurde dann zu eigenständig

Alles begann im 2015, als der langjährige Daimler-Mann Renschler von dem inzwischen verstorbenen VW-Patriarchen Ferdinand Piëch angeheuert wurde. Er hatte einen klaren Auftrag: Er sollte die beiden untereinander zerstrittenen Lkw-Hersteller MAN und Scania, die unter Piëch in den VW-Konzern geholt wurden, zusammenführen. Eine unglückliche Konstellation von Anfang an war das, denn die Münchner und die Schweden waren langjährige Konkurrenten und sich spinnefeind, auch weil MAN in der Vergangenheit versucht hatte, die Schweden selbst feindlich zu übernehmen. Renschler gründete eine überwölbende Lastwagen-Holding namens Traton und brachte diese schließlich an die Börse. Fünf Jahre später nun der große Personal-Knall, wie er in der VW-Galaxie immer wieder mal passiert. Nur dass es diesmal gleich etliche Manager trifft - und alle sind sie aus dem Lkw-Lager.

Die Liste ist lang.

Renschler geht, und auch MAN-Chef Joachim Drees, der unter Renschler im Vorstand der Nutzfahrzeug-Holding Traton sitzt. Renschlers Nachfolger bei Traton wird der frühere Finanzchef Matthias Gründler, der das Unternehmen 2018 verlassen hatte. Im Volkswagen-Konzernvorstand übernimmt VW-Personalchef Gunnar Kilian, ein enger und alter Vertrauter des mächtigen VW-Betriebsratschefs Bernd Osterloh, Renschlers Aufgaben. Auf Drees folgt ein Mann aus Wolfsburg: VW-Produktionsvorstand Andreas Tostmann. Und auch Traton-Personalchef Carsten Intra wird ausgetauscht; er soll dafür Chef der Sparte für kleinere Nutzfahrzeuge werden, wo er Thomas Sedran ablösen soll. Es ist wie so oft bei VW: Wenn es schon knallen muss, dann richtig. Man könnte es unterm Strich auch so sagen: VW-Chef Herbert Diess hat nicht nur die Chefetagen rund um Traton und MAN neu sortiert. Das Nutzfahrzeuggeschäft wird wieder näher an Wolfsburg herangezogen - und ein Stück weit entmachtet.

Die Konflikte sind, wie so oft im VW-Konzern, vielschichtig. Arbeitnehmervertreter gegen Manager, VW-Zentrale gegen Peripherie, Egos gegen Egos. Es beginnt damit, dass VW und Renschler, der Mann, der jahrelang beim Stuttgarter Rivalen Daimler unter Vertrag stand, wohl auch nach Jahren nicht zusammenfanden. "Renschler und Volkswagen haben nicht zusammengepasst", sagt ein Insider. Er sei immer wieder zu unabhängig gewesen, dies sei "nicht gut angekommen". Auch nicht bei den VW-Eigentümerfamilien, den Porsches und den Piëchs. "Es war schwer für ihn, zu akzeptieren, wenn sich die Familien einmischten", heißt es.

Renschler soll die Sache mit der Zusammenführung der beiden selbstbewussten Hersteller MAN und Scania etwas zu weit getrieben haben, monieren Kritiker. Auf Kosten der Marken wollte er eine zentralere Entwicklung bei Traton - was in München und am Scania-Standort Södertälje nicht gut ankam. Je mehr Macht und Entscheidungsbefugnisse zentral liegen, desto weniger haben Ingenieure und Vorstände der Lkw-Marken zu melden. Eskaliert sei das Ganze bereits bei einem Treffen Ende Februar, als Renschler seine Ideen vorstellte. Teilnehmer wie Scania-Chef Henrik Henriksson und MAN-Chef Drees sollen empört gewesen sein. Renschler aber habe durchregieren wollen und verfolge eine klare Linie - auch weil er den amerikanischen Truck-Hersteller Navistar übernehmen und einbinden will. Dafür brauche er eine klare Struktur.

Nun heißt es aus MAN-Kreisen, dass Renschler seit jenem Showdown im Februar nicht mehr anwesend gewesen sei. "Das war nicht mehr der Renschler, der mal gekommen ist. Der war auf einmal irgendwie abgetaucht." Ein Indiz dafür, dass Renschler keine Lust mehr hatte, gegen die starken Mächte in diesem Konzern anzukämpfen? Wenn VW die Sache nicht beendet hätte, hätte er, der Mann ohne Verbündete im eigenen Reich, es womöglich selbst getan, glauben einige.

Zu den Machtkämpfen kommen die wirtschaftlichen Probleme. Schon vor der Corona-Krise war klar, dass der Absatzeinbruch bei Lkw Jobs kosten würde. 6000 Stellen, rund ein Sechstel der 36 000 Jobs bei MAN, sollten wegfallen. Dann aber kamen Corona, Produktionsstops, weitere schwere Einbrüche. Arbeitnehmervertreter befürchten, dass wegen Corona noch einmal einige Tausend Jobs mehr auf der Strecke bleiben. Der Ärger hatte sich zuletzt also noch zugespitzt.

Dass in München am Ende nicht viel voranging, soll Renschler vor allem Drees angekreidet haben. "Der konnte sich nicht gegen die starke MAN-Kultur etablieren", sagt einer. Nun sind beide weg, der MAN-Chef und Traton-Boss Renschler. Und am Tag danach weiß man am MAN-Sitz am Stadtrand von München noch nicht so genau, was man von all dem halten soll. Unruhe, sagt einer, sei nie gut fürs Geschäft.

Andreas Renschler, Traton-Chef noch bis nächsten Mittwoch, schrieb am Dienstagabend noch schnell einen internen Brief an die Belegschaft. Traton habe eine "sehr starke Position erreicht", schreibt er da. Für ihn gebe es "keinen besseren Zeitpunkt, als jetzt zu gehen" und das Geschäft "an einen sehr erfahrenen Nachfolger" weiterzureichen. Was man halt so schreibt, wenn man in ein paar Tagen weg ist. Wobei: In diesem Fall könnte die Sache mit dem richtigen Zeitpunkt sogar stimmen. Denn einfacher wird es bei Traton, MAN und Scania vorerst nicht.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: