Volkswagen:Piëchs Aussage belastet Winterkorn schwer

01 10 2014 Autosalon Paris VW Konzernabend Ferdinand Piech Aufsichtsratsvorsitzender von VW Mart

Ferdinand Piëch und Martin Winterkorn (rechts) im Jahr 2014

(Foto: imago/Zentrixx)
  • Der ehemalige VW-Patriarch Ferdinand Piëch belastet mit einer Aussage bei der Staatsanwaltschaft den Ex-Chef Martin Winterkorn schwer.
  • Sollte Winterkorn früher über die Diesel-Affäre Bescheid gewusst haben, als er behauptet, könnte das Aktionären helfen - und für VW teuer werden. Anleger verklagen den Konzern auf Schadenersatz in Höhe von mehr als acht Milliarden Euro.
  • Piëch bekam offenbar von Avi Primor, dem früheren israelischen Botschaft in Deutschland, Hinweise auf Manipulationen in den USA.

Von Thomas Fromm, Max Hägler, Georg Mascolo und Klaus Ott

Anfang März 2015 blickte Martin Winterkorn weit in die Zukunft. Es war der Auftakt des Genfer Autosalons, einer der weltweit bedeutendsten Automessen. Der damalige VW-Chef sprach von der "Innovationsschmiede VW" und von der neuen digitalen Autowelt, und er sagte: "Technik ist bei Volkswagen niemals Selbstzweck." Ein Satz, der heute, nach allem, was man über Dieselgate weiß, eher ziemlich skurril klingt. Etwas, das damals beim Autosalon heimlich besprochen worden sein soll, könnte Winterkorn jetzt zum Verhängnis werden. Und auch Volkswagen. Es könnte den Ex-Chef Millionen- und den Konzern Milliardenbeträge kosten.

Ausgerechnet der frühere VW-Patriarch Ferdinand Piëch, jahrzehntelang Förderer, väterlicher Freund und Bruder im Geiste des Ingenieurs Winterkorn, belastet seinen einstigen Schützling schwer. Piëch sagte vor wenigen Wochen als Zeuge bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig aus, worüber er im März 2015 als damaliger Aufsichtsratschef von VW beim Genfer Autosalon mit Winterkorn geredet habe. Ganz vertraulich, abseits des Publikums. Er, Piëch, habe Winterkorn mit Hinweisen auf Manipulationen bei Abgastests in den USA konfrontiert. Das passt überhaupt nicht zur offiziellen Version und Verteidigungslinie von Volkswagen, der Konzernvorstand habe nichts gewusst von den Diesel-Betrügereien in Übersee, bevor diese im September 2015 aufgeflogen seien. So stellt das auch Winterkorn bislang dar.

Aber ist das noch zu halten? Vor allem, da es offenbar noch einen weiteren wichtigen Zeugen gibt. Der Patriarch Piëch soll seine Hinweise auf die Ermittlungen in den USA nach Recherchen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR von einem alten Bekannten bekommen haben. Von Avi Primor, dem früheren israelischen Botschafter in Deutschland.

Primor war dem Vernehmen nach im Februar 2015, kurz vor dem Genfer Autosalon, in der VW-Zentrale in Wolfsburg zu Besuch gewesen. Ex-Botschafter trifft Patriarch. Eigentlich sollte es um Sicherheitsfragen gehen, Primor, heißt es, habe zwei Experten mitgebracht, die VW in Fragen der Computersicherheit beraten sollten. Später hätten sich Piëch und Primor noch zu einem Vier-Augen-Gespräch zurückgezogen. Primor soll gesagt haben, in Amerika gebe es Probleme mit den Abgasen, VW habe geschummelt. Er zitierte aus einem Papier. Piëch soll allerdings keine Kopie davon bekommen haben.

Von SZ, NDR und WDR mit diesem Vorgang und seiner Rolle konfrontiert, erklärte Primor am Freitagnachmittag in einem Telefonat, ganz der freundliche und höfliche Diplomat: "Ich will gar nichts sagen. Danke für Ihr Verständnis."

Piëch, Primor, Winterkorn - die ohnehin schon reichlich spannende und wilde Konzerngeschichte der vergangenen Jahre mit Abgas-Affäre, gekauften Betriebsräten und Rotlichtmilieu bedarf offenbar der Ergänzung. Vor allem erscheint nun Piëchs überraschende Attacke auf Winterkorn im April 2015, einen Monat nach dem Genfer Autosalon, in einem neuen Licht. Der Patriarch hatte damals über seinen Schützling dem Spiegel gesagt: "Ich bin auf Distanz zu Winterkorn." Autobranche, Industrie und Politik waren völlig überrascht und rätselten, was der Grund für die plötzliche Entfremdung gewesen sei, aber eine Erklärung gab es damals nicht. Gibt es jetzt die Antwort?

Der zeitliche Zusammenhang fällt auf

Piëch soll vor Monaten zu Vertrauten gesagt haben, die Abgasaffäre sei der wahre Grund, warum er schon vor Bekanntwerden der Betrügereien öffentlich auf Winterkorn losgegangen sei. Vielleicht war es ja auch nur einer der Gründe. Aber allein schon der zeitliche Zusammenhang fällt auf.

März 2015: Genfer Autosalon, Piëch will Winterkorn auf die spätere Affäre angesprochen haben. April 2015: Piëch distanziert sich von Winterkorn und will ihn loswerden. Erfolg war dem Patriarchen damals allerdings nicht beschieden, im Gegenteil. Piëch verlor den Machtkampf und musste den Aufsichtsratsvorsitz aufgeben, Winterkorn blieb. Aber nur bis September 2015, bis die Betrügereien bekannt wurden und auch er gehen musste. Seitdem müht sich Volkswagen, die Folgen der Affäre in Grenzen zu halten.

In den USA hat sich der Konzern für die dort manipulierten 550 000 Diesel-Fahrzeuge mit Strafen und Schadenersatzzahlungen von mehr als 20 Milliarden Euro freigekauft. Das sollte es eigentlich gewesen sein nach dem Willen von Vorstand, Aufsichtsrat und Hauptaktionären, unter ihnen die Familien Porsche und Piëch. Im Rest der Welt mag VW nichts zahlen, trotz mehr als zehn Millionen betroffener Fahrzeuge, darunter allein 2,5 Millionen in Deutschland. Doch nun könnte ausgerechnet Piëch seiner eigenen Familie und seinen Porsche-Verwandten einen Strich durch die Rechnung machen. Piëchs Aussage bei der Staatsanwaltschaft belastet Winterkorn mehr als alles andere, was die Strafverfolger ermittelt haben und was bislang an die Öffentlichkeit gedrungen ist.

Aktionäre wollen von VW mehr als acht Milliarden Euro

Sollte Winterkorn wirklich früher Bescheid gewusst haben als er behauptet, dann könnte das Anleger erfreuen. Aktionäre, die sich in dieser Affäre vom Vorstand getäuscht sehen, verklagen VW beim Landgericht Braunschweig auf Schadenersatz in Höhe von mehr als acht Milliarden Euro. VW weist das zurück; der Vorstand habe nichts gewusst. Wäre das falsch, dann hätten die Anleger, die für die Kursverluste ihrer Papiere entschädigt werden wollen, gute Chancen bei Gericht. Und Winterkorn müsste mehr als bisher fürchten, von VW mit Millionenbeträgen in Regress genommen zu werden.

VW äußert sich nicht zu Piëchs Aussage. Und Winterkorns Anwälte halten sich bedeckt. Sie erklären lediglich, ihr Mandant habe erst vor wenigen Tagen "von der Existenz einer weitergehenden Aussage" des früheren VW-Aufsichtsratschefs Piëchs erfahren. Einzelheiten dieser Aussage kenne Winterkorn nicht. Er werde sich zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen, und damit auch zu Piëchs Aussage, erst später äußern. Dann nämlich, wenn die Akten der Staatsanwaltschaft Braunschweig zur Einsichtnahme vorlägen. Das raten erfahrene Strafverteidiger ihren Mandaten immer. Sich erst dann vernehmen lassen, wenn man weiß, was in den Akten steht.

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