Der Betriebsratschef von Volkswagen, Bernd Osterloh, hat überraschend seinen Rückzug erklärt. Er habe sich entschieden "aufzuhören", hieß es am Freitagvormittag in einer Mitteilung des Betriebsrates - und werde als Personalvorstand zur Lastwagentochter Traton wechseln. "All die Jahre stand ich mit meiner Arbeit für einen klaren Kurs und unmissverständliche Ansagen", ließ sich Osterloh dabei zitieren. "Und exakt so halte ich es jetzt auch mit mir selber zum Ende meiner Amtszeit." Dieser Vorgang ist aus verschiedenen Gründen bemerkenswert. Denn Osterloh, der 2005 in das Amt gewählt wurde, gilt manchen als der "König von Wolfsburg". Konzernchef Herbert Diess sagt jedenfalls, dieser Mann sei der wahrhaft Mächtige im Konzern. Und der gibt diesen Posten nun auf.
Tatsächlich sind die Arbeitnehmer der vielleicht relevanteste Teil im komplizierten Machtgefüge bei Volkswagen: Das größte Industrieunternehmen Europas mit 670 000 Mitarbeitern gehört mehrheitlich den Familien Porsche und Piëch, auch das Land Niedersachsen hält einen großen Teil. Doch der Betriebsrat hat ein besonderes Vetorecht, so kann faktisch gegen seinen Willen kein Werk geschlossen oder verlagert werden. Es ist eine Folge der arbeitnehmerorientierten britischen Militärverwalter nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie veranlassten, dass die Mitsprache und auch die Eigentumsverhältnisse später in einem besonderen Regelwerk niedergeschrieben wurden, dem VW-Gesetz.
Besonderes Verhältnis zwischen Osterloh und Diess
Bernd Osterloh hat seine Rolle darin in den vergangenen Jahren mit Selbstbewusstsein gestaltet. Seit seiner Wahl 2005 erlebte er die Konzernchefs Martin Winterkorn, Matthias Müller und jetzt eben Herbert Diess. Gerade zu Letzterem pflegte er ein besonderes Verhältnis. Nie macht Osterloh einen Hehl daraus, dass das Wohlwollen der Arbeitnehmer Diess den Amtsantritt ermöglichte: Er sei mit seiner zupackenden Art richtig in der Zeit des Umbruchs. Doch seitdem Diess die Führung von Volkswagen übernommen hat - und zwar in einer recht radikalen Manier hin zu einem E-Auto-Anbieter - lagen die beiden im Dauerclinch. Es fielen auch schon einmal A-Worte und manche öffentliche Bloßstellung. Diess stand im vergangenen Jahr vor dem Rausschmiss, mitentscheidend für die Eskalation und dann den Verbleib war: Osterloh. Selten hat sich in einem deutschen Unternehmen so deutlich ein Machtkampf entsponnen zwischen zwei machtbewussten Männern, zwischen Arbeitgeberseite und Arbeitnehmern.
Insofern dürfte der Abgang bei Diess für Erleichterung sorgen: Osterloh hatte Diess schon einmal in sein Besprechungszimmer bestellt, das mit IG-Metall-Devotionalien geschmückt ist, samt Gartenzwerg. Machtdemonstrationen, immer wieder. So etwas ist künftig nicht mehr zu erwarten. Denn Osterloh hat seine Stellvertreterin Daniela Cavallo zwar über Jahre aufgebaut, sie gilt auch als seine Wunschkandidatin in der Nachfolge. Doch ist die 46-jährige Betriebswirtin weithin "ein unbeschriebenes Blatt", wie es auf Arbeitgeberseite heißt: Sie stammt aus Wolfsburg, hat eine stellenweise recht kämpferische Rede gehalten bei der 75-Jahr-Feier des VW-Betriebsrates im vergangenen November: "Unser Betriebsrat bleibt stark. Und er bleibt erfolgreich", rief sie da. "Eure Mitbestimmung sorgt weiter für Augenhöhe." Gegenüber wem auch immer, fügte sie hinzu.
Damals war indes noch nicht klar, dass damit bald Augenhöhe gegenüber ihrem bisherigen Betriebsratskollegen gemeint sein könnte. Dass es nicht ewig so weitergeht mit Osterloh, war klar. Der gelernte Industriekaufmann, der seit Jahrzehnten bei Volkswagen ist, wird im September 65 Jahre alt. Auf ewig kann auch ein König nicht regieren, selbst bei Volkswagen nicht, wo Regeln und Usancen schon immer ein wenig anders ausgelegt worden sind. Wo so ein abrupter Seitenwechsel möglich ist.
Den hat Osterloh nie ausgeschlossen in der Vergangenheit: Immer wieder kokettierte sein Umfeld damit, dass er ja für Managerposten gefragt sei. So etwa im Jahr 2015, doch damals im Herbst kam der Dieselskandal ans Licht und Osterloh blieb fürs Erste in seinem gewählten Amt. Aber er machte als Arbeitnehmervertreter immer wieder deutlich, dass er durchaus Management-Qualitäten habe: Da ließ er bei Gesprächen dicke Papierstapel herbeischaffen, in denen der Betriebsrat ein Konzept zur höheren Effizienz des Stammwerks niedergeschrieben hatte. Und in den vergangenen Wochen, als Volkswagen den Bau von Batteriefabriken beschloss, da ließ er einen Pressebericht aus dem Jahr 2010 hervorholen: Osterloh fordert Zellfabriken, steht da. Schon damals.
Auf seinem neuen Posten als Personalchef bei der Lastwagensparte Traton kann er solche Vorausschau auch gebrauchen: Der Zusammenschluss von MAN und Scania ist weiterhin ein schwieriges Unterfangen, zumal bei der Münchner Firma gespart werden muss. Und dann gilt es noch den großen US-Teil einzugliedern: Mit dem Kauf von Navistar möchte Traton, möchte Volkswagen, führend werden in der Lastwagenwelt.
Die Frage ist nun: Gewinnt Osterloh damit? Nun, finanziell sicher. Die Führung des VW-Betriebsrates wird zwar üblicherweise sehr gut entlohnt, was übrigens auch vor Gericht diskutiert wird. Aber ein Vorstand erhält nun ein siebenstelliges Gehalt, ohne Untreue-Diskussion, das ist angenehmer. Was die Macht im Unternehmen anbelangt, dürfte es allerdings anders aussehen: Künftig wird er Tagesentscheidungen treffen, für die Mitarbeitenden in der Bus- und Lastwagenproduktion. Das ist etwas anderes als das ganz große Strippenziehen um die geeignetsten Manager.