Süddeutsche Zeitung

Volkswagen:Martin Winterkorn: Der Mann, der zu viel wusste

Was ist schlimmer: Ein Chef, der Probleme versteckt, oder einer, der sie nicht versteht? So oder so: Der Ex-VW-Chef hätte dem Unternehmen viel ersparen können.

Kommentar von Thomas Fromm

Kurz nach Bekanntwerden der Abgasaffäre im September 2015 setzte sich Martin Winterkorn, damals noch VW-Chef, vor eine Videokamera und bat zerknirscht um Verzeihung. Er selbst sei schockiert über das, was passiert sei. Es sei aber "falsch, wenn wegen der schlimmen Fehler einiger weniger" nun der ganze Konzern leiden müsse.

Die Botschaft Winterkorns war klar: Ja, irgendjemand hat da wohl großen Mist gebaut, Dieselmotoren manipuliert und bei Abgasmessungen betrogen. Irgendjemand weiter unten in der Konzernhierarchie. Irgendjemand, aber ganz bestimmt nicht er selbst. Verzeihung, tut uns leid, soll nicht wieder vorkommen. Versprochen.

Hätte Winterkorn gehandelt, wäre VW einiges erspart geblieben

Der etwas holprige Auftritt von damals könnte sich im Nachhinein als absurde Farce entpuppen. Denn wenn es zutrifft, was der frühere VW-Manager Bernd Gottweis zu Protokoll gegeben hat, dann gehörte Winterkorn selbst zu denen, die "schlimme Fehler" gemacht haben. Denn wenn es so war, dass Winterkorn bereits im Juli 2015 über den Abgasbetrug in den USA informiert wurde und das Thema lieber unter den Teppich kehrte, dann wäre der Abgasbetrug nur der Auftakt für einen weiteren Skandal gewesen.

Ein mögliches zweites Kapitel der Affäre - Überschrift "Wegsehen und Vertuschen" - könnte dann nicht nur für den Ex-Chef, sondern auch für VW noch dramatische Folgen haben. Denn hätte Winterkorn im Juli zeitig interveniert, wäre VW möglicherweise einiges erspart geblieben.

So aber raste VW mit seiner Dieselaffäre unkontrolliert in die Katastrophe. Die Folgen sind bekannt: Milliarden-Strafen, Imagedesaster, die schwerste Krise in der langen Konzerngeschichte, die auch zwei Jahre danach immer noch längst nicht ausgestanden ist.

Es gibt übrigens noch eine weitere Lesart der Abläufe. Winterkorn habe die Dramatik damals nicht erkannt, die Rede sei damals von "Problemen" in den USA gewesen, nicht von Betrug und Manipulationen. Das gibt zu denken, denn man weiß nicht, was schlimmer ist: Ein Chef, der Probleme versteckt. Oder einer, der sie nicht sieht oder nicht versteht.

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Quelle:
SZ vom 25.08.2017/vit
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