Abgasaffäre:Was der VW-Deal in den USA für Kunden in Deutschland bedeutet

A VW Golf VII car and a VW Passat are loaded  in a delivery tower at the plant of German carmaker Volkswagen in Wolfsburg

Autostadt in Wolfsburg: Wer in Deutschland seinen VW kauft, hat andere Rechte und Pflichten als Käufer in den Vereinigten Staaten. Im Fall des Diesel-Skandals heißt das: Eine Entschädigung ist nicht vorgesehen.

(Foto: Fabian Bimmer/Reuters)

Bis zu 10 000 Dollar soll jeder US-Kunde, dessen Auto von den Dieselmanipulationen betroffen ist, erhalten. Aber was heißt das für die VW-Fahrer in Deutschland?

Von Thomas Fromm und Klaus Ott

Für Volkswagen begann die Diesel-Affäre am 18. September 2015, als der Betrug mit manipulierten Abgasmessungen in den USA aufflog. Für den Touran-Fahrer Joachim Schmidt aus Dachau (Name von der Redaktion geändert) ging die Sache im Februar richtig los. Mit einen Brief, in dem VW "darüber informieren" wolle, dass auch "der in Ihrem Fahrzeug eingebaute Dieselmotor" betroffen sei. Dann folgte ein Satz, der beruhigen und versöhnen sollte: "Wir bedauern zutiefst, dass wir Ihr Vertrauen enttäuscht haben und werden diese Unregelmäßigkeit schnellstmöglich beheben."

Eine Entschuldigung, die Bitte um Vertrauen und ein schneller Werkstatttermin; Wolfsburger Krisenmanagement in drei Teilen. Entschuldigen und bitten geht schnell. Rückrufaktionen dauern länger.

Dabei hätten viele Kunden in Deutschland gerne etwas mehr, nämlich eine Entschädigung für den Betrug. So wie Kunden in den USA, denen VW jetzt bis zu 10 000 Dollar pro Fahrzeug überweisen will. VW lehnt das für europäische Kunden ab, denn juristisch lasse sich die Situation in den USA "nicht eins zu eins übersetzen".

Sammelklagen sind in Deutschland nicht vorgesehen. Das macht es schwieriger

Rund 15 Milliarden Dollar kostet VW der Vergleich in Übersee; allein an die zehn Milliarden Dollar davon gehen an die Kunden von rund 500 000 Dieselautos. Es genügt, diese Summe auf die weltweit elf Millionen Dieselfahrzeuge hochzurechnen, um zu verstehen, was dies finanziell für VW bedeuten würde.

Schmidt holte sich daher schon früh juristischen Rat bei einer Rechtsschutz-Versicherung. Die lehnte die Gewährung von Rechtsschutz ab, da eine Klage wegen der manipulierten Abgas-Werte gegen VW "keine Erfolgsaussichten" habe. Grund: Es sei "nicht erkennbar, welcher konkrete Anspruch" geltend gemacht werden solle. Kein Anspruch, kein Rechtsschutz. Stattdessen: ab zum Kfz-Mechaniker. Mehr springt möglicherweise in Deutschland nicht heraus. Das amerikanischen Rechtssystem ist eben ganz anders.

VW setzt darauf, dass deutschen Kunden vor Gericht die Puste ausgeht

Der größte Unterschied: Sammelklagen von Verbrauchern, wie sie in Übersee möglich und von Konzernen gefürchtet sind. In Deutschland gibt es dieses Instrument nicht. Das macht es für VW-Kunden schwieriger, sich gegen den Wolfsburger Autokonzern durchzusetzen. Große Anwaltskanzleien setzen daher auf Internetplattformen, bei denen die Kunden ihre Ansprüche an ein Unternehmen oder eine Stiftung abtreten können und das VW dann quasi stellvertretend verklagen oder Vergleiche aushandeln kann.

Auf diesem Umweg ließen sich "individuelle Ansprüche in Massenschadensfällen bündeln", sagt Christopher Rother aus der Kanzlei Hausfeld, die an dem jüngsten VW-Deal in den USA beteiligt ist und die auch in Europa Besitzer von VW-Dieselfahrzeugen vertritt. VW setze darauf, dass deutschen Kunden vor Gericht irgendwann die Puste ausgehe, um ihre Ansprüche individuell geltend zu machen. Dieses Kalkül werde nicht aufgehen, glaubt Rother.

Bisher stehen die meisten Gerichte aber hinter VW

Die Geschäftsgrundlage ist einfach: Das Klage-Risiko liegt bei den Betreibern solcher Internetplattformen, die andererseits auch daran verdienen und rund ein Drittel etwaiger Schadenersatzzahlungen als Provision verlangen. Ein gutes Geschäft für die Klage-Firmen; und für die Kanzleien, die ebenfalls gut verdienen.

Die bisherige Rechtsprechung ist allerdings nicht sehr eindeutig. Erst am Dienstag hatte das Landgericht Düsseldorf einem Audi-Käufer wenig Chancen für seine Klage auf Rückgabe des Autos eingeräumt. Auch bei der VW-Tochter Audi waren Schadstoffwerte manipuliert worden, weshalb der Kläger das Geld für seinen Audi A4 Turbodiesel zurückverlangt. Das Düsseldorfer Landgericht argumentiert, der Audi-Kunde könne sein Fahrzeug praktisch ohne Einschränkungen nutzen. Warum also ein Rückkauf?

Das beklagte Autohaus, das den Audi A4 verkauft hatte, verwies dagegen auf die neue, vom Kraftfahrt-Bundesamt genehmigt Software für den Motor. Ein Update ohne Nebenwirkungen, wo ist das Problem? So die Philosophie der Richter, die ihr Urteil am 16. August verkünden wollen. Mehrere Landgerichte, unter anderem in Bochum, habe solche Klagen inzwischen abgewiesen.

Bis Prozesse entschieden sind, dürften längst alle betroffenen Autos repariert sein

Andere Gerichte, unter anderem in München, haben VW-Kunden dagegen recht gegeben. In München setzte sich ein Ehepaar durch, das seinen Seat Ibiza zurückgeben will. Das Gericht befand, es liege eine arglistige Täuschung vor. Es sei "treuwidrig", einen niedrigen Schadstoffausstoß zunächst als besonderes Verkaufsargument einzusetzen, um dann hinterher höhere Stickoxidwerte als unerheblich abzutun.

Es sind, wohlgemerkt, Urteile in erster Instanz. Bis die Prozesse entschieden sind, dürften die betroffenen 2,4 Millionen Diesel-Fahrzeuge in Deutschland längst zurückgerufen und repariert sein.

Die Werkstatt-Lösung also

So bleibt den Kunden hierzulande bislang wenig mehr übrig, als neidvoll nach Amerika zu schauen, wo Behörden und Ministerien mächtig Druck gemacht haben. Anders als in Berlin. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt hatte noch im Frühjahr der SZ auf die Frage, ob europäische Kunden so behandelt werden sollten wie US-Fahrer, gesagt: "Wir haben ein anderes Rechtssystem als in den USA. Wir haben VW verpflichtet, die Fahrzeuge in einen rechtskonformen Zustand zu bringen."

Die Werkstatt-Lösung also. Kritikern reicht das nicht. Man habe in Europa "offenkundig Kunden zweiter Klasse", rügt Klaus Müller, Chef des Bundesverbands der Verbraucherzentralen. VW solle seinen Kunden "freiwillig eine Kompensation zahlen, die vergleichbar mit der ist, die den US-Konsumenten gezahlt wird", fordert auch EU-Industriekommissarin Elzieta Bienkowska. Doch freiwillig läuft gar nichts.

Die Signale von VW sind eindeutig

Viele VW-Kunden sind ungeduldig. Immer wieder verzögerten sich angekündigte Rückrufe, erst vor Kurzem konnten Passats in die Werkstätten geordert werden. Die betroffenen Autobesitzer hoffen, dass ihre Fahrzeuge nach der Umrüstung nicht mehr Sprit verbrauchen oder weniger PS auf die Straße bringen. Je besser dies klappt, desto schlechter dürfte die Aussicht auf eine Entschädigung sein.

Die Signale von VW sind eindeutig. Die 16 Milliarden Euro, die der Konzern wegen der Affäre beiseitegelegt hat, sind allein durch den Vergleich in Übersee nahezu aufgebraucht. Der Konzern aber hält daran fest: Die Rückstellungen reichen aus. Außerhalb der USA sollen die Kunden eben kein Geld bekommen. Viele Autobesitzer wären schon froh, wenn sie endlich einen Termin in der Werkstatt bekämen.

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