Volkswagen:Langes Zittern in Salzburg

IAA Frankfurt - Audi; Piech

VW-Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch hat schon frühere Konzernchefs demontiert - diesmal aber ist der Gegenwind kräftig.

(Foto: dpa)
  • Eine Sondersitzung der wichtigsten VW-Aufsichtsräte in Salzburg ist am Donnerstag zu Ende gegangen, ohne dass zunächst irgendein Ergebnis bekannt wurde. Erst am Freitag soll es eine offizielle Erklärung geben.
  • VW-Chef Martin Winterkorn ist - zumindest derzeit - noch im Amt.
  • Seit Tagen war ein solches Spitzentreffen erwartet worden. Denn Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch hatte sich vergangene Woche öffentlich gegen Winterkorn gestellt und damit eine Führungskrise ausgelöst.

Von Thomas Fromm

Einige Stunden dauerte das Krisentreffen der sechs Männer in Salzburg - danach ließ der VW-Konzern wissen: Es gibt an diesem Donnerstagabend keine Pressemitteilung mehr. Erst an diesem Freitag will man sich offiziell äußern. Das bedeutet zweierlei. Erstens: VW-Chef Martin Winterkorn, der eigens von Wolfsburg zum Sitz seines Aufsichtsratschefs Ferdinand Piëch nach Österreich gereist war, um dabei zu sein, wenn über seine Zukunft beraten wird - dieser Winterkorn war am Donnerstagabend zumindest noch im Amt. Zweitens: Es sollte weiterverhandelt werden. So lange, bis man eine Lösung hat. Der Stand der Gespräche sollte zunächst geheim bleiben, kein Wort über die Frage, ob Winterkorn noch eine Zukunft bei VW hat. Noch haben die Kontrolleure des Großkonzerns mit seinen 600 000 Mitarbeitern und 200 Milliarden Euro Umsatz ihre Probleme nicht gelöst. Es waren bleierne Stunden an diesem Donnerstag, noch am Vormittag wurde hektisch telefoniert. Stunden geheimer und fein austarierter Diplomatie. Stunden, die über alles entscheiden konnten bei Europas größtem Autokonzern: über die Zukunft von Konzernchef Martin Winterkorn, aber auch über die Zukunft des größten europäischen Autobauers VW. Es ging um alles: Am vergangenen Freitag hatte VW-Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch seinen Ziehsohn und jahrzehntelangen Vertrauten Winterkorn öffentlich demontierte. "Ich bin auf Distanz zu Winterkorn." Viel mehr sagte Piëch nicht, aber es reichte, um etwas in Gang zu setzen, für das der Begriff "Krisendiplomatie" noch eine Untertreibung wäre. Mit Piëchs knappem Satz war Winterkorn nicht nur für seinen seit Langem erwarteten Sprung an die Spitze des Aufsichtsrats erledigt.

Er war auch in seiner jetzigen Rolle als Konzernchef entmachtet.

Seit Tagen hatten die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat auf ein schnelles Spitzentreffen des sechsköpfigen Aufsichtsratspräsidiums gedrängt. Sechs Männer, die über das Schicksal eines siebenten und das eines ganzen Konzerns entscheiden sollten: Ferdinand Piëch, der IG-Metaller Berthold Huber, Betriebsratschef Bernd Osterloh, Wolfgang Porsche, Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und Osterloh-Vize Stephan Wolf.

Bloß kein wochenlanges Gezerre, kein Stillstand, keine Lähmung. Ein großer Familienzwist der Piëchs und Porsches wäre verheerend für einen Weltkonzern mit 600 000 Beschäftigten und einem Umsatz von 200 Milliarden Euro, der von den Großrivalen Toyota und General Motors auf allen Kontinenten erbittert bekämpft wird. Die Interessen waren von Anfang an klar, der Machtpoker hart, die Gemengelage unübersichtlich.

In den Hauptrollen: Piëch, der Königsmörder. Die Porsche-Familie, bislang als Königstreue. Ob sie es auch bleiben oder ob sie dem Clan-Patriarchen Piëch folgen würden, war ungewiss. Und da waren die mächtigen Arbeitnehmervertreter unter Gesamtbetriebsratschef Bernd Osterloh, die ebenfalls auf Distanz zu Piëch gegangen sind. Ferner dabei: das Land Niedersachsen, dem 20 Prozent an VW gehören. Und das Emirat Katar, dem seit dem Übernahmekampf zwischen Porsche und VW 2009 ebenfalls 17 Prozent am Konzern gehören. Die Araber sind auf Piëchs Seite. Sie waren die Ersten, die das offen gesagt haben. Hier hat jeder seine Interessen. Und wenn es nur um Geld geht.

Derjenige, dessen Zukunft hier verhandelt wurde, sollte ursprünglich am Nachmittag bei einer Klausurtagung der Fraktionsspitzen von Union und SPD teilnehmen und über Wirtschaftsthemen reden. Das wäre es gewesen: Hinter verschlossenen Türen ringen die sechs Top-Aufsichtsräte um die Zukunft ihres Chefs, und der steht in Göttingen und redet über Produktionsmethoden in VW-Fabriken, über Plattformstrategien, Querbaukästen und Märkte. Als der Termin mit der Polit-Prominenz gegen 12 Uhr mittags von VW abgesagt wurde, war klar warum.

Winterkorn ist beliebt bei den Arbeitnehmern, und er ist erfolgreich, hat den Konzernumsatz in den sieben Jahren seiner Amtszeit verdoppelt. Aber um Beliebtheit ging es bei VW noch nie, und dass der Technikfreak und Ingenieur Winterkorn der Mann der letzten Jahre war, heißt für Piëch noch lange nicht, dass er auch der Richtige für die Zukunft ist. Die margenschwache Stammmarke VW, seit Langem ungelöste Probleme auf dem US-amerikanischen Markt - der Chefkontrolleur soll in den vergangenen Monaten zu der Überzeugung gelangt sein, dass ein Wechsel an der Konzernspitze notwendig ist, und zwar bevor Winterkorns Vertrag 2016 ausläuft.

Volkswagen's CEO Winterkorn and Piech chairman of the supervisory board attend Frankfurt Motor Show

Früher mal, bei der Automesse IAA 2013, beste Freunde: VW-Chefmanager Martin Winterkorn und Eigentümer Ferdinand Piëch (von links).

(Foto: Kai Pfaffenbach/Reuers)

Doch der wollte nicht nur seinen Vertrag erfüllen - angeblich soll er in Salzburg zusätzlich auch noch eine Verlängerung gefordert haben. Für Piëch, der an diesem Freitag 78 Jahre alt wird, ist es die vielleicht wichtigste Schlacht seines Lebens. Und auch die schwierigste. Selbst wenn er die Porsches auf seine Seite ziehen würde, hätte er noch keine Mehrheit im Aufsichtsrat. Piëch hat Macht, Einfluss, Respekt. Aber für eine Mehrheit braucht er Verbündete.

Der Patriarch hat die Betriebsräte immer auf seine Seite ziehen können

Die Hälfte der 20 Aufsichtsratsmitglieder stammt von der Arbeitnehmerbank. Will Piëch seine Sache durchziehen, braucht er die Betriebsräte. In der Vergangenheit war ihm das stets gelungen. Der Konzern muss in den kommenden Jahren ein Milliarden-Sparprogramm durchziehen. Bislang sind hier - offiziell - keine Stellenstreichungen vorgesehen. Insider schließen aber nicht aus, dass es so weit kommen könnte.

Ein Beispiel: In den VW-Komponentenwerken sind die Personalkosten höher als vergleichbare Leistungen durch Zulieferer. Spätestens, wenn es Konfliktstoff gibt, müssen Lösungen her, sagen Konzernkenner. Geeinigt haben sich Piëch und seine Arbeitnehmer bislang immer.

Für Betriebsratschef Bernd Osterloh und den früheren IG-Metall-Chef Berthold Huber eine Dilemma-Situation: Sie wollen eigentlich an Winterkorn festhalten. Aber warum ein langes Machtvakuum riskieren, wenn Piëch, Porsche und die Kataris am Ende am gleichen Strang ziehen? Es ist eine ungute Sache, wenn ein Aufsichtsratschef seinen Chefmanager öffentlich abwatscht. Noch weniger gut aber wäre es, wenn daraus eine monatelange Führungskrise entstünde.

Als Piëch am vergangenen Freitag sein Urteil über Winterkorn fällte, war klar: Wenn der 67-Jährige bleibt, wird er geschwächt in seine letzten Monate gehen. Wenn er geht, werden mit der Zeit auch andere Manager gehen müssen. "Für diesen Fall steht VW eine große Personalrochade bevor", sagen Konzernkenner. Einer der Männer, die im Gespräch sind, ist Porsche-Chef Matthias Müller.

Piëch, der ewige Strippenzieher, bei der Arbeit: Die Leitfäden dafür hat er schon vor Jahren aufgeschrieben, in seiner "Auto-Biographie" aus dem Jahre 2002. Dort heißt es: "Aus tiefster Überzeugung habe ich lieber einen für die betreffende Situation unpassenden Manager gefeuert, als eine Schwächung des Unternehmens zu riskieren, die letztlich ein paar Tausend Arbeitsplätze kosten kann." Dies schrieb ein Mann, der von sich sagt, dass er "nicht ausgesprochen harmoniesüchtig" sei.

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