Süddeutsche Zeitung

Volkswagen:Kündigung eines Kronzeugen

  • Der Motorenexperte D. gehört zu jenen Beschäftigen, die Volkswagen wegen ihrer Verwicklung in die Abgasaffäre aktuell kündigen will und schon freigestellt hat.
  • Er hat, nach Informationen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR, zusammen mit anderen Kronzeugen, den früheren Konzernchef Martin Winterkorn schwer belastet.
  • Winterkorn und andere Manager verschont der Konzern - oder zahlt Abfindungen in Millionenhöhe.

Von Max Hägler und Klaus Ott

Unter anderen Umständen hätte Herr D., einer der führenden Motorenexperten bei Volkswagen, großen Grund zur Freude. Er ist seit 25 Jahren bei dem Autokonzern tätig, er hat sich vom Sachbearbeiter über den Teamleiter bis zum Abteilungsleiter hochgearbeitet. Jetzt könnte der Niedersachse ein stolzes Dienstjubiläum feiern, mit Urkunde und Lobreden von Vorgesetzten. Wäre da nicht die Abgasaffäre dazwischengekommen.

D. hat zusammen mit anderen VW-Technikern Dieselpartikelfilter entwickelt, worauf sie sehr stolz waren. Aber er hat eben auch die Schadstoffreinigung manipuliert, um strenge US-Grenzwerte einzuhalten. Der Abteilungsleiter hat bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig und den US-Behörden längst alles gestanden. Jetzt könnte D. seinen Job bei Volkswagen verlieren. Der Motorenexperte gehört zu jenen Beschäftigen, denen der Autokonzern wegen Verwicklung in die Abgasaffäre aktuell kündigen will und die er schon freigestellt hat.

Das wirft Fragen auf. Warum soll auch D. gefeuert werden? Er hat als erster VW-Manager in den USA die Manipulationen zugegeben. Er hat bei der US-Justiz den Status eines Kronzeugen und muss dort nicht mit Strafe rechnen, weil er ausgepackt hat. Er hat, nach Informationen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR, zusammen mit anderen Kronzeugen, den früheren Konzernchef Martin Winterkorn schwer belastet und wird in dieser Hinsicht von der Staatsanwaltschaft Braunschweig als glaubhaft betrachtet. Gegen Winterkorn, der mit einer Anklage rechnen muss, geht VW aber nicht vor.

Dass im Volkswagen-Konzern mit zweierlei Maß gemessen wird, belegt ein weiteres krasses Beispiel. Der frühere Audi-Ingenieur Giovanni P. bekommt von der Ingolstädter VW-Tochter im Wege einer Art Abfindungsvereinbarung nach und nach mehr als 1,5 Millionen Euro. P. ist ebenfalls in die Abgasaffäre verstrickt, er war von Audi gefeuert worden. Der Ingenieur wehrte sich; bei einem von ihm angestrengten Arbeitsgerichtstermin wäre öffentlich über den Skandal diskutiert worden. Daraufhin lenkte Audi ein. Anders als der VW-Mann D. hat der Audi-Mann P. bei den deutschen Behörden erst spät ausgepackt. Und erst dann, als er monatelang in Untersuchungshaft saß. Wieso aber erhält der eine, der erst im Gefängnis den Mund aufgemacht hat, einen Millionenbetrag? Und der andere, der viel früher zur Aufklärung beigetragen hat, soll büßen? Und warum wird Winterkorn weiterhin geschont?

VW-Version passt nicht zu Aussagen der Techniker

Aus Konzernkreisen und aus dem Umfeld des VW-Konzerns heißt es, man müsse jetzt handeln. Volkswagen habe kürzlich bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig Akteneinsicht bekommen. Und daraus ergebe sich, dass diverse Techniker schwer belastet seien. Das Arbeitsrecht schreibe vor, ein Unternehmen müsse innerhalb von 14 Tagen reagieren, wenn Erkenntnisse vorlägen, die Anlass für eine fristlose Kündigung gäben.

Das ist die eine, die halboffizielle Begründung. Daneben gibt es noch einen weiteren Grund dafür, dass VW eisern an der Version festhält, eine kleine Gruppe von Motorenexperten habe im Geheimen manipuliert und den eigenen Vorstand hintergangen. Das wird diesen Technikern ja auch bei den geplanten Kündigungen angelastet: Sie hätten ihre Betrügereien den Vorgesetzten verschwiegen und diese getäuscht. Mit dieser Version, die Winterkorn & Co. schont, will Volkswagen beim Oberlandesgericht Braunschweig Schadenersatzklagen in Höhe von rund neun Milliarden Euro abwehren.

Aktionäre machen den Autokonzern für Wertverluste ihrer Papiere verantwortlich: Der VW-Vorstand habe sie nicht über die Abgasmanipulationen und deren drohende finanzielle Folgen informiert. VW entgegnet, der Vorstand habe eben nichts gewusst. Dazu passt, dass der Konzern intern nur gegen Manager bis unterhalb des Konzernvorstands vorgeht. Dazu zählt jetzt offenbar auch Heinz-Jakob Neußer, ehedem VW-Markenchef und Winterkorn-Vertrauter, der ebenfalls mit seinem Rauswurf rechnen muss. Der Konzernspitze von Volkswagen gehörte er nicht an.

Zur VW-Version vom ahnungslosen Konzernvorstand passt aber nicht, was D. und andere in die Affäre verstrickte Techniker bei der Staatsanwaltschaft ausgesagt haben. Demnach will D. zusammen mit Kollegen Ende Juli 2015 bei einem Treffen in der Volkswagen-Zentrale in Wolfsburg den damaligen Chef Winterkorn ebenso wie den heutigen Chef Herbert Diess über die Manipulationen informiert haben. Siebeneinhalb Wochen, bevor die US-Behörden den Betrug öffentlich machten. Winterkorn und Diess bestreiten das. Diess leitet den Konzern seit April, er hat Offenheit in der Abgasaffäre versprochen. Nun sollen mehrere Kronzeugen gefeuert werden, die auch ihn belasten.

D. machte klar, dass er keine Lügen erzählen werde

Darunter eben auch D., der sich im Frühjahr 2016 bei gemeinsamen Vernehmungen durch die Staatsanwaltschaft Braunschweig und US-Ermittler reumütig gab: Er hätte 2006/2007, als die Betrügereien begannen, die Gelegenheit gehabt, etwas zu bewegen. Er habe diese Gelegenheit nicht genutzt und betrachte das heute als Fehler. Er sei seinen eigenen moralischen Maßstäben nicht gerecht geworden. Ein Vorgesetzter habe ihm damals gesagt, mit "Bedenkenträgerei" komme er im Unternehmen nicht weiter. Er, D., habe keine Konsequenzen gezogen und mitgemacht.

So lange, bis es zu spät war und Millionen Wagen Betrugssoftware eingebaut bekamen. Ganz am Ende hat D. aber nicht mehr geschwiegen. Als die US-Umweltbehörden nach und nach stutzig wurden, bekam der Abgas-Experte Mitte August 2015 bei VW den Auftrag, nach Übersee zu fliegen. Offenbar, um die Behörden weiter hinzuhalten. Bevor D. sich auf die Reise machte, will er intern in der Konzernzentrale vor Kollegen klargemacht haben, dass er in Übersee keine Lügen erzählen werde. Bei dem Behördentermin am 19. August 2015 habe er, als die Stimmung immer schlechter geworden sei, eine Skizze angefertigt. Und aufgezeichnet, wie VW manipuliere. Danach sei die Diskussion beendet gewesen.

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SZ vom 20.08.2018/pram
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