Autokartell:Volkswagen ist ein Konzern ohne Kontrolle

Außerordentliche Aufsichtsratssitzung bei Volkswagen

Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) vertritt das Land Niedersachsen im Volkswagen-Aufsichtsrat.

(Foto: dpa)

Seit Jahrzehnten gibt es bei Volkswagen immer wieder neue Skandale. Die Politik steckt selbst zu tief mit drin, um den Konzern wirklich im Griff zu haben.

Kommentar von Karl-Heinz Büschemann

Politische Hilflosigkeit hat einen neuen Namen: den des niedersächsischen SPD-Ministerpräsident Stephan Weil. Der sitzt im Volkswagen-Aufsichtsrat, der am Mittwoch vom Vorstand über die mögliche Beteiligung des Autokonzerns an illegalen Absprachen mit Konkurrenten informiert wurde. Aber nach der Sitzung kann der Politiker im Fernsehen nicht erklären, was bei VW geschehen ist: "Ich darf nicht alles sagen, was gesagt wurde", stammelt Weil. Er weiß etwas, was die Bürger über den vermuteten Betrug an Millionen Dieselfahrern dringend erfahren wollen. Aber er sagt es nicht. Das macht dann auch die Bürger sprachlos.

Weil steckt in der Klemme. Er ist einerseits Politiker, der seine Bürger vor Schaden zu bewahren hat. Zugleich aber vertritt er mit seinem Wirtschaftsminister im VW-Aufsichtsrat das Land Niedersachsen, das 20 Prozent der Aktien des Konzerns hält. In der einen Rolle ist er dem Gemeinwohl verpflichtet. In seiner Funktion als Aufsichtsrat hat er laut Gesetz die Interessen des Konzerns zu wahren. In der Politikerolle muss er reden, als Aufsichtsrat ist er zum Schweigen verpflichtet. Beide Rollen sind nicht miteinander vereinbar.

So wird deutlich, wie fatal es ist, dass das Land Niedersachsen noch an dem Konzern beteiligt ist, der mehrheitlich den Familien Porsche und Piëch gehört. Diese Beteiligung stammt aus der Nachkriegszeit, als die britische Besatzungsmacht den von Hitler gegründeten Käfer-Bauer an die Deutschen zurückgab. Zunächst war VW ein Staatsbetrieb, der aber bald vom Bund privatisiert wurde. Nur Niedersachsen blieb Aktionär, und das mit erheblichen Sonderrechten.

Die Politiker in Hannover glauben, ihrem Bundesland Gutes zu tun, wenn sie direkt Einfluss auf ihren größten Arbeitgeber nehmen. Sie glauben, so würden die Jobs in Wolfsburg oder Emden sicherer. Unternehmen und Politik in einem Boot, das galt in der jungen Bundesrepublik als Erfolgsrezept. Der Fall VW zeigt, wie falsch diese Sicht ist. Die Interessen von Staat und Wirtschaft sind häufig nicht identisch. Die Kumpanei von Politik und Konzern im Norden verdeckt den grundlegenden Konflikt.

Bei VW ist der Staat seit Langem mehr ein Teil des Problems als der Förderer von guten Lösungen. Gemeinsam mit der IG Metall regiert die Politik faktisch den größten Autokonzern Europas. Gegen das Land und die Arbeitnehmer geht in Wolfsburg nichts. Bei VW steht der Schutz der Arbeitsplätze an erster Stelle, vor allem, wenn es um die Jobs in Niedersachsen geht. Das mag sozial klingen, ist es aber nicht. Das Machtgefüge bei VW macht den Konzern mit seinen weltweit 600 000 Beschäftigten anfällig für Skandale und Fehlentscheidungen. Sobald Arbeitsplätze von VW gefährdet sein könnten, gibt es die Verlockung, diese Bedrohung abzuwenden. Das schafft Anreize beim Management, zu Methoden zu greifen, die nicht ganz sauber sind.

Die vorsätzliche Fälschung von Abgaswerten mithilfe einer Software ist nur einer von vielen VW-Skandalen. Vorher gab es eine Krise, weil Betriebsräte mit Bestechung und Prostituierten gefügig gemacht worden waren. Wiederum etwa zehn Jahre davor musste der damalige Kanzler Helmut Kohl bei US-Präsident Bill Clinton als Bittsteller vorstellig werden, weil VW in der Lopez-Affäre Daten von dem US-Konkurrenten General Motors gestohlen hatte, um die Zulieferer zu besseren Preisen zu nötigen. VW ist krisenanfällig, weil in Wolfsburg die Kontrolle seit Jahrzehnten nicht funktioniert.

Am besten wäre es, Niedersachsen gäbe seine Beteiligung an VW auf

Der VW-Aufsichtsrat ist ein politisches Gremium, kein wirtschaftliches. Die meisten Kontrolleure sind nicht unabhängig, wie sie es laut Gesetz sein sollten. Wo die Arbeitnehmervertreter der IG Metall vor allem auf den Erhalt der Jobs in Deutschland achten, wo die beiden Entsandten von Niedersachsen zuerst die Vorteile des Landes sehen, kann von Kontrolle nach unternehmerischen Kriterien im Sinne eines Weltkonzerns nicht die Rede sein.

Die Landesregierung täte sich und dem Land den größten Gefallen, wenn sie ihre Beteiligung an VW aufgäbe. Die häufigen Krisen im Konzern sind ein Beleg dafür, dass kein Arbeitsplatz bei VW sicherer ist als anderswo, nur weil der Staat mitmischt. Und wenn das Land zu diesem Schritt nicht bereit ist, sollte es wenigstens nicht länger Regierungsmitglieder in den VW-Aufsichtsrat entsenden. Die Rolle der Kontrolleure sollten Fachleute übernehmen.

Ohne die Schweigepflicht eines Aufsichtsrats könnte Ministerpräsident Weil gegenüber der Öffentlichkeit deutlicher auftreten als heute. Er könnte dem Management mehr Druck machen, die katastrophale Informationspolitik zu beenden. Stattdessen trägt er selbst dazu bei.

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