Volkswagen:Kampf um die Wolfsburg

Der Kleine greift den Großen an - und trifft auf teils erbitterten Widerstand.

Karl-Heinz Büschemann und Michael Kuntz

Martin Winterkorn ist nicht zu beneiden. Der Chef von Volkswagen muss am Donnerstag der Presse die Bilanz des Unternehmens vorlegen. Eigentlich eine schöne Aufgabe.

Die Zahlen des Unternehmens sind nicht schlecht, der Gewinn steigt, der Umsatz auch. VW hat sich gut entwickelt, seit Winterkorn Anfang 2007 der Chef von VW wurde. Unangenehm für ihn ist eher, dass er auch wird erklären müssen, wie es mit Europas größtem Autokonzern weitergeht, wie das genau laufen soll mit dem neuen Eigentümer Porsche oder was Volkswagen im europäischen Markt für Lastwagen und Busse im Schilde führt.

Der VW-Chef wird in vielen Fällen keine Antwort geben können. Bei VW haben im Moment andere die Fäden in der Hand. Die österreichischen Unternehmerfamilien Porsche und Piëch, die gemeinsam den Sportwagenhersteller Porsche besitzen, planen die Übernahme von VW und sorgen für den größten Umbruch in der Unternehmensgeschichte.

Sie tun es auf zwei Schauplätzen. Bei VW in Wolfsburg dirigiert Ferdinand Piëch das Geschehen. Der 70-Jährige ist ein Enkel des VW-Käfer-Erfinders Ferdinand Piëch und Aufsichtsratschef von Volkswagen. In Zuffenhausen sitzt Wolfgang Porsche auf dem Stuhl des Aufsichtsratsvorsitzenden. Auch er hat Ferdinand Porsche zum Großvater. Sein Vater war Ferry Porsche, der auch Gründer des Sportwagenherstellers Porsche ist. Wolfgang Porsche ist der Chef der Familie, die bei Porsche mehr zu sagen hat als der Clan der Piëchs. Aber Piëch versteht etwas von Autos.

Beide zusammen schmieden den neuen Konzern. Doch für das ehrgeizige Vorhaben brauchen sie ihren leitenden Angestellten Wendelin Wiedeking, der Porsche führt. Der hat den Sportwagenbauer so profitabel gemacht, dass die Familien Porsche und Piëch steinreich wurden und VW für die Zuffenhauser zur Beute werden konnte.

75 Prozent. Oder nur gut 50?

Piëch wurde 1993 Chef von Volkswagen, seit Jahr 2002 sitzt er dem Aufsichtsrat von VW vor. Der asketisch wirkende Autoingenieur hat dem Konzern seinen Stempel aufgedrückt, wie keiner zuvor. Und er will den Wolfsburger Konzern, zu dem bisher die Pkw-Marken VW, Audi, Skoda und Seat gehören, groß ins Lastwagen-Geschäft bringen. Vergangene Woche landete Piëch einen bemerkenswerten Coup. VW kaufte überraschend die Mehrheit an dem schwedischen Lkw-Hersteller Scania. Jetzt ist es nur noch eine Frage der Zeit, wann VW auch den Anteil am Münchner Lkw-Hersteller MAN über die 50 Prozent bringt, an dem es bereits 30 Prozent hält.

In Zuffenhausen ist Unternehmenschef Wiedeking seit mehr als zwei Jahren dabei, den Übernahmeplan für Volkswagen zu entwerfen. Bisher hält Porsche 31 Prozent an VW, doch der Anteil soll weiter steigen. "Ich erwarte, dass die bald 75 Prozent haben werden", sagt ein Mitglied des VW-Aufsichtsrats der Süddeutschen Zeitung. Porsche selber redet davon, dass es zumindest über 50 Prozent sein sollen. Die beiden Unternehmen wären damit ein Konzern. Die neue Porsche-Gruppe würde alles vom Sportwagen bis zum Luxusbus bauen, und sie wäre in der Hand zweier Familien.

Die Aussicht, dass Porsche VW übernimmt, sorgt vor allem bei der VW-Belegschaft für Unruhe. Die will sich nicht damit abfinden, dass die kleine Sportwagenschmiede mit nur 10000 Mitarbeitern, dem Weltkonzern aus Wolfsburg seinen Willen aufzwingt, der über 300000 Beschäftigte hat. Anfangs wurde der Einstieg von Porsche im September 2005 in Wolfsburg noch begrüßt. Denn den VWlern dämmerte, dass Wiedeking den VW-Konzern vor der Übernahme durch einen Finanzinvestor bewahrt hatte.

Kampf um die Wolfsburg

Zweitens kam mit Porsche ein langjähriger Partner ins Haus. Volkswagen, Audi und Porsche bauen Geländewagen gemeinsam. Die Karosserie des neuen Porsche-Viersitzers wird bei VW geschweißt. Dass VW mit Porsche einen langfristig orientierten Großaktionär bekam, empfanden viele in Wolfsburg als Bereicherung. Schließlich hatte Wiedeking das zu Beginn der 90er Jahre fast konkursreife Unternehmen Porsche zum profitabelsten Autohersteller der Welt gemacht. Selbst der VW-Betriebsrat sah den Einstieg von Porsche anfangs positiv. Zweifel kamen erst im vorigen Jahr auf, als Wendelin Wiedeking von den "heiligen Kühen" sprach, die es bei VW gebe und die es zu schlachten gelte.

Der Betriebsratsvorsitzende von Volkswagen, Bernd Osterloh, ist inzwischen auf Wiedeking so wütend, dass er den Aufkauf von VW bereits in die Nähe einer "feindliche Übernahme" rückte. Er drohte sogar, mit der VW-Belegschaft nach Zuffenhausen zu reisen, um dort gegen Porsche zu demonstrieren.

Was Osterloh so aufbringt, ist Wiedekings neue Holding-Gesellschaft, die sowohl Porsche als auch VW führen soll. Schnell stellte sich heraus, dass Wiedeking die Mitbestimmung in der neuen Gesellschaft allein mit dem Betriebsrat von

Porsche vereinbart hat. Beide Unternehmen sollen gleich viele Arbeitnehmer in den Aufsichtsrat der Holding entsenden. Für die Wolfsburger eine Provokation. "Wir brauchen Porsche nicht", sagt Osterloh.

Auch das VW-Management ist zunehmend genervt von Wiedeking. VW-Chef Martin Winterkorn, der seit seinem Amtsantritt in Wolfsburg Anfang 2007 eine deutliche Aufbruchstimmung erzeugte, muss sich zunehmend mit ungebetenen Vorschlägen von Wiedeking herumärgern. Der Porsche-Mann kritisiert im Aufsichtsrat von VW, dass zehn Prozent der Kapazitäten der VW-Werke nicht genutzt sind. Oder er bemängelt die Markenstrategie. Der VW-Konzern gebe die moderne Autotechnik viel zu billig an die Konzernmarken Audi und Skoda. Das will er ändern.

"Keiner soll dominieren"

Möglich ist aber auch, dass der nicht für verbale Zurückhaltung bekannte Wiedeking die politische Dimension des Einstiegs bei VW unterschätzt. Der selbstbewusste Porsche-Aufmarsch vor den Toren der Wolfsburg hat längst die Politiker aufgeschreckt. Auch auf Drängen des VW-Betriebsrats bastelt die Bundesregierung inzwischen an einem neuen VW-Gesetz, das den Einfluss von Porsche möglichst gering halten soll. Der Gesetzentwurf soll das alte VW-Gesetz ersetzen, das aus dem Jahr 1960 stammte. Dieses begrenzte das Stimmrecht aller Aktiönäre auf 20 Prozent. So konnte niemand Niedersachsen überstimmen.

In der neuen Fassung plant die Bundesjustizministerin eine Regel, die für wichtige Entscheidungen wie Betriebsverlagerungen eine Stimmenmehrheit in der Hauptversammlung von 80 Prozent verlangt. Damit hätte Niedersachsen weiter praktisch ein Vetorecht. Ministerpräsident Christian Wulff hat selbst in Berlin für das neue VW-Gesetz Stimmung gemacht: "Kein Aktionär soll so mächtig sein, dass er dieses Unternehmen allein dominieren kann." Das war als eine gezielte Stichelei gegen Porsche zu verstehen. Wiedeking läuft gegen das neue Gesetz Sturm.

Sorgen bereitet auch die Ungewissheit, wie es im Familienunternehmen Porsche & Piëch weitergeht, wenn die beiden Clanführer Wolfgang Porsche und sein Vetter Ferdinand Piëch als Aufsichtsratsvorsitzende einmal abtreten. Denn zu den beiden Familienstämmen gehören inzwischen etwa sechzig Personen. Darunter könnten einige sein mit Interesse vor allem am Geld.

Sollten sie sich eines Tages durchsetzen, würde die Zerschlagung des Konzerns drohen, befürchtet ein Insider. Durch einen Börsengang der VW-Tochter Audi könnte solch eine Operation mühelos finanziert werden. Sollte es so kommen, dann wäre Volkswagen doch unter die Heuschrecken geraten.

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