Volkswagen:Jetzt eskaliert der Machtkampf bei VW

Volkswagen: VW-Mitarbeiter bei einer Betriebsversammlung in Wolfsburg.

VW-Mitarbeiter bei einer Betriebsversammlung in Wolfsburg.

(Foto: Odd Andersen/AFP)
  • In einem Brief der VW-Betriebsräte ist von einem "gravierenden Vertrauensproblem" zwischen Vorstand und Betriebsrat die Rede.
  • Die Vorstände wollen wohl nicht auf Millionen-Boni verzichten. Und der Betriebsrat fürchtet Stellenstreichungen. Eine schwierige Mischung.

Von Thomas Fromm

Es ist nicht so, dass die VW-Konzernchefs ihre Leute nicht rechtzeitig auf schlimme Zeiten eingeschworen hätten. Im Herbst 2015, nur wenige Wochen, nachdem die Dieselaffäre bekannt geworden war, richtete VW-Chef Matthias Müller ungewöhnlich martialische Worte an seine 600 000 Mitarbeiter: "Ich bin ganz offen zu Ihnen", sagte er. "Das alles wird nicht ohne Schmerzen gehen." Später dann sprach er davon, dass alle den "Gürtel enger schnallen" müssten, auch die Topmanager mit ihren Millionen-Jahresboni.

Wir haben hier eine Affäre, Milliardenstrafzahlungen drohen, die Zeiten sind hart, wir sitzen alle im gleichen Boot und halten zusammen - das war die Botschaft. Schmerzen, enger Gürtel, es ging sogar noch drastischer: Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch erklärte die Lage bei VW vor einigen Monaten als "existenzbedrohend". Das war nicht mehr zu toppen.

Chaostage in Wolfsburg

Nun aber bricht die sorgfältig aufgebaute interne Krisenkommunikation von VW auseinander. Denn die Vorstände sind offenbar nicht bereit, auf die Auszahlung ihrer Millionen-Boni zu verzichten. Und Pötsch, der Mann, der den Konzern noch vor Kurzem in seiner Existenz bedroht sah, soll sich seinen Wechsel vom lukrativen Finanzressort in den weniger lukrativen Aufsichtsrat im vergangenen Jahr mit einer Millionenzahlung kompensieren lassen. Das alles kommt in Zeiten, in denen der Belegschaft Schmerzen verordnet und Gürtel enger geschnallt werden, gar nicht gut an.

Chaostage in Wolfsburg: Der Streit schwelt seit Monaten, am Donnerstag brach er dann offen aus - mit einem Brief der Betriebsräte, in dem von einem "gravierenden Vertrauensproblem" zwischen dem Vorstand der Marke VW und Gesamtbetriebsrat die Rede ist. VW-Markenchef Herbert Diess, der erst im vergangenen Sommer von BMW zu VW wechselte, und Betriebsratschef Bernd Osterloh - es war von Anfang an keine Liebe. Die Mission des Neuen aus Bayern war, schon vor der Diesel-Affäre: Die Marke VW profitabler machen, den alten Konzern durchforsten und die Kosten drücken. Man habe den "Eindruck, dass der Diesel-Skandal hinterrücks dazu genutzt werden soll, personelle Einschnitte vorzunehmen, die bis vor wenigen Monaten kein Thema waren", heißt es nun in dem Brief des Betriebsrats.

Boni hier, Kürzungen da - eine schwierige Mischung. Die Tarifbeschäftigten hatten noch 2014 eine Prämie von 5 900 Euro überwiesen bekommen. "Erfolgsprämie" hieß das damals noch. Wie viel Geld es für das vergangene Jahr gibt, wissen die Beschäftigten noch nicht. Die Rede ist diesmal nur noch von einer "Anerkennungsprämie", und das klingt nicht so, als würde der Konzern seinen Mitarbeitern noch einmal kräftig nachschenken. Im Gegenteil.

Zuerst trifft es die Leiharbeiter

Wer also soll die milliardenschwere Zeche für den Skandal zahlen? Die da oben? Die da unten? Mehr als ein halbes Jahr, nachdem der Skandal um manipulierte Abgasmessungen bei Dieselautos hochkochte, eskaliert der Machtkampf zwischen Arbeitnehmern und Management - und das in Tagen, die für VW wegen der vielen Milliardenklagen und dem Streit mit den US-Behörden ohnehin existenziell sind.

Tatsächlich ändert sich der Konzern, bevor überhaupt erste Strafzahlungen fällig sind. Zuerst trifft es die Leiharbeiter; Verträge von mehr als 1 000 von ihnen laufen aus oder sind schon ausgelaufen. Auch Planstellen sind betroffen: Jeder zehnte Job in der VW-Verwaltung soll bis Ende 2017 wegfallen; die Rede ist von 3 000 Stellen. Und das ist wohl nur der Anfang, keiner weiß, wie viele Milliarden VW die Affäre kosten wird. Und deshalb weiß keiner, wo demnächst noch alles gestrichen wird. "Wir brauchen eine verlässliche Planung in diesen Zeiten", heißt es aus dem Betriebsrat. Daher wolle man nun einen gemeinsamen Pakt für die Zukunft. "Darin wollen wir feste Produkt-, Stückzahl- und Investitionszusagen für die nächsten Jahre festschreiben". Osterloh, der mächtige Betriebsratschef, seit 2005 im Amt, hat schon viele Manager in Wolfsburg überlebt. Jetzt bittet er den Vorstand zu Tisch. "Da mündliche Zusagen derzeit nichts wert sind, wollen wir jetzt verbindliche Verträge", sagt er. Der Ton wird rauer in Wolfsburg.

Der Konzern ist tief gespalten

Die Reaktion des Managements auf den Brandbrief: erstaunlich diplomatisch. "Wir begrüßen ausdrücklich das Verhandlungsangebot für einen langfristigen Zukunftspakt", sagte der Personalvorstand der Marke Volkswagen, Karlheinz Blessing. Dass nicht Diess selbst auf die Vorwürfe reagierte, zeigt, wie die Machtverhältnisse in Wolfsburg derzeit sortiert werden.

Hinter den Kulissen wird heftig gerungen. Um Jobs, aber auch um Boni. Für Pötsch, seit seiner Aussage von der "existenzbedrohenden Krise" so etwas wie der Apokalyptiker im Topmanagement, wurde nach SZ-Informationen bereits bei einer Aufsichtsratssitzung im September eine Sonderzahlung von mehreren Millionen Euro vereinbart. Dafür, dass der Ex-Finanzvorstand, der 2014 laut Geschäftsbericht noch 6,4 Millionen Euro verdiente, auf den weit weniger einträglichen Aufsichtsratsvorsitz wechselte. VW will das nicht kommentieren, über Vergütungsthemen werde der Aufsichtsrat in zwei Wochen entscheiden. Aber das Thema ist nun gesetzt - und der Konzern tief gespalten.

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