Hauptversammlungen von Unternehmen waren schon immer Veranstaltungen, auf denen Aktionärinnen und Aktionäre den Firmenverantwortlichen auch mal harte Kritik entgegenschleudern können. In Live-Formaten, meist in großen Hallen, hatte das oft noch eine ganz andere Wucht, als wenn man sich nur über einen Computerbildschirm sieht. Nun verzichtete der Volkswagen-Konzern schon zum zweiten Mal hintereinander auf einen Austausch vor Ort – offiziell aus Kostengründen. Doch auch bei der virtuellen Hauptversammlung am Freitag wurde deutlich: Der Frust bei vielen Anlegern ist immer noch groß, genau wie die Fragezeichen, ob der Autohersteller wieder zu früheren Börsenerfolgen zurückkehren kann.
Ein großes Sorgenkind aus Sicht der Anleger ist natürlich der Aktienkurs. Im vergangenen Jahr ging es für VW an der Börse rund 20 Prozent nach unten, während der europäische Auto-Index lediglich zwölf Prozent nachgegeben hatte. Ingo Speich von der Fondsgesellschaft Deka Investment nannte 2024 in seiner Rede auf der Hauptversammlung ein „weiteres Jahr des Niedergangs“. Bei Investoren sei Aufbruch der Resignation gewichen, „wir können nur noch hoffen“. Immerhin, in diesem Jahr ist es für die VW-Aktie bisher um 17 Prozent nach oben gegangen. Im VW-Vorstand sehen sie das als Zeichen, dass man die richtigen Entscheidungen getroffen hat.
VW-Chef Oliver Blume versucht auch gar nicht erst, die Lage am Kapitalmarkt schönzureden. Ja, er sei nicht zufrieden mit dem Aktienkurs. Zwar laufe es aktuell etwas besser, aber „alles weiterhin auf niedrigem Niveau. Auch hier liegt unser Anspruch deutlich höher“.
Doch woher soll der Aufschwung kommen? Immerhin: Die Verkaufszahlen in Deutschland bieten Anlass für etwas Optimismus. Von Januar bis April verkaufte Volkswagen mehr als 35 000 Elektrofahrzeuge, so viele wie kein anderer Autobauer. Das geht aus Daten des Kraftfahrt-Bundesamtes vom Freitag hervor. Aus Unternehmenskreisen heißt es, viele dieser Verkäufe resultieren aus großen Rabattaktionen und niedrigen Leasingraten, die VW in den ersten Monaten des Jahres aufrief. Ziel sei gewesen, sich bei den CO₂-Grenzwerten der EU etwas Luft zu verschaffen. Denn um die zu schaffen, braucht VW mehr verkaufte E-Autos. Auch wenn die Ziele nun zeitlich gestreckt wurden – für VW ist jedes verkaufte E-Auto erst einmal ein Hoffnungsschimmer.
Der US-Präsident kann innerhalb kürzester Zeit alle Prognosen der deutschen Hersteller obsolet machen
Auch die Aktionäre sehen durchaus gute Ansätze in der Strategie des Managements. Das große Sparprogramm, inklusive des Abbaus von Zehntausenden Jobs in den kommenden fünf Jahren, halten viele für richtig beziehungsweise für unausweichlich. Auch die Partnerschaften mit chinesischen Herstellern, um auf dem dortigen Markt bei Elektroautos und Software schneller und konkurrenzfähig zu sein, stößt bei den Vertretern der Anteilseigner grundsätzlich auf Zustimmung. Große Hoffnungen setzen sie auch in die günstigeren E-Autos, die VW nun endlich ins Programm aufnehmen will. Und doch blicken viele Aktionäre mit Vorbehalt auf die Finanzziele für dieses und kommendes Jahr. Denn bis sich all die Maßnahmen des Vorstands auszahlen könnten, dürfte es noch mindestens zwei Jahre dauern.
Ein langer Zeitraum, vor allem, wenn in den USA ein Präsident regiert, der innerhalb weniger Wochen die Prognosen der deutschen Autohersteller komplett durcheinanderwürfeln kann. Das US-Geschäft ist die große Unbekannte auch im VW-Konzern. Die Zölle, die Donald Trump für Autos und deren Einzelteile erhebt, treffen die Wolfsburger hart. Dabei geht es nicht nur um die Marke Volkswagen, die immerhin eine große Fabrik in den USA hat. In erster Linie setzen die Zölle Audi und Porsche unter Druck – also ausgerechnet die Marken, die das Konzernergebnis traditionell nach oben gehievt haben. Beide Marken bauen aktuell keine Autos in den USA. Ob sich das bald ändern wird? „Wie für China entwickeln wir auch für Nordamerika ein Zielbild. Mit klarem Maßnahmenplan und Verantwortlichkeiten“, sagte Blume dazu. Volkswagen sehe in dieser Region ein deutliches Potenzial, trotz der bekannten handelspolitischen Herausforderungen.
Doch der größte Kritikpunkt auf der Hauptversammlung war einmal mehr die Unternehmensführung. „Katastrophal“ sei die Corporate Governance, sagte Deka-Vertreter Ingo Speich. „Volkswagen hat mit Herrn Blume nur einen Teilzeit-CEO, dem die Probleme über den Kopf wachsen“, kritisierte Janne Werning von der Fondsgesellschaft Union Investment. Mehrere Aktionärsvertreter forderten Blume auf, unverzüglich seine Doppelrolle als Konzern- und Porsche-Chef zu beenden. Zudem seien auch in anderen Gremien Posten so besetzt, dass eine echte Kontrolle, wie sie der Aufsichtsrat ausüben soll, nicht möglich sei. Hendrik Schmidt von der DWS sagte: „Es verfestigt sich der Eindruck, dass bei Volkswagen Macht statt Markt dominiert.“ Blume ließ die Kritik an sich abprallen, nannte seine Doppelrolle sogar ein „Erfolgsrezept“, die Vorteile würden „bei Weitem überwiegen“. Für die Ewigkeit sei das Konzept nicht gedacht, aber wie lange noch? Das liege in den Händen des Aufsichtsrats.