Volkswagen:Frisch lackiert

Herbert Diess, der neue Vorstandschef von Volkswagen, stellt sich den Aktionären. Er präsentiert sich besser gelaunt als sein Vorgänger, dennoch trauert mancher dem geschassten Boss Müller nach.

Von Max Hägler und Angelika Slavik, Berlin

Volkswagen - Hauptversammlung

Herbert Diess, neuer Vorstandsvorsitzender von Volkswagen, spricht bei der Hauptversammlung auf dem Berliner Messegelände.

(Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

So ein Imagefilm birgt für Unternehmen ja immer die Gefahr unbeabsichtigter Komik, da geht es auch Volkswagen nicht anders. Für den Auftakt der Aktionärsversammlung an diesem Donnerstag hat der Konzern ein aufwendiges Filmchen gestaltet. Das Licht in der Halle auf dem Gelände der Berliner Messe wird gedimmt, die Musik setzt ein, und dem Publikum wird Volkswagens neue Welt präsentiert: Man sieht Wasserfälle und Herbstlaub, Drohnen fliegen herum, forschende Menschen lächeln und, natürlich, Autos durchqueren die Wüste. Es wirkt ein bisschen wie ein Zusammenschnitt der schönsten Werbespots für Lebensversicherungen und Merci-Schokolade. Dazu sagt eine Stimme aus dem Off dann diesen Satz: "Es gibt die, die vor uns kamen - und die, die nach uns kommen werden."

Vor allem aber gibt es ja den, der jetzt gerade da ist: Herbert Diess.

Seit genau drei Wochen ist der 59-Jährige der Vorstandsvorsitzende von Volkswagen. Den Wechsel an der Konzernspitze nannten manche überraschend und andere einen Putsch. An diesem Donnerstag muss sich der neue König von Wolfsburg nun den Aktionären stellen. Er hat, das ist schon vorher klar, nichts Neues zu verkünden. Er wird sagen, dass alles besser werden muss und VW "anständiger". Wie werden die Aktionäre das finden? Wie werden sie ihn finden?

Diess, das zumindest unterscheidet ihn von Beginn an von seinem Vorgänger, dem stets leicht griesgrämigen Matthias Müller, strahlt wie frisch lackiert, als er ans Podium tritt. Er sagt, was auch Müller gesagt hätte. Wenn auch eine Spur schärfer.

Als er seinem Vorgänger "Dank und Respekt" ausspricht, fällt der Applaus zögerlich aus. Es scheint, als wüsste dieser Saal nicht so recht, wie man die Ära Müller nun beurteilen soll: Unter dessen Ägide erwirtschaftete VW das beste Ergebnis der Konzerngeschichte, kam in Sachen E-Mobilität endlich in die Gänge. Aber Müller war eben auch ein Grantler, einer, dem es schwerfiel, jene Demut zu demonstrieren, die man von einem Konzern erwarten kann, der für den vielleicht größten Betrug der Nachkriegsgeschichte verantwortlich ist. Müller, so erschien es, verstand nie den Wert eines konsequenten Entschuldigens. Er konnte die Aufregung nicht nachvollziehen, die um sein Gehalt entstand. 10,2 Millionen Euro, das sei unverschämt, fand die Öffentlichkeit. 10,2 Millionen, so sei eben der Vertrag, fand Müller.

Man kann schon jetzt sagen, dass diese Dinge Diess wohl nicht passieren werden. Diess, gebürtiger Münchner mit österreichischem Pass, ist rhetorisch geschickter, er hat zudem sensiblere Antennen für die gesellschaftliche Stimmung. Vor den Aktionären sagt Diess: Man müsse auch unbequeme Wahrheiten aussprechen. "Zum Beispiel, dass nicht alles, was legal sein mag, auch legitim ist."

Einer sagt, Vorstandsmitglieder würden ausgetauscht wie die Trainer des VfL Wolfsburg

Ist das ein subtiler Tritt gegen den geschassten Müller? Die Aktionäre jedenfalls beschäftigt dieser Wechsel. Einer sagt, Vorstandsmitglieder bei VW würden ja mittlerweile ausgetauscht wie die Trainer des VfL Wolfsburg. Nur anders als die Wechsel beim Fußball seien die Gründe beim Konzern "völlig nebulös". Ein anderer sagt, Diess solle nur aufpassen, dass er nicht bald ähnlich "entsorgt" werde, wie das Müller passiert sei. Dem haben Arbeitnehmer und die bestimmenden Eigentümer hinterhergerufen: Bei allen Verdiensten ("Herausragendes geleistet") und bei aller lobenswerten Aufrichtigkeit sei Müller zuletzt zu unentschlossen gewesen. Zu fern vom operativen Geschäft sei er gewesen, vom Autobau und -verkauf. Zu viele Reibungsverluste habe es in seiner Zeit gegeben, zwischen Konzern und Marken. Diess macht es anders, konzentriert Macht bei sich. Und sagt: "Unser neues Führungsmodell macht damit Schluss!" Das ist ein eher unverhohlener Tritt gegen seinen Vorgänger, der natürlich nicht im Saal ist, einem laufenden "Beratervertrag" zum Trotz.

Bei Hauptversammlungen geht es mitunter turbulent zu, die Aktionäre sind meist sehr kritisch, oft aufgebracht und manchmal, nun ja, kabarettistisch begabt. Was Diess' umfangreiche Tätigkeiten anbelangt (Chef des Konzerns mit seinen 642 000 Mitarbeitern und der Marke VW; verantwortlich für die Computerisierung der Autos und die gesamte Konzernforschung und -entwicklung), sagt ein Aktionärsvertreter: "Ein Acht-Stunden-Tag ist das jedenfalls nicht." Bei dieser Hauptversammlung aber spürt man die Erschöpfung. Die Dieselaffäre dauert nun schon zweieinhalb Jahre, die Enthüllungen haben alle Dimensionen dessen, was Aktionäre und Mitarbeiter je für möglich gehalten hätten, gesprengt. Alle sind müde geworden. Der angemietete Saal ist kaum zur Hälfte gefüllt. Sogar die Peta-Aktivisten, die vor dem Gebäude gegen VW protestieren, fahren kreativ auf Sparflamme: Ihre Protestplakate sind die gleichen wie vor ein paar Wochen bei der Jahrespressekonferenz in Berlin. Manipulierte Autos, gequälte Affen: Der Betrug war riesig, die Aufregung auch, aber jetzt gibt es einfach keine neuen Worte mehr.

Und ja: 3,96 Euro Dividende je Aktie beruhigen vielleicht auch.

Diess, Ex-Chef Müller und Aufsichtsratsvorsitzender Hans Dieter Pötsch wurden mit jeweils 98,93 Prozent der Stimmen entlastet. Diess strahlte an diesem Donnerstag eine virile Beschwingtheit aus. Die Aktionärsfragen, auch die unfreundlichen und die skurrilen, beantwortete er mit konstanter Freundlichkeit, ohne den Eindruck zu erwecken, er sei auch nur minimal angestrengt, gelangweilt oder genervt. Vielleicht ist das der Unterschied zur alten Ära: Diess hat so viel Lust an der neuen Machtposition, dass ihn die Unannehmlichkeiten des Jobs nicht tangieren.

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