Volkswagen:Die Zweifel werden größer

Martin Winterkorn

Winterkorn soll bereits im Mai 2014 von der Betrugssoftware, die in den USA eingesetzt wurde, gewusst haben.

(Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Im Diesel-Untersuchungs­ausschuss des Bundestages erklärte Winterkorn: Erst im September 2015 habe er vom Skandal erfahren. Die Dokumente lassen die Ermittler etwas anderes glauben.

Von H. Leyendecker und K. Ott

Beim Blick auf ein Problem kommt es manchmal darauf an, ob einer vom Gipfel oder aus der Ebene auf einen Gegenstand schaut. Als der langjährige VW-Vorstandsvorsitzende Martin Winterkorn - der mal ganz oben war - im Januar vorigen Jahres im Untersuchungsausschuss des Bundestages zur Diesel-Affäre als Zeuge auftrat, wurde er natürlich auch gefragt, wann er vom Betrug erfahren hatte.

Seine Antwort: im September 2015. Nicht vorher. Ganz bestimmt.

Zwar würden Medien "suggerieren", er habe schon früher Kenntnis gehabt, aber das sei falsch. Diese Medien beriefen sich manchmal auch auf Zeugen, aber er könne nicht sagen, "wer genau vernommen worden ist". Auch wisse er nicht, "welcher Behörde in Deutschland oder in den USA diese Person angehört hat". Auch kenne er "den Wortlaut dieser Aussagen dieser Person nicht". Er habe "bislang keine Akteneinsicht erhalten". Der Wechsel von Plural und Singular in dieser Passage bei den Zeugen war schon merkwürdig, und auch das mit der Behörde verstand nicht jeder sofort. Aber neulich hat die Braunschweiger Staatsanwaltschaft, die gegen Winterkorn unter anderem wegen des Anfangsverdachts des Betruges ermittelt, etwa 400 Ordner aus dem großen VW-Verfahren auf den Weg gebracht, und nicht nur der ehemalige Konzernchef hat Akteneinsicht.

Aus der Ebene betrachtet, lernt man von Leuten, die die Akten gesehen haben, Erstaunliches. Man lernt, dass Leute aus Winterkorns unmittelbarer Umgebung früh empört waren über all die Betrügereien, und man lernt auch, dass der eine oder andere von ihnen behauptet, Winterkorn davon berichtet zu haben. Keine Erinnerung? Wie glaubwürdig ist das?

Zudem erfährt man, dass nicht die jeweilige individuelle Verfehlung von Ingenieuren skandalös ist, sondern die Einbettung in ein Netzwerk. Die von VW lange verbreitete Version, der Dieselbetrug sei das Werk einiger untergeordneter Techniker gewesen, wird damit immer unglaubwürdiger.

Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zeigen, dass hochrangige Mitarbeiter in den Dieselskandal, der lange Zeit von denen da oben als "Dieselthematik" verharmlost wurde, verwickelt sind.

Es gebe "zureichende tatsächliche Anhaltspunkte" dafür, dass Winterkorn Bescheid wusste

Die Bewertung der ganzen Angelegenheit obliegt den Gerichten, die erst einmal über die Zulassung eines Verfahren zu befinden haben. Doch schon jetzt zeigen sich etwa im Falle von Winterkorn Zweifel. Aus einer vier Seiten langen Verfügung der Strafverfolger geht hervor, dass es "zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür" gebe, er sei spätestens im Mai 2014 über das Problem mit dem Diesel bei den Wagen in den USA informiert gewesen. Viele Jahre hatte VW mit einer betrügerischen Software operiert, die Abgase auf dem Prüfstand sauber wirken ließ, während die Motoren im Straßenverkehr viel mehr Dreck ausstießen. Zumindest die "sehr hohe Abweichung" der Messwerte sei ihm bewusst gewesen, so der Vorwurf der Ermittler.

Winterkorn selbst hat die frühe Kenntnis vom Betrug im Untersuchungsausschuss bestritten: "Wer mich kennt, weiß, dass ich sehr geradlinig bin. Jede Form der Täuschung oder Irreführung einer Behörde hätte ich sofort unterbunden."

Nichts geahnt, nichts gewusst? Erst im September 2015 alles erfahren?

Nun, da ist etwa der Zeuge Bernd Gottweis, der sich in mehr als vier Jahrzehnten im Konzern nach oben gearbeitet hat und sich um alles kümmerte, was Deutschlands größtem Autokonzern Probleme machte. Der Mann, der seit ein paar Jahren Rentner ist, hatte Zugang zu Winterkorn. Er war unabhängig, egal wer bei VW regierte. In den Ermittlungsunterlagen findet sich der Hinweis, dass nicht Gottweis den Kontakt gesucht hat, sondern Winterkorn: Bevor die Affäre publik wurde, so erzählte Gottweis den Ermittlern, habe ihn der Vorstandsvorsitzende angerufen und gefragt, wen er jetzt rausschmeißen soll. Er, Gottweis, habe ihm geantwortet, dass er mit anderen gerade dabei sei festzustellen, wie hoch in der Hierarchie "das Ganze" gegangen sei. Und damit sei das Gespräch beendet gewesen. In einer Mail Mitte September schrieb er dann an einen hochrangigen Kollegen: "Volkswagen hat jegliche Glaubwürdigkeit bei den Behörden verloren."

Gottweis gilt als aufrechter Kämpfer. Er sei "perplex" gewesen, weil er sich nicht habe vorstellen können, dass VW "systematisch beschissen" habe, hat er den Ermittlern gesagt. Auch habe er mit einem engen Vertrauten von Winterkorn, einem Juristen, gesprochen. Der habe sich beklagt, dass das Krisenmanagement schlecht sei: Als er damals mit Winterkorn und zwei anderen Vorständen über den Dieselskandal habe sprechen wollen, sei er gar nicht zu Wort gekommen. Die Herren hätten sich darüber unterhalten, wie man den Wechsel des Fußballspielers Kevin De Bruyne vom VfL Wolfsburg zu Manchester City verhindern könne. De Bruyne wechselte bekanntlich.

Nichts sehen, nichts hören?

Es fehle an "erkennbarer Reue", hat ein VW-Mitarbeiter im Herbst 2015 in einer Mail formuliert und hinzugefügt: So etwas sei das Verhalten eines "uneinsichtigen Täters". Drei Ausrufezeichen hat er gemacht.

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