Abgasaffäre:Aufklärung unerwünscht

Abgasaffäre: Christine Hohmann-Dennhardt, früher Richterin am Bundesverfassungsgericht, kam als Vorständin zu Volkswagen.

Christine Hohmann-Dennhardt, früher Richterin am Bundesverfassungsgericht, kam als Vorständin zu Volkswagen.

(Foto: imago stock&people)

Ex-Verfassungsrichterin Christine Hohmann-Dennhardt hat Staatsanwälten erzählt, wie sie als Vorständin bei VW kaltgestellt und wie mit neugierigen Nachfragen umgegangen worden sei.

Von Klaus Ott

Das bislang geheime Vernehmungsprotokoll, das neue, tiefe Einblicke in die Abgasaffäre bei Volkswagen und der VW-Tochter Audi ermöglicht, ist zwölf Seiten lang. Was die Staatsanwaltschaft München II da aufgeschrieben hat, wirft eine weitreichende Frage auf: Ist es den Milliardärsfamilien Porsche und Piëch als Hauptaktionären des Autokonzerns gar nicht um eine volle Aufklärung gegangen, sondern eher darum, den Skandal einzudämmen? Ebenso wie einem ihrer engsten Vertrauten, dem VW-Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch? Ausgesagt hat bei den Ermittlern nicht irgendwer. Sondern Christine Hohmann-Dennhardt, sie war ehedem Richterin am Bundesverfassungsgericht, dem höchsten deutschen Gericht - und später Vorstandsmitglied bei Volkswagen.

Zu VW geholt worden war sie kurz nach Beginn der Abgasaffäre. Es sollte ein Signal sein: VW meint es ernst mit der Aufklärung. Doch nach einem Jahr war Hohmann-Dennhardt schon wieder weg. Ihr Vertrag wurde mit rund zwölf Millionen Euro ausbezahlt, und sie war zum Schweigen verdammt. So ist das in solchen Fällen geregelt. Doch bei den Ermittlern konnte und musste die Kurzzeit-Vorständin als Zeugin reden. Die zwölf Seiten lesen sich so, als habe sie sich endlich einiges von der Seele reden können. Manchmal spricht ein einziger Satz schon Bände. Zum Beispiel die Aussage von Hohmann-Dennhardt, sie habe anfangs schon den Eindruck gehabt, das mit der Aufklärung sei auch so gemeint gewesen. Aber, das soll dieser Satz sagen, nur am Anfang eben.

Es habe "ein paar Charts" gegeben, die an die Wand geworfen worden seien

Das bezog sich auf die interne Untersuchung bei Volkswagen, mit der die Kanzlei Jones Day von VW beauftragt worden war, auch bei der Ingolstädter Tochter Audi. Informationen über die Untersuchungsergebnisse, berichtete die Ex-Verfassungsrichterin den Strafverfolgern, habe es nur spärlich gegeben. Hohmann-Dennhardt saß auch im Aufsichtsrat von Audi. Die Ingolstädter VW-Tochter wurde zum Fall für die Staatsanwaltschaft München II, die den früheren Audi-Chef Rupert Stadler unter anderem wegen Betrugsverdacht angeklagt hat. Der Prozess läuft, Stadler bestreitet alle Vorwürfe.

Im Aufsichtsrat von Audi habe es zur Aufklärung der Abgasaffäre einen eigenen Ausschuss gegeben, berichtete Hohmann-Dennhardt den Ermittlern. Besetzt mit ihr, dem früheren IG-Metall-Chef Berthold Huber, Audi-Betriebsratschef Peter Mosch und einem weiteren Mitglied. Die Aufsichtsräte hätten von Jones Day aber nur mündliche Informationen bekommen, sagte Hohmann-Dennhardt als Zeugin aus. Es habe "ein paar Charts" gegeben, die an die Wand geworfen worden seien; etwa mit Auszügen aus E-Mails. Der Kontext, also die Einordnung, habe gefehlt. Die Zeugin berichtete weiter, sie habe mehrmals gefragt, ob man in die Unterlagen auch Einblick nehmen könne, aber das sei ihr verweigert worden. Sie wisse aber aus ihrer beruflichen Erfahrung, dass man Dinge, die man nur an die Wand projiziert bekomme, nicht richtig einschätzen könne.

Hohmann-Dennhardt, 70, hat eine lange Laufbahn hinter sich. Sie war Ministerin für Wissenschaft und Kunst in Hessen und gehörte von 1999 bis 2011 dem Bundesverfassungsgericht an. Dann leitete sie bis 2015 das Vorstandsressort "Integrität und Recht" bei Daimler und half dort, einen Korruptionsskandal aufzuklären. Das war für den damaligen VW-Chef Matthias Müller der Grund, sie Anfang 2016 zu VW zu holen. Aber es wurde nur ein einziges und schwieriges Jahr, über das die Ex-Vorständin am 4. August 2017 bei der Staatsanwaltschaft München II aussagte. Die Erinnerung war also noch frisch.

Es sei so gewesen, erzählte Hohmann-Dennhardt, dass Jones Day immer wieder eingewandt habe, der Kreis der Mitwisser solle möglichst klein gehalten werden. Das sei laut Jones Day der Wunsch des US-Justizministeriums gewesen, das Ermittlungen eingeleitet hatte. Ob sie, Hohmann-Dennhardt, denn versucht habe, über den Aufsichtsrat von VW auf Jones Day einzuwirken, wollte die Staatsanwaltschaft wissen. Die Antwort: Sie habe solche Fragen mit Aufsichtsratschef Pötsch besprochen. Es habe eine engere Kommunikation zwischen Pötsch und Jones Day gegeben.

Die Ermittler hakten nach. Es wäre ja denkbar, dass sie, Hohmann-Dennhardt, gegenüber Pötsch geäußert habe, dass das, was hier passiere, keine Aufklärung sei und ohne weitergehenden Bericht von Jones Day keine Aufklärung möglich sei. Die Antwort der Ein-Jahres-Vorständin, laut Protokoll: "Wir haben Gespräche geführt." Manchmal spricht eben ein einziger Satz Bände. Von einem Zerwürfnis zwischen Hohmann-Dennhardt und Pötsch zu reden, wäre wohl untertrieben.

VW erklärte auf Anfrage, Jones Day habe dem Aufsichtsrat und einen Sonderausschuss regelmäßig mündlich über den Stand und die Ergebnisse der Untersuchungen berichtet. Jones Day habe frei agiert und Zugriff auf alle Dokumente gehabt. Und das US-Justizministerium habe vollen Zugang zu sämtlichen Erkenntnissen der "unabhängigen Untersuchung" gehabt.

War also alles in Ordnung? Nicht aus Sicht der Ex-Verfassungsrichterin. Deren Malheur hatte schon begonnen, bevor sie zu VW gekommen war. Kurz vorher wurde Manfred Döss, der als Jurist mit Ellenbogen aus Edelstahl gilt, zum Leiter der Rechtsabteilung des Autokonzerns berufen. Es sei dann wohl der Wunsch des Aufsichtsrats und der Anteilseigner von VW gewesen, dass Döss die Verhandlungen mit den US-Behörden über Strafen und Schadenersatzzahlungen leite, berichtete Hohmann-Dennhardt den Ermittlern. Döss ist wie Pötsch ein Vertrauter der Familien Porsche und Piëch. Hohmann-Dennhardt war, wie sie zu Protokoll gab, zwar zuständig für das Rechtswesen bei VW gewesen, also eigentlich auch für die juristische Klärung in den USA. Die aber oblag Döss.

"Das habe ich auch nicht verstanden"

Sie selbst, so die Ex-Vorständin, sei nur ein einziges Mal in den USA gewesen. Sie habe diese Aufgabenverteilung mehrmals reklamiert, aber vergeblich. Hinzu kam, dass ihr Widersacher Döss von den Porsches und Piëchs bei deren Familien-Holding damals sogar noch als Vorstand für das Ressort Recht installiert worden war. Die Familien-Holding ist Hauptaktionär bei VW. Döss, formal der Untergebene von Hohmann-Dennhardt bei VW, stand damit auch über ihr. Insofern sei es nicht leicht gewesen, mit ihm ins Gespräch zu kommen, erzählte Hohmann-Dennhardt den Ermittlern.

Die waren irritiert. Da sei doch unverständlich, dass man die Ex-Verfassungsrichterin wegen des Abgasskandals zum Vorstand für das Rechtswesen bestelle, sie dann aber nicht mit der Aufarbeitung und den Kontakten zu den US-Behörden betraue. So steht es im Protokoll. Die Antwort von Hohmann-Dennhardt: "Das habe ich auch nicht verstanden." Sie habe aber nicht sofort das Handtuch werfen wollen. Sie blieb erst einmal und erlebte mit, wie die angebliche Aufklärung bei VW ablief. Dort habe es für einzelne Aufsichtsräte die Möglichkeit gegeben, in einzelne Unterlagen aus der internen Untersuchung Einblick zu nehmen.

Diese Aufsichtsräte hätten das in einem bewachten Zimmer tun können. Sie, Hohmann-Dennhardt, wisse nur, dass der eine oder andere Aufsichtsrat gestöhnt habe wegen der knappen Zeit und der Menge an Charts. Sie selbst habe überhaupt keinen Einblick nehmen dürfen.

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