Süddeutsche Zeitung

Europäischen Zentralbank:Wie reagiert die EZB auf China?

  • Die Börsen spielen seit Tagen verrückt, weil Chinas Wachstum abflaut.
  • Die Unsicherheit sorgte für eine Aufwertung des Euro, woran die Europäische Zentralbank kein Interesse hat.
  • An diesem Donnerstag entscheidet der EZB-Rat über die Höhe der Leitzinsen - und möglicherweise über neue Anleihekäufe.

Analyse von Cerstin Gammelin, Jan Willmroth und Markus Zydra, Berlin/Frankfurt

Bei der Europäischen Zentralbank (EZB) macht man sich mal wieder Sorgen um die Inflation. Die Preissteigerungen fallen immer noch sehr niedrig aus, die Furcht vor einer gefährlichen Deflation in der Eurozone könnte demnächst wieder aufkeimen. Ein Grund ist die Lage in China. Das Wachstum dort geht zurück, das betrifft auch die Konjunktur in Europa. Wie stark die Wirtschaft in Europa davon betroffen sein könnte, das werden EZB-Präsident Mario Draghi und seine Kollegen an diesem Donnerstag in ihrer ersten regulären Sitzung nach den Sommerferien erörtern. Gut möglich, dass Draghi den Finanzmärkten noch einmal Unterstützung aus der Notenpresse verspricht, sollten sich die Beben an den Börsen und die Verunsicherung in der Wirtschaft verstärken.

China und kein Ende. Die Welt scheint erst langsam zu begreifen, welche Auswirkungen es hat, wenn es dort nicht mehr so gut läuft wie früher. Auch die Finanzminister der 20 weltweit wichtigsten Industrie- und Schwellenländer werden auf ihrer am Freitag in Ankara beginnenden G-20-Tagung über die Auswirkungen der Krise in China beraten. Am Mittwoch lieferte die weltweit zweitgrößte Volkswirtschaft erneut negative Zahlen. Die chinesische Produktion schrumpft derzeit so schnell wie seit drei Jahren nicht mehr. Japans Finanzminister Taro Aso mahnte eine offene Diskussion über die Lage in China in Ankara an. China ist der größte Handelspartner Japans.

"Was sich in den vergangenen Wochen erwiesen hat, ist, wie sehr Asien im Zentrum der Weltwirtschaft steht", sagte Christine Lagarde, die Präsidentin des Internationalen Währungsfonds (IWF) am Mittwoch auf einer Konferenz in der indonesischen Hauptstadt Jakarta. Sie warnte vor Ansteckungsgefahren durch die Börsenturbulenzen in China. Die jüngsten Schwankungen auf den weltweiten Finanzmärkten zeigten, wie rasch die Risiken von einer Volkswirtschaft zur nächsten übergreifen könnten.

Die Börsen spielen schon seit Tagen verrückt. Die Preise für Aktien, Währungen und Rohstoffe schwanken so stark wie lange nicht mehr. Ein Beispiel ist der Ölmarkt. Der Preis für ein Barrel (etwa 159 Liter) der US-Ölsorte WTI war von vergangenen Donnerstag bis Montag um mehr als 27 Prozent gestiegen - der größte Drei-Tages-Gewinn seit 1990. Allein am Dienstag fiel der Preis dann um acht Prozent, um sich im frühen US-Handel am Mittwoch kaum zu bewegen. Und das, nachdem die Preise zwei Monate lang beinahe stetig bis auf ein Sechseinhalb-Jahres-Tief gefallen waren. Es scheint, als klammerten sich die Händler an jede noch halbwegs relevante Nachricht, seien es die Lagerbestände in den USA oder Probleme mit einer Pipeline in Nigeria. Rational und logisch lassen sich derart starke Schwankungen jedenfalls nicht mehr erschließen.

Während sie für fundamentale, mittelfristige Preisbewegungen eher weniger relevant ist, kommt an diesem Punkt aber die Spekulation ins Spiel. Am Markt für Öl-Futures stimmen unzählige Teilnehmer darüber ab, wie viel Öl in Zukunft kosten sollte, vernunftgetrieben, emotional - und weil sie Wetten eingehen. Offenbar hatten ungewöhnlich viele Hedgefonds auf weiter sinkende Preise gewettet. Kommt es wie vor einer Woche zu einer Trendwende, zwingt eine solche Position die Fonds, ihre Leerverkäufe zu bedienen, um Gewinne einzufahren oder Verluste zu begrenzen. Leerverkauf bedeutet, dass der Spekulant ein Wertpapier verkauft hat, das er nur geliehen hat oder überhaupt nicht besitzt. Das kann Preissprünge verstärken.

Auch an den Aktienmärkten kommt es zu panischen Reaktionen. Das amerikanische Börsenbarometer Volatility Index (VIX), das die Schwankungsintensität der Preise an der Börse misst, ist im August um fast 135 Prozent gestiegen. Das ist der größte monatliche Zuwachs seit 1990. Diese starken Preisschwankungen (Volatilität) sind beliebt bei Spekulanten, weil sie auf steigende und fallende Kurse wetten.

Ungewöhnliche Bewegungen gab es zuletzt auch beim Euro-Wechselkurs, der in den vergangenen zehn Tagen zwischen 1,11 Dollar und zeitweise 1,17 Dollar schwankte. Hintergrund ist hier die Frage, ob und wann die amerikanische Notenbank Fed die Zinswende einleiten wird. Bislang gehen viele Beobachter davon aus, dass Fed-Chefin Janet Yellen bereits im September erstmals seit Jahren den Leitzins, der nahe null Prozent liegt, leicht anheben könnte. Dann würde mehr Geld in die USA fließen und der US-Dollar aufgewertet.

Fallende Kurse können auch der Realwirtschaft schaden

Doch wegen der China-Krise könnte die Fed diese Zinswende noch verschieben. Diese Unsicherheit sorgte zuletzt für eine Aufwertung des Euro, woran wiederum die EZB kein Interesse hat. Sie möchte einen billigen Euro, um den Export aus der Eurozone zu stärken und gleichzeitig Inflation zu importieren. "Die EZB dürfte deshalb am Donnerstag ihre Fähigkeit bekräftigen, sich einem möglichen zusätzlichen Deflationsdruck entgegenzustellen", sagte Franck Dixmier, Chef für Anleihemärkte bei Allianz Global Investors. Der Experte rechnet nicht damit, das Draghi das bereits bestehende Ankaufprogramm für Anleihen, mit dem bis September 2016 rund 1,1 Billionen Euro in den Markt gepumpt werden sollen, schon jetzt ausgeweitet wird. Es werde vor allem um die richtige Rhetorik gehen. Draghi werde auch versuchen, den Druck auf den Euro aufrecht zu erhalten, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Aufwertung gegenüber dem US-Dollar in den vergangenen Wochen.

Die Börsenturbulenzen kosten die Anleger viele Nerven, mitunter auch viel Geld. Doch auch die Realwirtschaft könnte wegen des Auf und Ab Schaden nehmen. "Es könnte wegen der fallenden Vermögenspreise an den Börsen zu einer weiteren Rezession kommen", befürchtet Peter Boockvar, Chefanalyst der Beratungsfirma Lindsey Group. "Bis in die späten Neunzigerjahre war es so, dass eine Rezession an den Börsen einen Bärenmarkt auslöst", sagte der Experte dem US-Fernsehsender CNBC. "Doch die vergangenen beiden Rezessionen wurden durch fallende Preise an den Börsen ausgelöst." Die eine nach dem Platzen der Internet-Blase ab 2001, und die zweite nach dem Platzen der US-Immobilienpreisblase 2007 bis 2009. "Ich glaube, wir werden dasselbe Phänomen nun ein drittes Mal erleben."

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SZ vom 03.09.2015/klu
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