Virales Marketing:Kennste den schon?

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In der Krise entdecken viele Firmen das billigste Marketing-Medium von allen: die eigenen Kunden. Das Problem dabei ist: Es darf nicht nach Werbung aussehen.

M. Brzoska u. A. Slavik

Tom Dickson hat dem iPhone ziemlich viel zu verdanken. Nicht, weil er damit seine E-Mails abrufen oder lustige Apps runterladen würde. Tom Dickson hat sein iPhone zerschreddert. In einem Küchenmixer, bis nur noch ein Haufen schwarzes Pulver übrig war.

Tom Dickson ist der Gründer von Blendtec, dem Unternehmen, das den Mixer produziert hat, und das Video von der iPhone-Zerstörung ist die berühmteste Folge einer ganzen Serie von Aufnahmen, mit denen Dickson die Kraft seiner Geräte demonstrieren will.

Knapp acht Millionen Mal wurde allein diese Episode auf der Internetplattform Youtube angeklickt. Dickson genießt Kultstatus im Netz - und sein Unternehmen profitiert von einem Werbewert, den es mit einem herkömmlichen Fernsehspot wohl nie erreicht hätte.

"Virales Marketing ist die moderne Mundpropaganda"

In der Krise experimentieren viele Firmen mit sogenannten viralen Kampagnen: Sie buchen keine Spots für Radio oder Fernsehen, sondern setzen auf den Werbeträger Mensch, der ihre Botschaft verbreiten soll. "Virales Marketing ist so etwas wie die moderne Version der Mundpropaganda", sagt Mark Renshaw, Experte für technologiebasiertes Marketing bei der Werbeagentur Leo Burnett in Chicago.

Ein für wenig Geld produzierter Clip wird ins Netz gestellt und von den Internetnutzern immer weiter und weiter verbreitet - wie ein Virus. "Es geht um diese Art von Videos, die die Leute im Büro per E-Mail an alle ihre Kollegen weiterleiten", sagt Renshaw. "Wer das hinkriegt, bekommt zu einem lächerlich kleinen Preis unheimlich viel Aufmerksamkeit."

Virale Kampagnen funktionieren aber nicht nur über lustige Internetvideos. Auch gezielt gestreute Gerüchte oder praktische Serviceangebote können Teil einer Marketingstrategie sein. "Es geht darum, ein Produkt bei einer bestimmten Zielgruppe ins Gespräch zu bekommen", sagt Renshaw.

Facebook hilft nach

Durch das Internet seien die Möglichkeiten, virale Kampagnen zu lancieren, viel breiter geworden - besonders soziale Online-Netzwerke wie Facebook oder StudiVZ kommen den Werbern entgegen: Die Mitglieder sind dort bereits nach Interessengruppen sortiert - potentielle Käufer in appetitlichen kleinen Häppchen, besser geht's nicht.

Doch die Nutzer jetzt mit platten Werbebotschaften zu überschwemmen, wäre ein grober Fehler, sagt Torsten Heinson von der Werbeagentur Wunderknaben. "Die Internet-Community reagiert allergisch, sobald sie das Gefühl hat, etwas aufgedrängt zu bekommen." Wichtigste Prämisse bei viraler Werbung sei daher: Sie darf nicht nach Werbung aussehen. "Es muss Spaß machen oder Nutzen bringen", sagt Heinson, "es muss so unkommerziell wie möglich rüberkommen."

Viele Firmen versuchen deshalb, die Urheberschaft der Kampagne gleich ganz zu verschleiern, wie etwa VW. Der Autokonzern heuerte im Jahr 2006 den Komiker Hape Kerkeling an, der - in der Rolle der damals schon populären Kunstfigur Horst Schlämmer - die Fahrschule besuchte. Die Dokumentation von Schlämmers unbeholfenen Versuchen hinterm Lenkrad waren ein Publikumshit - doch als die Videos schließlich als Teil einer kommerziellen Kampagne enttarnt wurden, war der Unmut in der Internet-Gemeinde groß.

Selbstmord bleibt Tabu

Für VW hat sich die Aktion dennoch gelohnt: 90.000 Probefahrten werden der viralen Marketingaktion zugeschrieben. Um Ähnliches mit Hilfe konventioneller Werbemaßnahmen zu erreichen, hätte VW etwa 6,5 Millionen Euro ausgeben müssen, schätzen Branchenkenner.

Bei anderen Kampagnen bleibt die Urheberschaft dagegen ewig umstritten, etwa im Fall von Unilever. Der Konsumgüterhersteller legte im Jahr 2008 das Langnese-Eis "Nogger Choc" neu auf, nachdem in den Online-Netzwerken StudiVZ und Facebook Tausende Mitglieder die Wiedereinführung des vermeintlichen Kult-Produkts gefordert hatten. Viele Beobachter halten das bis heute für eine geschickte Kampagne des Herstellers, der aber jede Beteiligung abstreitet: "Die Sache hat sich im Netz formiert und wurde erst dann von uns aufgegriffen", heißt es aus dem Unternehmen.

Noch deutlicher distanzierte sich der Autohersteller Audi von einem Spot, der erst vor ein paar Wochen im Netz auftauchte: Er zeigt einen Mann, der mit Hilfe von Autoabgasen Selbstmord begehen möchte - erfolglos allerdings, denn dank Audis "Clean Diesel Technology" sind die Emissionen seines Wagens nicht giftig genug. Niemals würde man mit dem Thema Selbstmord Werbung machen, ließ das Unternehmen damals wissen.

Das Moorhuhn wurde bekannt, der Werbende übersehen

Enorme Aufmerksamkeit brachte es dem Konzern dennoch, und das sei schließlich das erste Ziel viraler Kampagnen, sagt Experte Heinson: "Da kann man schon mal politisch unkorrekt sein." Um die eigene Zielgruppe als Werbebotschafter einspannen zu können, müsse man etwas bieten. "Langweilige Spots funktionieren als virale Kampagnen eben nicht."

Aber auch wenn der Geschmack des Publikums getroffen wird, ist das noch kein Garant für nachhaltigen Erfolg. Um den Jahrtausendwechsel etwa entwickelte sich die Computeranimation "Moorhuhnjagd" zur Lieblingsbeschäftigung deutscher Büroangestellter. Das Spiel und die Figuren wurden Kult - doch dass die Moorhühner eigentlich Werbung für die Whiskey-Marke Johnnie Walker machen sollten, weiß heute kaum jemand.

Tom Dickson, der Mann mit dem Mixer, soll von seinen unkonventionellen Auftritten hingegen profitiert haben: Die Verkaufszahlen des "Total Blender" seien seit dem Beginn der Kampagne "durch die Decke gegangen", heißt es.

© SZ vom 27.02.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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