Virale Videos als Verbraucherwaffe:Die Anti-Werber

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Die neue Macht der Verbraucher: Verärgerte Kunden, Hobby-Satiriker und Guerilla-Werber attackieren in Web-Videos Unternehmen und Produkte. Das Imagerisiko ist enorm - und Firmen können sich kaum dagegen wehren.

Sonja Peteranderl

Marcell D'Avis, der Leiter für Kundenzufriedenheit des Internetdienstleisters 1&1, verrät in Youtube-Videos Geschäftsgeheimnisse: Das Unternehmen arbeite seit Jahren mit der russischen Mafia zusammen, seine Router seien billige Plagiate aus China. Die Clips sehen aus wie die 1&1-Fernsehwerbungen - doch natürlich handelt es sich nicht um die offizielle Version. Zahlreiche Nutzer haben die TV-Spots von 1&1 neu vertont und auf Youtube hochgeladen.

Anti-Firmen-Videos auf können für einen großen Imageschaden sorgen. (Foto: picture-alliance/ dpa)

Die Videoplattform ist ein Ventil für frustrierte Kunden und Hobby-Satiriker. Verbraucher kommentieren Produkte und Firmen, Marken und Werbung. Jeder kann inzwischen sogar mit dem Handy ohne großen Aufwand eigene Videos produzieren oder bestehendes Material bearbeiten - und mit seiner Botschaft theoretisch Millionen von Menschen erreichen.

Pro Minute werden Youtube zufolge 35 Stunden Videomaterial hochgeladen, das entspreche wöchentlich etwa 176.000 Hollywood-Filmen. Etwa zehn Prozent aller Werbevideos auf Youtube sind Parodien oder private Gegenkampagnen. Die unkommerziellen Videos können zwar positiv zu Markenbekanntheit und Image beitragen, doch die neue Macht der Verbraucher ist auch ein Risiko für Unternehmen.

Erfolg und Wirkung der Anti-Firmen-Spots sind allerdings schwer kalkulierbar. "Je nach Skandalträchtigkeit der Botschaft kann die Zerstörungskraft riesig oder aber minimal sein", sagt Elisabeth Unverricht, die für die Kommunikationsagentur Argonauten G2 in Berlin Social-Media-Strategien entwickelt. Meist entstehe höchstens eine kurzfristige hitzige Diskussion. Problematischer seien Videos, die sich direkt mit dem Produktversprechen auseinandersetzen, es konterkarieren - und so eine längerfristige negative Wirkung entfalten können.

Welche Folgen ein negativ intoniertes Youtube-Video haben kann, zeigt der Eklat um die amerikanische Fluggesellschaft United Airlines. Mitarbeiter hatten beim Transport die 3500-Dollar-Gitarre des Kanadiers David Carroll beschädigt. Da sich das Unternehmen neun Monate lang weigerte, eine Entschädigung zu zahlen, stellte der entnervte Musiker im vergangenen Jahr drei Country-Songs mit Titeln wie "United breaks guitars" online - und erreichte über Youtube etwa elf Millionen Zuhörer.

Während Carroll durch den Verkauf von Online-Songs und Vorträge 2009 mehr verdiente als in den 20 Jahren zuvor, bescherte United Airlines die Ignoranz viel Negativ-PR. Der Konzern lenkte schließlich ein, erklärte sich bereit, den Schaden zu ersetzen und das Video zukünftig als Schulungsmaterial zu verwenden - um den Kundenservice zu verbessern. Im besten Fall sorgen die Videos der Verbraucher damit für eine neue Transparenz, die Einfluss auf die Unternehmenskultur hat.

Manche der Videos zeigen auch, was hinter den Kulissen passiert: Zwei Mitarbeiter der amerikanischen Fast-Food-Kette Domino's Pizza hatten sich beispielsweise dabei gefilmt, wie sie sich Käse in die Nase stecken, eine Pizza damit belegen und das Essen anspucken. Das Unternehmen konnte die betroffene Filiale mit Hilfe von Internetnutzern schnell identifizieren und feuerte die beiden sofort. Dem Marktforschungsunternehmen YouGov zufolge schätzten Verbraucher die Qualität von Domino's Pizza vor dem Vorfall positiv, danach negativ ein. Der Skandal ist bis heute unter den ersten Treffern bei Google zu finden - und dürfte einigen potentiellen Kunden den Appetit verderben.

Mit Anti-Werbung Geld verdienen

Durch die Freiheit des Internets könne jeder Idiot mit einer Kamera das Image einer 50 Jahre alten Marke ruinieren, wetterte der Sprecher von Domino's Pizza. Eine Kommentatorin auf consumerist.com, nach eigenen Angaben ehemalige Domino's Mitarbeiterin, schreibt allerdings, dass ein solcher Umgang mit Essen bei Domino's auch in den achtziger Jahren vorgekommen sei - nur damals hätten "die Idioten" eben weder Digitalkamera noch Youtube gehabt.

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Gerissene Guerilla-Videoproduzenten wie Fernando Motolose betrachten gegen Unternehmen gerichtete Kampagnen sogar als lukratives Geschäftsmodell. "Produktkritik und Anti-Werbung lassen sich im Internet zu Geld machen", sagt der 27-jährige Brasilianer. Sein Ziel: Virale Videos zu produzieren, die millionenfach geklickt werden und an denen er zum Beispiel über Beteiligungen an Youtube-Werbeeinnahmen verdient.

Bisher verzeichnen alle Videos seines Youtube-Kanals Nerds Kamikaze zusammen gerade einmal 1,5 Millionen Aufrufe. Motolose versucht auch anders auf sich aufmerksam zu machen: Erst parodierte er in einem Musikvideo die Werbeversprechen für den Danone-Joghurt Activia, dann schickte er dem Lebensmittelkonzern eine Zahlungsaufforderung und drohte damit, noch kritischere Produkt-Parodien zu veröffentlichen. Danone ging allerdings nicht darauf ein.

Viele Videos bleiben angesichts der Konkurrenz im Netz unsichtbar oder werden schnell wieder vergessen. "Auch Verbraucherspots müssen sich erst gegenüber einer riesigen Flut von Online-Videoclips im Kampf um die Aufmerksamkeit des Publikums durchsetzen", sagt Elisabeth Unverricht von der Agentur Argonauten G2.

Abwarten ist allerdings eine risikoreiche Strategie, meist werden Unternehmen eher für die schnelle Reaktion auf das Geschehen im Netz belohnt. So schaltete sich etwa Domino`s Pizza via Twitter-Account und mit einer Videobotschaft des Geschäftsführers in die Diskussion um die Qualitätsstandards bei der Fast-Food-Kette ein und entschärfte die Diskussion. Firmen, die selbst auf Youtube präsent sind, profitieren bei Krisen davon, wenn ihre eigenen Videos auf hohen Suchmaschinenpositionen ranken und von Produktkritiken und Parodien nicht so leicht zu verdrängen sind.

Bei Marken- und Urheberrechtsverletzungen wie der Verwendung von Videos, Ton und Musik eines Unternehmens oder der Darstellung von falschen, vermeintlichen Fakten können die Firmen auch rechtlich gegen die Videos vorgehen. "Je bekannter die Marke ist und je mehr Leute den Clip gesehen haben, desto teurer kann es für den Videoproduzenten werden", sagt der auf Internetrecht spezialisierte Rechtsanwalt Carsten Ulbricht von der Kanzlei Diem & Partner in Stuttgart. Man müsse dann schnell 1000, 2000 oder 3000 Euro zahlen. "Allerdings darf Parodie und Satire in Deutschland viel - und die Grenzen sind oft fließend." Zudem seien die Urheber des Videos schwer zurückzuverfolgen.

Viele Unternehmen begnügen sich damit, bei Youtube eine zentrale Löschung der Spots zu erwirken. Mit Verweis auf eine Urheberrechtsverletzung ließ Volkswagen etwa den vermeintlichen VW-Spot zweier Kreativer aus Großbritannien entfernen, in dem sich ein Terrorist in einem Polo in die Luft sprengt, ohne das Auto zu zerstören. Doch der Clip ist immer noch im Netz zu finden - mehrere Youtube-Nutzer fanden den Spot anscheinend so gut, dass sie ihn später wieder hochluden.

Furcht vor dem Streisand-Effekt

Das juristische Vorgehen gegen virale Videos ist umstritten, denn oft stellt sich im Internet der sogenannte Streisand-Effekt ein: Der Versuch, Informationen zu unterdrücken - wie bei Barbra Streisand, die gegen ein Online-Luftbild ihres Hauses klagte - macht die Internetnutzer erst recht darauf aufmerksam und sorgt dafür, dass etwa auf ein kontroverses Video noch häufiger verwiesen wird.

Der Internetdienstleister 1&1 hat nicht vor, gegen die Online-Parodien der Marcell D´Avis-Spots einzuschreiten. "Als wir die Spots auf Youtube eingestellt haben, war uns natürlich klar, dass es zu Reaktionen kommen würde", sagt ein Sprecher. "Aber wir können keine Schäden feststellen." Die 1&1-Kampagne sei durch die Videos sogar noch weiter verbreitet worden. Youtubefilme wie "Marcell D'Avis und die Mafia", "Marcell D'Avis wird gekündigt" oder "Marcell D'Avis sucht eine Frau" wurden bisher mehrere hunderttausend Mal geklickt.

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