Süddeutsche Zeitung

Vielfalt in der Bierbranche:Alles Flaschen

Tschüss, Poolflasche! Immer mehr Brauereien entwickeln individuelle Gebinde, um im braunen Einerlei der Flaschenbiere aufzufallen. Das soll die Markenbindung der Kunden stärken - schafft aber Probleme beim Leergut und ist auch ökologisch umstritten.

Stefan Weber, Düsseldorf

Sechskantig statt rund, Relief-Schriftzug statt aufgeklebtem Etikett. Bei der neuen Halbliter-Flasche, die die Hasseröder-Brauerei in diesen Wochen auf den Markt bringt, ist eine Verwechslung mit Gebinden der Konkurrenz fast ausgeschlossen. Knapp 30 Millionen Euro lässt sich die Tochter des belgischen Weltmarktführers Anheuser Busch InBev die Umstellung auf den Sechskänter kosten. Das Geld ist nach Ansicht der Manager gut investiert. Die neue Hülle soll das schaffen, was dem Inhalt immer weniger gelingt: sich von anderen Bieren abzuheben.

Die Bedingungen für Bierverkäufer sind schon seit längerem denkbar schlecht. Der Markt schrumpft seit Jahren. 2010 lag der Pro-Kopf-Verbrauch bei 107 Liter Bier. Vor zehn Jahren trank jeder Verbraucher im Schnitt noch weit mehr als 120 Liter jährlich. Zum Ärger der Brauer lässt auch die Markentreue nach. Immer häufiger greifen die Biertrinker zu den Kästen, die gerade am günstigsten sind. Irgendeine Marke ist immer im Angebot: Marktforscher haben herausgefunden, dass in diesem Jahr etwa 70 Prozent der Biere zu Aktionspreisen abgesetzt wurden. 2003 lag diese Quote gerade einmal bei 27 Prozent.

Deshalb setzen die Marketingstrategen der Brauereien verstärkt auf individuelle Flaschen und Kästen. Damit wollen sie im Einerlei des Angebots auffallen. Die neue Verpackung soll die Marken aufwerten und den Absatz erhöhen. Den Anfang hatten 2007 die zum Oetker-Konzern gehörende Radeberger-Gruppe und Veltins gemacht. Kurz darauf zog Bitburger nach.

In diesem Jahr ging es dann Schlag auf Schlag: Gleich mehrere ausländische Brauereien wie etwa Carlsberg führten individuelle Flaschen ein. Nun bringt Hasseröder bis März kommenden Jahres etwa 100 Millionen neue Flaschen auf den Markt. "Damit wächst der Druck auf andere Brauereien, ebenfalls Individualflaschen einzuführen", prognostiziert Günter Guder, geschäftsführender Vorstand des Bundesverbandes des Deutschen Getränkefachgroßhandels.

So geraten die traditionellen braunen Poolflaschen, die jede Brauerei nutzen konnte, weiter ins Abseits. Für sie gibt es immer weniger Verwendung. Aber die schöne neue Flaschenwelt hat ihre Tücken. Die individuellen Glasformen müssen aus dem Mehrwegkreislauf aussortiert und zu ihrer Brauerei zurückgebracht werden, denn nur dort können sie wieder befüllt werden. Bei den Poolflaschen war das einfacher: Hatten die Kunden nicht ordentlich sortiert und Flaschen verschiedener Brauereien in einen Kasten gesteckt, ließ sich das leicht verschmerzen. Schließlich unterschieden sich die Gebinde nur durch das Etikett und wird während der intensiven Reinigung der Flasche ohnehin abgewaschen.

Der Sortieraufwand ist gewaltig. Vor allem im Osten Deutschlands sei das Leergut, das bei den Brauereien landet, stark durchmischt, beobachtet Guder. Denn Lebensmittel- und Getränkehändler, bei denen die Verbraucher die leeren Flaschen abliefern, sortieren nur nach Kästen, nicht aber nach Flaschen. Diese Aufgabe würde gerne der Getränkegroßhandel übernehmen und anschließend den Abfüllern sortenreine Kästen anliefern.

Aber da winken die Brauer ab: "Nicht nötig. Das können wir preiswerter", meinen sie. Um der Flaschenflut Herr zu werden, haben sich viele von ihnen für Millionen Sortieranlagen angeschafft. Aber mit der Trennung von Eigen- und Fremdflaschen ist es nicht getan. Die Glashüllen, die nicht zum eigenen Produktionsprogramm passen, müssen auch zur Ursprungsbrauerei transportiert werden. Das führt zu einem intensiven Glastourismus: Nach Branchenangaben tauschen eine Premiumbrauerei und ein auf Leergut spezialisierter Dienstleister wie die sauerländische Steinseifer-Gruppe in jedem Jahr etwa drei Millionen Kästen. Dafür sind nahezu 1400 Transporte notwendig. Ein gutes Geschäft für die Logistik-Experten. Umweltschützer sehen den Flaschentourismus durchaus kritisch, aber Mehrweg ist ihnen immer noch lieber als Einweg.

Um Kosten zu sparen, haben einige Brauereien Tauschvereinbarungen getroffen. Oder sie haben sich gleich zu größeren Verbünden wie dem Leergutportal Bottlefox zusammengetan. Über diese Plattform managen derzeit mehr als 30 Brauereien ihr Leergut. Nach Schätzung von Insidern summieren sich die Sortierkosten bei den Brauereien auf elf bis 20 Cent je Kasten. Bei Betrachtung der gesamten Prozesskette kommen Experten sogar auf einen Betrag von bis zu einem Euro. Das würde bedeuten, dass ein Zehntel des Preises, den der Kunde im Laden zahlt, auf die Sortierung entfällt.

Für die kleinen Brauereien werden die neuen Individualflaschen von Hasseröder & Co. zunehmend zu einem Problem. Zum einen haben sie nicht die finanziellen Mittel, um selbst ein eigenes Gebinde zu entwickeln. Zum anderen sind sie mit der Sortierung völlig überfordert. Denn Anlagen, die diese Aufgabe erledigen, können sie sich nicht leisten. Und so könnte am Ende Wirklichkeit werden, was Guder prophezeit: "Die Flut der Individualflaschen beschleunigt die Verdrängung auf dem Biermarkt. Große finanzstarke Braugruppen gewinnen weiter Marktanteile. Kleine Anbieter geraten in Nöte."

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SZ vom 27.12.2011/beitz
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