Süddeutsche Zeitung

Viehzucht:So digital denken deutsche Bauern

  • Mehr als jeder zweite Landwirt in Deutschland nutzt bei seiner Arbeit digitale Lösungen.
  • Die Technik macht die Arbeit wesentlich effizienter. Kritiker befürchten allerdings, dass sich die Landwirte extrem abhängig von den Geräteherstellern machen.

Von Markus Balser, Berlin

Computer errechnen per Algorithmus Regenwahrscheinlichkeiten, und Bodensensoren ideale Erntetermine. Drohnen überwachen Felder. Smartphones informieren die Bauern über die "Vitaldaten" ihrer Tiere im Stall. Viele landwirtschaftliche Betriebe haben in Deutschland heute nur noch wenig mit der ländlichen Idylle von einst gemein. Denn die Branche, die oft für ihre mangelnde Veränderungsbereitschaft kritisiert wird, setzt immer häufiger Hightech ein. Mehr als jeder zweite Landwirt (53 Prozent) nutzt digitale Lösungen, ergab eine repräsentative Befragung des Digitalverbands Bitkom.

Technischer Fortschritt hat die Landwirtschaft, die über Jahrtausende mit harter Handarbeit verbunden war, schon in den vergangenen 100 Jahren radikal verändert. Brachten Bauern Anfang des vorigen Jahrhunderts ihre Ernte noch mit Sense und Pferdewagen ein, rollen heute Maschinen über die Felder, die manchmal mehr kosten als ein Einfamilienhaus und in einer Stunde so viel Getreide ernten, dass sich eine Großstadt mühelos eine Weile mit Brot versorgen ließe. Nun aber läuft eine weitere Revolution an, die auf den Höfen und Feldern so viel verändert, wie kaum eine andere Entwicklung seit Jahrzehnten.

Was das heißt, kann man etwa beim Stuttgarter Technologiekonzern Bosch erfahren. Der Konzern, der sich bislang vor allem als Zulieferer für die Autobranche einen Namen gemacht hat, sieht inzwischen auch in der Automatisierung der Landwirtschaft ein wachsendes Geschäftsfeld. Bosch bietet technische Lösungen für Gewächshäuser an. Dabei messen Sensoren Temperatur und Luftfeuchtigkeit, andere die Sonneneinstrahlung und den Kohlendioxidgehalt. Der Konzern bereitet die Daten auf, Bauern können sie bei Bedarf abrufen. So lässt sich nicht nur der optimale Erntetermin bestimmen. Algorithmen berechnen auch das Risiko von Ernteausfällen, etwa durch Seuchen, und ermöglichen frühes Gegensteuern.

Auch in der Viehzucht findet digitale Technik immer mehr Einsatz. Fütterung lässt sich automatisieren, die Zusammensetzung des Futters aus der Ferne steuern. In einigen Ställen werden Kamerasysteme eingesetzt, die das Wachstum der Schweine messen und den richtigen Schlachtzeitpunkt bestimmen können. Andere überwachen Rinder und erkennen an Bewegungsmustern, ob sie trächtig oder krank sind.

Es war wohl auch die Krise, die den digitalen Wandel auf deutschen Höfen stark beschleunigt hat. Der Absturz der Milchpreise und rapide sinkende Einnahmen für Fleisch haben Deutschlands Landwirte zuletzt in große Bedrängnis gebracht. Anfang der Neunzigerjahre arbeiteten hierzulande noch mehr als eine Million Menschen in einem landwirtschaftlichen Betrieb, heute sind es nur noch 650 000. Die Zahl der Höfe ist im gleichen Zeitraum von einer halben Million auf 280 000 gesunken. Vor allem im letzten Jahr mussten so viele Betriebe wie nie zuvor schließen. Die Produktionsfläche aber ist derweil nicht kleiner geworden. Die Folge: Die verbleibenden Höfe werden immer größer und versuchen, mit dem Einsatz moderner Technik immer effizienter zu arbeiten.

Die Politiker fördern den Trend - nicht nur in Deutschland. Sie sind sich sicher, dass mehr Technik auch wirklich mehr Fortschritt bringt. Auf ihrem jüngsten Treffen unterzeichneten die Agrarminister der G-20-Staaten einen Aufruf für mehr Teilhabe der Bauern an der Digitalisierung. Mithilfe der Technik und gesammelter Wetterdaten könnte etwa der Wassermangel, eines der größten Probleme der Landwirtschaft, bekämpft werden.

Auch Martin Richenhagen, Chef des US-Agrarmaschinenkonzerns Agco, lobt die Segnungen der neuen Technologien. Landwirtschaftliche Betriebe müssten in Zukunft ebenso gemanagt werden wie moderne Fabriken, sagt er. Beispiel Pflanzenschutz: Die Kunst bestehe darin, mit gezielteren Dosierungen den Einsatz von Dünger zu senken und Felder etwa von Drohnen überwachen zu lassen. "Wir werden in den nächsten Jahren erleben, dass sich die Branche vom Handwerk zum Fertigungsprozess wandelt. Denn je größer ein Betrieb ist, desto besser macht er das", so Richenhagen.

Kritiker bezweifeln allerdings, dass die Digitalisierung alle Probleme löst. Sie warnen, dass sie sogar neue schaffen könnte. Der deutsche Bauernbund etwa, der vor allem kleinere Betriebe vertritt, befürchtet, dass der Berufsstand über die Digitalisierung in Abhängigkeit von wenigen landtechnischen Anbietern geraten könnte. Auch der Trend zu immer größeren Betrieben werde wegen der hohen Investitionskosten in die neue Technik noch bestärkt, so die Sorge.

Auch Datenschützer verweisen auf mögliche Gefahren der Digitalisierung. Die Entwickler und Betreiber solche Plattformen könnten künftig über sensible Daten ihrer Kunden verfügen - und dies für ihr Geschäft nutzen. Das befürchtet auch der deutsche Bauernbund.

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SZ vom 20.06.2017/jps
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