Boom der Videokonferenzen:OK Zoomer

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Und es hat Zoom gemacht: In Zeiten von Corona gibt es viele Verlierer und manche Gewinner, zum Beispiel die Anbieter von Videokonferenz-Apps.

(Foto: imago images/Westend61)
  • Die Videokonferenz-Plattform Zoom ist eine der wenigen wirtschaftlichen Erfolgsgeschichten seit dem Ausbruch des Coronavirus.
  • Die Verlagerung des Lebens in Videochats bringt allerdings auch neue Herausforderungen mit sich, von Etikette bis Datenschutz.
  • Auch ob das rasante Wachstum in der Krise für das Unternehmen nachhaltig ist, muss sich erst noch erweisen.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Und dann sagt die Lehrerin zu ihrem zehn Jahre alten Schüler, dass er nun doch bitteschön wieder aufpassen solle. Der Junge schreckt hoch, als hätte ihn jemand erschreckt, und genau das ist auch passiert: Die Lehrerin erklärte, der Unterricht ist wegen der Coronavirus-Krise ins virtuelle Klassenzimmer verlegt worden und findet ein paar Stunden pro Tag per Videokonferenz statt. Der Fünftklässler jedoch schrieb im Chat in einem anderen Fenster mit einem seiner Klassenkameraden - er wurde ertappt und gerügt. Willkommen an der, wie die Zehnjährigen das nennen, Zoom-Schule.

Viele Leute sind "Zoomer" geworden. Es geht hierbei aber nicht um diesen affigen Generationenkonflikt, bei dem Jüngere die oftmals gut gemeinten, bisweilen aber auch besserwisserischen und damit nervigen Ratschläge der Baby-Boomer-Generation mit dem Spruch "Ok, Boomer" abtun - und sich wegen der Buchstaben selbst den Spitznamen "Zoomer" verpasst haben. Zur Erinnerung: Nachfolger der Boomer sind wegen des gleichnamigen Romans von Douglas Coupland die Mitglieder der "Generation X", Millennials sind "Y" und die zwischen 1995 und 2010 "Z".

Im Schlafanzug zur Konferenz?

Es geht also um die Videokonferenz-App Zoom und deren außerordentliche Beliebtheit während der Coronavirus-Krise: Chefs wollen eine Telekonferenz mit möglichst vielen Mitarbeitern abhalten, Lehrer bitten ihre Schüler ins virtuelle Klassenzimmer, Freunde wollen gemeinsam ein Bierchen trinken, Fitness-Trainer, Musik-Lehrer und Yoga-Meister ihre Kunden anleiten. Es gäbe dafür freilich die Alternativen der Silicon-Valley-Platzhirsche: Hangout (Google) zum Beispiel, Skype (Microsoft), WhatsApp (Facebook) oder FaceTime (Apple). Es kristallisiert sich indes ein Gewinner heraus, von dem vorher kaum jemand etwas gehört hat, und das hat dann doch auch mit dem Generationenkonflikt zu tun.

Es werden in diesen Tagen ein paar Elemente des digitalen Zusammenlebens geregelt wie zum Beispiel jene, ob man zur Telekonferenz im Schlafanzug erscheinen darf, ob man den Kollegen die eigene Wohnung im Hintergrund präsentieren muss oder ob Schüler um Erlaubnis fragen müssen, wenn sie während des virtuellen Unterrichts die Toilette aufsuchen wollen. Es gibt in Kalifornien auch diesen Witz, der deshalb lustig ist, weil er durchaus ernst gemeint ist: Die Leute werden nach dem Ende der Quarantäne zehn Jahre älter aussehen - nicht, weil sie so gestresst sind, sondern weil sie kein Botox kriegen.

All das führt zu den Gründen für den immensen Erfolg von Zoom, das bereits im Jahr 2011 vom ehemaligen Cisco-Manager Eric Yuan gegründet und der durch den Börsengang im April 2018 zum Milliardär wurde. Damals wurde das Unternehmen mit 9,2 Milliarden Dollar bewertet, mittlerweile sind es mehr als 35 Milliarden. Seit Jahresbeginn ist der Kurs des Papiers um mehr als das Doppelte gestiegen - auch weil die Nutzerzahlen gewaltig nach oben gegangen sind. Zoom hat deshalb am vergangenen Freitag eine Warnung veröffentlicht, dass die Kosten immens steigen werden, um den Service nicht schlechter werden zu lassen. Das nämlich ist der erste Grund für den Erfolg von Zoom: Die Plattform ist in der Lage, virtuelle Großveranstaltungen in zumindest ordentlicher Qualität zu stemmen. Das ist wichtig, wenn es eben nicht nur um kurze Gespräche von zwei Menschen geht, sondern um Konzerte mit 500 Zuschauern, Business-Meetings, mehrstündige Vorlesungen wie zum Beispiel an der Elite-Uni Harvard oder eben Unterricht an jener Schule in Kalifornien, die Zoom übrigens kostenlos nutzen darf. "Quasi über Nacht haben die Leute festgestellt, dass sie genau so ein Angebot brauchen", sagte Yuan bereits vor einigen Wochen beim Telefonat mit Experten.

Virtuelle Großveranstaltungen schafft Zoom in ordentlicher Qualität

Der zweite Grund für den Erfolg: Zoom folgt dem KISS-Prinzip, das sich durch die Karriere von Apple-Gründer Steve Jobs zieht: "Keep It Simple, Stupid!" Zoom ist einfach zu installieren und zu nutzen, es gibt keinen Schnickschnack außer jenem, der zur Popularität beiträgt: Die Leute können etwa aus witzigen Hintergründen wählen und so beim Geschäftsgespräch mit Kollegen die eigene Wohnung verbergen. Und es gibt Filter wie beim sozialen Netzwerk Snapchat, über die sich auch Falten im Gesicht entfernen lassen. Die Teilnehmer wirken deshalb auch ohne Make-up oder Botox präsentabel, und das scheint vielen Leuten dann doch wichtig zu sein. Lieber "Zoomer" sein, als von Kollegen verspottet zu werden. Die Plattform ist massentauglich und für Boomer wie Zoomer gleichermaßen attraktiv.

Die Gratis-Version lässt bis zu 100 Teilnehmer für maximal 40 Minuten zu, in China hat Zoom die Zeitbeschränkung wegen der Coronavirus-Krise bereits aufgehoben, in den USA für viele Schulen, zahlreiche Universitäten und einige Unternehmen. Die Luxus-Version für Meetings mit bis zu 1000 Teilnehmern, unbeschränktem Speicher in der Datenwolke und einigen anderen Annehmlichkeiten für Gastgeber von Konferenzen kostet 20 Dollar pro Monat, und das führt zu ein paar Bedenken. Und zu diesem Moment im virtuellen Klassenzimmer, als die Lehrerin ihren Schüler ermahnt, bitteschön aufzupassen.

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Ein Gastgeber nämlich kann nicht nur die komplette Konferenz filmen und speichern oder sich ein Transkript schicken lassen. Es gibt auch die Möglichkeit des "Aufmerksamkeits-Trackings". Die Lehrerin bekommt, wenn sie diese Option einschaltet, mitgeteilt, ob die Schüler wirklich das Zoom-Fenster im Vordergrund haben oder ob sie nebenbei in einem anderen Fenster mit den Klassenkameraden ulken oder Spiele zocken. Das ist für den Gastgeber sinnvoll - die Lehrerin überwacht die Schüler auch im Live-Unterricht; ein Vorgesetzter will, dass beim Meeting alle Teilnehmer aufmerksam sind. Zum anderen muss das Tracking vom Gastgeber bewusst aktiviert werden und ist nicht wirklich ausgeklügelt: Wer in einem anderen Fenster tätig ist, der kann sich ja auch Notizen machen oder eine Aufgabe lösen, über die die Lehrerin gerade redet. Deshalb: Müssen Teilnehmer informiert werden, dass der Gastgeber das Feature aktiviert hat und können sie gerügt werden?

Von der Studentenparty bis zum virtuellen Manager-Meeting

Es werden in diesen Tagen also Elemente des digitalen Zusammenlebens geregelt, dazu gehören berechtigte Fragen, zum Beispiel, ob ein Vorgesetzter einen zwingen kann, eine bestimmte Plattform zu nutzen, nur weil sie gerade bequem daherkommt. Oder Fragen nach der Privatsphäre: Laut Nutzungsbedingungen darf Zoom erfasste Daten für gezielte Werbung nutzen; erwähnt wird dabei etwa Google Ads, nicht jedoch Facebook, das, wie Reporter der Webseite Motherboard soeben herausgefunden haben, über jede mit iOS gestartete Zoom-Session in Kenntnis gesetzt wurde. Einfach so. Zoom reagierte am Freitag auf die Enthüllung und beendete die Weitergabe bestimmter Daten an Facebook.

"Wir befinden uns an einem kritischen Punkt", sagte CEO Yuan schon vor ein paar Wochen, und die Mitteilung am vergangenen Freitag klingt trotz des immensen Nutzerwachstums (die Firma selbst veröffentlicht keine Zahlen, die App ist jedoch die derzeit beliebteste sowohl bei Iphone- und Android-Nutzern) eher vorsichtig: "Auch wenn die Nutzung gestiegen ist, bedeutet das nicht unbedingt, dass die Zahl der zahlenden Kunden steigen wird. Jede ungünstige Wahrnehmung, wenn es also Verzögerungen oder Unterbrechungen wegen des gestiegenen Verkehrs gibt, könnte sich negativ auf unsere Reputation auswirken und damit auf die Möglichkeit, zahlende Kunden zu behalten und zu gewinnen."

Heißt: Zoom fürchtet, durch die explodierenden Nutzerzahlen sein Alleinstellungsmerkmal zu verlieren, die Zuverlässigkeit. Es sieht sich gerade als Gefangener des eigenen Erfolgs und will massiv in seine Infrastruktur investieren, ohne zu wissen, ob die aktuelle Beliebtheit nachhaltig oder nur der Coronavirus-Krise geschuldet ist. Die beliebteste App im indischen App-Store, nachdem Premierminister Narendra Modi eine Ausgangssperre für 1,3 Milliarden Leute verhängt hat, ist übrigens: Zoom.

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