Süddeutsche Zeitung

Verwaltung von Hartz IV:Jeder dritte Widerspruch erfolgreich

Sind die Sachbearbeiter überfordert? Im vergangenen Jahr mussten Jobcenter 300.000 Hartz-IV-Bescheide korrigieren. Politiker sind alarmiert.

Thomas Öchsner

Die Jobcenter haben 2009 mehr als 300.000 Bescheide für Hartz-IV-Empfänger korrigieren müssen. Das entspricht etwa jedem dritten Widerspruchsverfahren. Dies geht aus der Jahresstatistik der Bundesagentur für Arbeit (BA) über Widersprüche und Klagen in der Hartz-IV-Verwaltung hervor, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt.

Wer auf Grundsicherung (Hartz IV) angewiesen ist, bekommt mindestens jedes halbe Jahr einen neuen Leistungsbescheid. Darin ist festgehalten, wie viel Geld aus der Staatskasse dem Hilfebedürftigen zusteht. Insgesamt verschickten die Jobcenter, in denen Kommunen und Arbeitsagenturen 2009 durchschnittlich 6,5 Millionen Empfänger von Arbeitslosengeld II und Sozialgeld (Hartz IV) betreuten, vergangenes Jahr knapp 25 Millionen Bescheide. Gemessen an dieser Zahl ist die offizielle Fehlerquote eher gering: Nur etwa 1,4 Prozent wurden im Widerspruchs- oder Klageverfahren geändert.

Gute Chancen vor Gericht

Den Vorwurf, in den Jobcentern werde eine Vielzahl fehlerhafte Bescheide erstellt und eine Widerspruchsflut produziert, hält Heinrich Alt, Vorstandsmitglied der BA, deshalb für falsch. Die Zahlen sprächen eher "für Qualität in der Bearbeitung", sagte Alt der SZ.

Nach der BA-Statistik gab es gegen die knapp 25 Millionen Bescheide insgesamt 830.200 Widersprüche. Davon waren 36,3 Prozent ganz oder teilweise erfolgreich. In gut der Hälfte dieser Fälle hat dies allerdings mit Fehlern in den Jobcentern zu tun. Hier hätten die Sachbearbeiter entweder das Recht nicht richtig angewendet oder den Sachverhalt unzureichend aufgeklärt, räumt die BA ein.

Ändern die Behörden auch nach einem Widerspruch an ihrem Bescheid nichts, können Hartz-IV-Empfänger dagegen klagen. Dies geschah laut der BA-Statistik in fast 143.000 Fällen und entspricht einer Klagequote von 27,1 Prozent.

Die Erfolgsaussichten für die Hilfebedürftigen sind gut. In dem BA-Papier heißt es: "Rund 55.800 Bescheide wurden im Klageverfahren aufgehoben oder geändert." Das entspreche bei 114.000 abschließend bearbeiteten Klagen einer Erfolgsquote von 48,9 Prozent. Sozialrichter hatten kritisiert, dass das Hartz-IV-System eine Klageflut produziere, die die Gerichte kaum noch bewältigen könnten.

Erfolgsquote bei Klagen ist Alarmsignal

Alt weist dagegen darauf hin, dass es seit 2005 mehr als 40 Novellen des für Hartz-IV-Empfänger maßgeblichen Sozialgesetzbuches II gegeben habe. "Allein die fachlichen Hinweise zum komplexen Leistungsrecht umfassen 500 Seiten."Die Mitarbeiter in den Jobcentern müssten über 20 unbestimmte Rechtsbegriffe wie "angemessen", "besondere Härte" oder "Eignung" interpretieren.

Das BA-Vorstandsmitglied erinnert außerdem daran, dass es vor der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe 2005 zwei Klagewege gab: Die Verwaltungsgerichte waren für die Sozialhilfe zuständig. Um die Arbeitslosenhilfe ging es vor den Sozialgerichten. Hartz-IV-Streitfälle werden dagegen nur noch vor den Sozialgerichten verhandelt.

Brigitte Pothmer, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, warnt jedoch, Probleme unter den Tisch zu kehren. "Die Zahl der Klagen ist auch 2009 wieder gestiegen." Die hohe Erfolgsquote bei den Klagen und Widersprüchen sei kein Qualitätsmerkmal, sondern ein Alarmsignal. "Die Beschäftigten in den Jobcentern sind mit der komplexen Gesetzeslage und zu vielen Fällen offensichtlich überfordert", sagte Pothmer.

Auch Johannes Vogel, arbeitsmarktpolitischer Sprecher der FDP, sieht Defizite, obwohl er das Bild der Klageflut für "etwas überstrapaziert" hält. "Wir brauchen Korrekturen am Hartz- IV-System, um mehr Rechtssicherheit für die Menschen zu schaffen. Deshalb müssen wir die Qualifizierung der Mitarbeiter in den Jobcentern verbessern."

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SZ vom 17.02.2010/jobr
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