Vertretung von Interessen:Lobbyisten wollen für die Lobbylosen kämpfen

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Wenn mächtige Organisationen, Konzerne, oder Branchenverbände losziehen, um ihre Interessen bei Regierungen, in Parlamenten und Ministerien durchzusetzen, dann spielt Geld selten eine Rolle. (Foto: Getty Images)
  • Ein früherer Lobbyist des Bundesverbandes der deutschen Industrie will nun jene unterstützen, die sonst keine Lobby haben.
  • Langjährige Spitzenpolitiker unterstützen ihn, noch aber fehlt Geld.

Von Uwe Ritzer

Stand Freitagnachmittag fehlen noch 72 500 Euro. Vor ein paar Monaten, als er noch Lobbyist beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) war, hätte Jan Christian Sahl auf einen solchen Betrag vermutlich keinen Gedanken verschwendet. 72 500 Euro - wenn es sein musste, ging so viel an einem Abend drauf, für eine trendige Location, delikates Essen, feine Getränke, die einprägsame Aufbereitung der eigenen Anliegen für die Gäste und vielleicht noch ein wenig Show-Tamtam, damit auch wirklich viele, wichtige Menschen kamen und sich wohlfühlten.

"Wenn Sie so wollen, sind wir ein Start-Up"

Wenn mächtige Organisationen (auch solche wie Greenpeace, das Rote Kreuz oder kirchliche Verbände gehören dazu), Konzerne, oder Branchenverbände losziehen, um in einer Mixtur aus Charmeoffensiven und bisweilen penetranter Missionierung ihre Interessen bei Regierungen, in Parlamenten und Ministerien durchzusetzen, dann spielt Geld selten eine Rolle. Doch diesmal hat Lobbyist Sahl kein großes Budget zur Verfügung; er muss sich das nötige Kapital zusammenbetteln, via Internet und Crowdfunding. "Es gibt kein Vorbild für das, was wir da machen", sagt er.

Gründer Jan Christian Sahl. (Foto: OH)

"Wenn Sie so wollen, sind wir ein Start-Up." Passend dazu hat er sich in der Factory eingemietet, Berlins größtem und trendigsten Gründercampus an der Mauer-Gedenkstätte Bernauer Straße. Er hat eine Handvoll Unterstützer um sich geschart; Leute, die professionell programmieren und kommunizieren, sich mit Social Media, Kampagnen oder Marketing auskennen. In Norbert Lammert, Brigitte Zypries und Gertrude Lübbe-Wolff hat Sahl zwei langjährige Spitzenpolitiker und eine frühere Verfassungsrichterin als prominente Unterstützer gewonnen. Nun fehlt nur noch das Geld, um Welobby zu starten, die Lobbyorganisation für all jene, die keine Lobby haben.

Lobby, Lobbyismus, Lobbyist - der Begriff in all seinen Ausprägungen scheint zum Schimpfwort verkommen zu sein, quasi zum Synonym dafür, dass es ungerecht zugeht. Weil scheinbar nur einige wenige ihre Interessen durchsetzen, dank ihres vielen Geldes, und erstklassiger Kontakten in die Politik. Und das auch häufig noch hinter den Kulissen, über verborgene Kanäle und entsprechend intransparent. Wobei eine Demokratie, soll sie funktionieren, prinzipiell nicht ohne Lobbyismus auskommt. "Wir als Politiker sind darauf angewiesen, mit Menschen zu sprechen, die uns ihre Sichtweisen, Argumente und Beurteilungen mitteilen", sagt Brigitte Zypries (SPD), ehemalige Bundesjustiz- und -wirtschaftsministerin. "Die Aufgabe der Politik ist es, anschließend einen fairen Mittelweg zu finden."

"Asymmetrie in der politischen Interessenvertretung"

Nur gelinge das immer seltener, sagen Kritiker wie Marco Bülow. Seit Jahren beklagt der SPD-Bundestagsabgeordnete eine wachsende Chancenungleichheit. "Verbände ohne große Geldgeber, ohne wirtschaftliche Interessen haben schlechtere und weniger Möglichkeiten, den Abgeordneten ihre Auffassungen nahezubringen."

Das ist belegbar. So hatten bei Themen wie Finanzmarktregulierung, Einschränkung des Tabakkonsums oder Abgasskandal Lobbyisten der jeweiligen Branchen deutlich häufiger persönlichen Kontakt mit den politischen Entscheidern (und damit die Möglichkeit, ihre Positionen direkt anzubringen), als etwa Verbraucher- oder Umweltschützer. Oder das Beispiel USA. Dort zahlten 2010 von den 100 größten Unternehmen jene zehn am wenigsten Steuern, die am meisten Geld für Lobbyarbeit ausgaben, im Schnitt 17 statt 26 Prozent.

"Natürlich gibt es da seit langem eine Unwucht", sagt Getrude Lübbe-Wolff, bis 2014 Richterin am Bundesverfassungsgericht. "Dabei müssen in einer Demokratie alle die gleichen Chancen haben, gehört zu werden. Von einer "Asymmetrie in der politischen Interessenvertretung", spricht Timo Lange von der Nichtregierungsorganisation Lobbycontrol. Er hält Sahls Welobby-Projekt für "eine bemerkenswerte, kreative Initiative, die genau an der richtigen Stelle ansetzt" - bei der Frage der Waffengleichheit unter Lobbyisten.

In Berlin kommen auf einen Bundestagsabgeordneten schätzungsweise etwa acht Lobbyisten. Genau weiß es niemand, weil letztere keiner zählt. Die CDU und Teile der SPD verhindern ein Lobbyregister, in das sich professionelle Interessenvertreter eintragen müssen, unter Angabe ihrer Auftraggeber, ihres Auftrags und des dazugehörigen Budgets.

So ist und bleibt die Lage unübersichtlich. Wer als Geschäftsführer oder Repräsentant eines Verbandes oder Konzerns in Ministerien oder bei Abgeordneten vorstellig wird, ist als Lobbyist identifizierbar. Komplizierter wird es bei den Vertretern jener Lobbysöldner-Agenturen, die heute für jene, morgen für andere losziehen, stets sehr diskret. Alle gleichermaßen setzen nicht nur bei Politikern an, sondern auch dort, wo es kaum jemand mitbekommt; in Sachgebieten und Referaten von Ministerien, dort also, wo Gesetzentwürfe oder Grundsatzpositionen häufig ihren Anfang nehmen.

Als BDI-Mann war Jan Christian Sahl leicht als Lobbyist leicht zuzuordnen. Nun sitzt er in der Sonne auf einer Factory-Terrasse, inmitten junger Leute mit Notebooks, Knöpfen im Ohr und der Idee für das ultimative Start-Up im Kopf. 37 Jahre ist er alt, Rechtsanwalt von Beruf und Dozent an der Humboldt-Universität. Immer schon habe er es spannender gefunden, Recht, Gesetze also, mitzugestalten, statt nur anzuwenden, sagt Sahl. Und erzählt, wie er Politikern und Beamten sieben Jahre lang BDI-Positionen zu Themen wie Digitalisierung, Glücksspiel, Tabakpolitik oder Patentrecht vermittelte, in Gesprächen und Papieren, bei geselligen Abenden oder über Kampagnen.

Kommen die fehlenden 72 500 Euro noch zusammen, ist der Start gesichert

"Ich hatte nie das Gefühl, völlig auf der falschen Seite zu kämpfen", räumt er gleich eine Vermutung ab. Nur hätten große, starke Organisationen wie der BDI keine Probleme, sich politisch Gehör zu verschaffen. Anders als die Kleinen, Schwachen, die sich keine Lobby-Profis als Türöffner leisten können und selbst nicht wissen, wie das Geschäft funktioniert.

Deshalb also Welobby. Kommen die fehlenden 72 500 Euro zusammen, ist der Start gesichert. Dann können alle, die nichtkommerzielle Interessen verfolgen, Welobby um Hilfe bitten. Ein paar Initiativen liegen dort schon auf dem Tisch. Es geht etwa um Tiny-Houses, Mini-Häuser, die in den USA immer beliebter und ausgerechnet im Wohnungsnotland Deutschland am Baurecht scheitern.

Oder um das Konzept einer Berliner Initiative für besseren Mieterschutz für Menschen mit gesundheitlichen Problemen. Oder die andere Initiative, die bislang vergeblich auf die überproportional hohe Belastung kleiner Selbständiger durch Sozialsysteme und Staat aufmerksam macht. Welobby will Vorschläge sammeln und prüfen, ob sie sich mit dem Bild einer offenen Gesellschaft vertragen, Allgemeininteressen und nicht dem Profit Einzelner dienen, politisch umsetzbar und rechtlich in Ordnung sind. Dann soll via Crowdfunding das Geld für die Lobbyarbeit eingesammelt werden. Die, verspricht Sahl, werde klassisch ablaufen - und doch anders, nämlich "öffentlich und transparent".

© SZ vom 12.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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