Versteckte Zuwendungen:Bezahlt die Industrie meinen Arzt?

Organspende-Skandal Göttingen
(Foto: Emily Wabitsch/dpa)

Pharmakonzerne haben erstmals offengelegt, wer von ihrem Geld profitiert. Nicht alle Mediziner waren damit einverstanden.

Von Kim Björn Becker, Katharina Brunner und Vanessa Wormer

Wie viel Geld bekommt mein Arzt von der Pharmaindustrie? Zumindest teilweise lässt sich diese Frage seit Kurzem beantworten. 54 Pharma-Konzerne haben erstmals freiwillig darüber Auskunft gegeben, wie viel Geld sie im vergangenen Jahr an Ärzte und andere Fachkreisangehörige des Gesundheitswesens gezahlt haben - etwa für Vortragshonorare, Essenseinladungen oder sogenannte Anwendungsbeobachtungen (AWB) von Medikamenten. Kritiker sehen in diesen Zuwendungen - und besonders in den umstrittenen AWB - bisweilen eine verdeckte Form der Bestechung; sie argumentieren, dass die Konzerne damit erreichen wollten, dass ihre Medikamente häufiger verschrieben würden als die der Konkurrenz. Die Unternehmen halten diese Praxis demgegenüber für legitim und weisen den Vorwurf der verdeckten Korruption vehement zurück.

Ende Juni veröffentlichte der Verein "Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie" (FSA), dem die besagten 54 Unternehmen angehören, zunächst einmal nur die Gesamtsumme der Zuwendungen an Fachkreisangehörige: Insgesamt zahlten die Mitgliedsunternehmen 2015 etwa 575 Millionen Euro aus. Damit sollte nach den Worten des FSA-Geschäftsführers Holger Diener die "Grundlage für eine sachliche Diskussion über die Zusammenarbeit zwischen Industrie und Ärzten" geschaffen werden.

Inzwischen liegen auch die Detailberichte der teilnehmenden Konzerne vor. Das Recherchebüro Correctiv hat daraus eine Datenbank erstellt, aus der hervorgeht, welcher Arzt wie viel Geld von der Industrie bekommt - vereinzelt sind es gar mehrere Hunderttausend Euro pro Jahr. Eine Auswertung dieser Berichte zeigt aber auch die Grenzen der Transparenzinitiative auf: Zwar ist die Gesamtsumme der Zahlungen nun bekannt, in vielen Fällen bleibt allerdings offen, an wen das Geld genau geflossen ist.

Die FSA wies zu Beginn schließlich nur grobe Kategorien aus, für die das Geld verwendet worden ist. Genaueren Aufschluss über die Verwendung der Mittel sollten dann die Berichte der jeweiligen Konzerne geben, doch diese Dokumente haben teils beträchtliche Lücken. Nur bei insgesamt etwa 119 Millionen Euro stimmten die Empfänger zu, dass ihre Namen und Adressen publik werden. Besonders gering war die Transparenz-Bereitschaft unter einzelnen Ärzten, bei ihnen war nur jeder dritte Mediziner mit einer Veröffentlichung einverstanden. Anders bei den Kliniken und anderen Institutionen; dort können immerhin 95 Prozent der Zahlungsströme detailliert nachvollzogen werden.

Trotz der neuen Transparenzinitiative bleibt aber im Dunkeln, an wen genau rund 450 Millionen Euro gezahlt worden sind. Das sind rund 74 Prozent aller Zahlungen, welche die Industrie geleistet hat. Vor allem wenn es um die umstrittenen AWB geht, bei denen Ärzte den Unternehmen gegen Honorar berichten, wie Patienten ein Präparat vertragen, sind genaue Zuordnungen bislang unmöglich.

Auf Nachfrage sagte ein Sprecher von Bayer, man habe den Fachkreisangehörigen zuvor "sowohl schriftlich als auch in Informationsgesprächen empfohlen, in die individuelle Veröffentlichung einzuwilligen". Dass am Ende doch nur jeder Vierte, der von Bayer Geld erhalten hatte, einer Namensnennung zugestimmt hat, könne auf eine "Vielzahl von Faktoren zurückzuführen sein", so der Sprecher weiter.

Sind die Berichte nur ein Alibi?

Vor diesem Hintergrund äußerte der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach seine "große Skepsis" gegenüber den nun freiwillig veröffentlichten Daten. Die Pharmaindustrie liefere "irreführende Teilinformationen" der geleisteten Zahlungen und verschaffe sich damit ein "Alibi", um einer möglichen gesetzlichen Veröffentlichungspflicht zu entgehen. Es sei auch immer problematisch, "wenn Akteure sich selbst die Regeln geben", sagte Eugen Brysch, der Vorsitzende der Deutschen Stiftung Patientenschutz.

Die Unternehmen sehen das anders. Bei Pfizer sei man sich "bewusst, dass die Zahlungen an Ärzte für deren Leistungen teilweise kritisch gesehen werden", sagte ein Unternehmenssprecher. Es sei aber ein "starkes Signal", dass bereits mehr als ein Viertel der Ärzte mit einer Veröffentlichung einverstanden seien. Eine Vertreterin des japanischen Unternehmens Eisai sagte, man halte den Zwang zur Veröffentlichung "nicht für den idealen Weg".

Bei Sanofi zeigte man sich indes sogar offen für weitere Schritte: "Wir haben nichts dagegen, wenn diese Praxis für weitere Kreise durch eine gesetzliche Regelung verbindlich gemacht wird", sagte eine Sprecherin.

Unzureichende Systeme

Zugleich haben viele im Gesundheitssystem in der Vergangenheit bisweilen eher enttäuschende Erfahrungen mit der versuchten Herstellung von Transparenz gemacht - auch wenn gerade für Patientenvertreter wie Eugen Brysch klar ist, dass Informationen die Rolle der Behandelten "fast immer nur stärken" können. So hat der Gesetzgeber vor einigen Jahren den sogenannten Pflege-TÜV eingeführt, mit dessen Hilfe Angehörige schnell herausfinden können sollten, wie gut oder eben schlecht ein Pflegeheim arbeitet. Doch die Transparenz-Initiative ging aufgrund einer unzureichenden Methodik fehl, selbst ein Skandal-Heim bekam die Bestnote. Die Transparenz war da, doch sie brachte nichts.

Derzeit überarbeitet eine Expertengruppe das Notensystem. Parallel wird an einer Praxissoftware für Ärzte gearbeitet, die verdeutlichen soll, wie wirksam welches Medikament ist. Doch auch dabei tobt ein Streit um die Kriterien, nach denen die Wirksamkeit per Ampel abgebildet werden soll - ob die Mediziner davon am Ende wirklich einen Nutzen haben, wenn sie den Rezeptblock zücken, ist noch offen.

Andere Beispiele zeigen, dass Verbraucher trotz der Widerstände der Industrien am Ende doch tiefere Einblicke in das Räderwerk des Gesundheitswesens bekommen haben. Maria Michalk, gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsfraktion im Bundestag, erinnert an den Vorbehalt der Kassen vor einiger Zeit, als sie gezwungen werden sollten, die Höhe der jeweiligen Vorstandsgehälter offenzulegen. "Inzwischen ist diese Pflicht da, wird akzeptiert und die Mitglieder können besser nachvollziehen, was mit ihren Beiträgen passiert", sagt Michalk. Gut möglich also, dass auch die Zuwendungen der Pharma-Industrie an Ärzte eines Tages per Gesetz ganz genau veröffentlicht werden müssen. Union und SPD lassen jedenfalls erkennen, dass sie diesem Plan nicht ganz abgeneigt sind.

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