Süddeutsche Zeitung

Unternehmen:Wie Versicherungsmakler von hohen Preisen profitieren

Unternehmen sollen viel mehr für ihre Feuer-, Haftpflicht- oder Cyberdeckung zahlen, obwohl sie unter den Folgen der Pandemie leiden. Das nutzt Maklern.

Von Herbert Fromme, Köln

EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager dürfte schon in wenigen Wochen ihren Segen geben. Dann kann eine Milliardenfusion über die Bühne gehen, die vor mehr als einem Jahr eingefädelt worden war. Aon, der Weltmarktführer unter den Spezialmaklern für die Industrieversicherung, übernimmt für rund 30 Milliarden Dollar (24,6 Milliarden Euro) den Rivalen Willis Towers Watson, die Nummer drei der Branche. Die bisherigen Willis-Aktionäre werden mit Aon-Aktien bezahlt.

"Die Pandemie hat klargemacht, dass die Industrie Lösungen braucht, die heute noch gar nicht existieren", sagte Aon-Chef Greg Case. Case treibt eine Sorge um: "Seit den 1990er-Jahren sinkt der Anteil der Versicherungsprämien am globalen Bruttosozialprodukt." Die Versicherer würden also immer unwichtiger für ihre Kunden, gerade in der Industrie. Den Trend könne man brechen, indem man auch die langfristigen Risiken der Industrie absichere und echte neue Lösungen finde. "In der Kombination mit Willis können wir das besser."

Wegen der starken Marktstellung der künftig vereint agierenden Unternehmen hat die EU-Kommission in ihrer Rolle als Kartellbehörde verlangt, dass die beiden Teile ihres Geschäfts verkaufen.

Das ist jetzt geschehen: Der Großmakler Arthur J. Gallagher aus Chicago kauft für 3,6 Milliarden Dollar einzelne Unternehmen aus der Willis-Gruppe. Dazu gehören der Rückversicherungsmakler Willis Re und mehrere europäische Töchter, darunter auch die deutsche Willis-Gesellschaft.

Weltweite Neuordnung der Branche

Die Übernahmen sind Teil einer weltweiten Neuordnung der Branche. 2019 kaufte der Großmakler Marsh, zurzeit die Nummer zwei im Weltmarkt, den Rivalen Jardine Lloyd Thompson für 5,6 Milliarden Euro. Jetzt kommt der Aon-Willis-Deal, der die Marktführerschaft von Aon auf dem Globus zementiert. Arthur J Gallagher wird der neue Weltmarkt-Dritte.

Die Finanzierung der Megadeals ist kein Problem. Private Equity-Investoren und andere große Anleger haben große Lust auf die Branche. Das spüren auch deutsche Unternehmen. Der frühere Versicherungsvorstand Tobias Warweg hat mit dem Geld des Londoner Investors HG Capital schon rund ein Dutzend kleinerer Maklerfirmen übernommen.

Das britische Investmenthaus Anacap hat sich an MRH Trowe in Frankfurt beteiligt, auch Trowe kauft kleine Rivalen auf. Die Alteigentümer verkaufen gerne, schließlich müssten sie sonst viel in die Digitalisierung investieren. Außerdem dämmert es ihnen, dass sie vielleicht zu klein für die Herausforderungen der Zukunft sind.

Der von den beiden Kirchen kontrollierte Makler Ecclesia ist hierzulande ähnlich stark wie Aon und damit an der Spitze des Marktes in Deutschland. Das Detmolder Unternehmen hat den Münchner Konkurrenten Schunck gekauft und zahlreiche Übernahmen im europäischen Ausland und im Inland vollzogen. "In unserer Branche ist Größe an sich ein Wert", sagte Ecclesia-Geschäftsführer Jochen Körner. Dann habe ein Makler mehr Marktmacht gegenüber den Versicherern, könne Verbindungen zu ausländischen Märkten aufbauen und die Industrie viel besser bei ihren Risiken unterstützen.

Die Aufkäufer und ihre Finanziers sehen aktuell eine gute Gelegenheit, Umsätze und Gewinne kräftig auszubauen. Denn die Industrie sucht neue, schnelle und zuverlässige Versicherungslösungen, will Cyberrisiken ebenso versichert haben wie Pandemien, mögliche Probleme mit Pharmarisiken oder in der Managerhaftpflicht.

Die Versicherer kürzen stattdessen die Kapazitäten und erhöhen drastisch die Preise, ob AIG, Allianz, Axa, HDI oder Zurich. Und das in einer Lage, in der viele Unternehmen ohnehin unter den Folgen von Corona ächzen. So gingen in der Sachversicherung die Preise Ende 2020 um 15 Prozent bis 20 Prozent nach oben, berichtet Thomas Olaynig, Geschäftsführer bei Marsh.

Erhöhungen bis 30 Prozent

In Spezialsparten wie der Managerhaftpflicht sind es 20 Prozent bis 30 Prozent. In der Cyber-Versicherung stellt Marsh Erhöhungen von 30 Prozent bis 40 Prozent fest, vereinzelt bis zu 500 Prozent.

Kai-Frank Büchter, Deutschlandchef bei Aon, hat ähnliche Erfahrungen gemacht: "In einem Managerhaftpflicht-Fall wurde die Kapazität halbiert, und der Preis für diese reduzierte Kapazität dann verzehnfacht." Das habe der Kunde nicht akzeptiert und mit Hilfe des Maklers eine Alternative gefunden - die aber auch deutlich teurer war als die bisherige Versicherung.

Selbst die Einkäufer der Industrie geben zu, dass nach 15 Jahren im Sinkflug die Preise steigen mussten. Aber erhöhen ist die eine Sache, die Art und Weise eine andere. Manches Industrieunternehmen hatte schon im Juni 2020 eine Anfrage gestellt, ob die Gesellschaft ein bestimmtes Risiko ab Anfang 2021 decken würde, um dann Mitte Dezember eine Ablehnung zu erhalten. "Arrogant", "keine Partnerschaft mehr" lauten oft gehörte Kommentare.

Für die Makler bietet die Lage goldene Geschäftsmöglichkeiten. Wenn ein Versicherer zu teuer ist, werden sie gebraucht, um andere Anbieter zu finden. Möglicherweise kann ein Industriekonzern ein Risiko auch über Spezialanleihen an den Kapitalmarkt geben. Das zeigen die zahlreichen Katastrophenbonds, die aufgelegt wurden. Aon ist einer der größten Arrangeure für solche Bonds. Für manche Konzerne wird die Selbstversicherung wieder attraktiver, auch dabei spielen Makler eine große Rolle.

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