Süddeutsche Zeitung

Versicherungen:Schau an

Anhand eines Selfies erkennt eine Versicherungssoftware Alter, Geschlecht und Gewicht - und stellt Policen aus.

Von Christian Bellmann, Köln

Ein Selfie mit der Smartphone-Kamera und wenige simple Fragen, die mit Ja oder Nein zu beantworten sind - mehr soll nicht nötig sein, um eine Versicherung abzuschließen. Das verspricht zumindest der Rückversicherer Gen Re aus Köln.

Gemeinsam mit dem amerikanischen Softwarehersteller Lapetus hat das Unternehmen eine App entwickelt, mit deren Hilfe der Abschluss eines Versicherungsvertrags in wenigen Minuten erledigt sein soll. Die App richtet sich vor allem an jüngere Kunden. "Uns geht es um einen spielerischen Zugang", sagt Dirk Nieder, der bei der Gesellschaft in Köln das Projekt verantwortet. "Die Kunden sollen nicht mehr durch eine komplexe und langwierige Risikoprüfung abgeschreckt werden."

Die Gen Re sichert Gesellschaften wie Allianz oder Zurich gegen Großschäden ab. Sie hat mit den Endkunden eigentlich nichts zu tun. Doch das Unternehmen hat gute Gründe, sich mit der Digitalisierung zu beschäftigen und solche Anwendungen seinen Kunden - anderen Versicherern - zur Verfügung zu stellen. Das erhöht die Bedeutung des Rückversicherers für die eigenen Kunden und bringt Geschäft. Selbst könnten viele kleine und mittelgroße Versicherer den Aufwand nicht finanzieren, den eine solche App bedeutet.

"Wir suchen Kooperationen", sagt Nieder. "Wir sind kein Technologieunternehmen und keine Beratungsfirma, der es um den Verkauf ihrer Software oder um Honorar für Beratungsleistung geht." Im Gegenzug erwartet die Gen Re von einem Versicherer, dass sie bei seinem über die App abgeschlossenen Geschäft als Rückversicherer ins Spiel kommt.

Das Ziel: Der Antragsteller soll so schnell wie möglich die Information erhalten, wie viel er für die Versicherung zahlen muss. "Je länger das dauert, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Kunde abspringt", erläutert Ulrich Pasdika, der bei der Gen Re das Geschäft in der Lebens- und Kranken-Rückversicherung in Deutschland leitet.

Die App nutzt ein Foto, das der Kunde mit seiner Smartphone-Kamera von seinem Gesicht aufnimmt. Mit dem Bild bestimmt das Programm Alter, Geschlecht und den Body Mass Index (BMI). Sollte der Algorithmus daneben liegen, können die Kunden das manuell korrigieren. "Die Daten, die das Programm ermittelt, sind nur der Ausgangspunkt, sie werden nicht als gesetzt angesehen", sagt Nieder. Wie hoch der BMI genau ist, spielt für den Versicherungsantrag ohnehin keine Rolle. Es kommt letztlich darauf an, dass der Kunde sich einem der fünf in der App vorgegebenen Körpertypen zuordnet, um insbesondere starkes Übergewicht zu erkennen.

Gesichtserkennung gehört weltweit zu den wichtigsten Zukunftstechnologien

Zudem muss er einige wenige Fragen beantworten. Dabei geht es um bestimmte Vorerkrankungen und Krankenhausaufenthalte in jüngster Vergangenheit. Die Fragen sind bewusst einfach gehalten, ja oder nein reicht.

Die Gen Re blickt in Deutschland auf eine traditionsreiche Historie zurück. Die Gesellschaft ist aus der Kölnischen Rück hervorgegangen, die 1846 gegründet wurde. Seit 1994 gehört sie zum US-Rückversicherungskonzern General Re, der seinerseits Teil von Berkshire Hathaway ist, der Holding des Star-Investors Warren Buffett. Aber für Tradition kann man sich auch in diesem Markt wenig kaufen - Gen Re muss mit Munich Re, Swiss Re und anderen konkurrieren. Dabei spielen Angebote wie die neue App eine wichtige Rolle.

Wie ein Versicherer das System künftig einsetzt, lässt Gen Re offen. Es kann entweder direkt auf den Smartphones der Kunden laufen oder für die Verwendung durch einen Vertreter oder Makler eingerichtet werden. "Das hängt von den Zielvorstellungen des Versicherungsunternehmens ab", sagt Nieder. "Beide Ansätze sind möglich." Gen Re hat die App als eigenständige Anwendung entwickelt. "Sie kann aber genauso gut auch in die bestehende App eines Versicherers oder in seine Internetseite integriert werden", erläutert er.

Gen Re testet das System aktuell in Asien. Zur Auswahl stehen eine Sterbegeld- und eine Krankentagegeldversicherung sowie eine Unfallpolice, mit der sich Kunden an zehn ausgewählten Tagen pro Jahr versichern können. Das Angebot ist derzeit speziell auf asiatische Kunden ausgerichtet. "Für den Einsatz in Europa und damit auch auf dem deutschen Markt würden andere Policen zum Einsatz kommen", sagt Pasdika. Denkbar sind Berufsunfähigkeits- und Risikolebensversicherungen.

Gesichtserkennung und Gesichtsanalyse gehören weltweit zu den wichtigsten Zukunftstechnologien. Sie bieten zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten in der Finanz- und Versicherungsbranche.

Banken setzen die Gesichtsanalyse schon heute ein, um anhand der Mimik eines Kunden zu erkennen, ob seine Angaben für einen Kreditantrag der Wahrheit entsprechen. Versicherern kann die Technik dabei helfen, einen Versicherungsbetrug aufzudecken, das macht die US-Gesellschaft Lemonade.

Der chinesische Versicherungsgigant Ping An ist einer der wichtigsten Akteure auf diesem Gebiet. Statt mit einem Passwort können sich seine Kunden mit einer Gesichts- und Spracherkennung beim Online-Banking und ihrem digitalen Versicherungsordner anmelden. Ping An hat für seine von Millionen Chinesen genutzte Telemedizin-Plattform "Good Doctor" ein Programm entwickelt, das bestimmte Krankheiten angeblich bereits im Frühstadium mit einer Genauigkeit von mehr als 90 Prozent erkennen soll.

Auch in den eigenen Reihen setzt Ping An die Technik ein: Vor Besprechungen müssen die Angestellten ihr Gesicht scannen lassen und damit ihre Anwesenheit verifizieren. So ist ausgeschlossen, dass ein Angestellter einen Kollegen darum bittet, ihn mit seiner Mitarbeiterkarte anzumelden. Dass dies möglich ist, liegt auch an den laschen Datenschutzregeln. Nicht alles, was in China funktioniert, wird sich in unveränderter Form auch auf europäischen Märkten etablieren lassen. Aber die Gesichtserkennung als Zukunftstechnik für Versicherer wird dadurch nicht weniger wichtig.

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Quelle:
SZ vom 14.03.2019
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