Süddeutsche Zeitung

Versicherungen:Fahrrad ruft Rettungswagen

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Ähnlich wie bei Neuwagen sollte auch ein Fahrrad Hilfe holen können - meint die Axa.

Von Nina Nöthling, Köln

Für Neuwagen ist er seit 2018 Pflicht, der Unfallmelder Ecall, der nach einem Crash automatisch eine Notrufzentrale alarmiert. Die versucht dann, den Fahrer zu erreichen. Wenn das misslingt, kommt der Rettungswagen.

Das sollte es auch für Fahrräder geben, findet die deutsche Tochter des französischen Versicherers Axa. Das hat mit Versicherung nur wenig zu tun, entspricht aber dem Kalkül vieler Gesellschaften. Der Versicherer als Kümmerer für den Kunden - das wollen die Vorstände gerne sehen. Verbraucherschützer kritisieren solche Vorstöße oft als reine Marketing-Aktionen.

Das hindert die Versicherer nicht, immer öfter Dienstleistungen auf den Markt zu bringen, die weit entfernt sind von ihrem Kerngeschäft. Die Versicherungskammer Bayern bietet ihren Kunden einen Blumengießservice an, wenn sie im Urlaub sind. Die Gothaer kooperiert mit Bosch, um Einbrecher abzuwehren, und die Allianz betreibt einen eigenen Handwerkerservice.

In diese Reihe gehört die Axa mit dem Ecall für Fahrräder. Damit will der Versicherer von dem Zweiradboom profitieren. 2018 wurden dem Zweirad-Industrieverband zufolge 4,2 Millionen Fahrräder in Deutschland verkauft, der zweithöchste Wert in diesem Jahrzehnt. Allerdings ist Radfahren auf deutschen Straßen auch gefährlich. Im vergangenen Jahr starben 455 Radfahrer - 15 Prozent mehr als 2017. Der Ecall für Fahrräder soll bei einem Unfall schneller für Hilfe sorgen, gerade wenn keine anderen Menschen in der Nähe sind.

Der Fahrrad-Ecall funktioniert ähnlich wie der automatische Notruf für Autos, der sich nach einem Unfall meldet, falls der Fahrer dazu nicht mehr in der Lage ist. Bei dem System der Axa sind die Sensoren in einem Spezial-Rücklicht angebracht. Die Lampe muss noch per Bluetooth mit der Begleit-App Wayguard auf dem Handy verbunden werden, die ebenfalls von Axa entwickelt wurde.

Kommt es zu einem Unfall, schickt der Sensor im Rücklicht ein Signal an Wayguard und startet einen automatischen Notrufprozess. Der Fahrradfahrer hat 60 Sekunden Zeit, den Notruf über die App zu stoppen, falls er nicht oder nur leicht verletzt ist. Tut er das nicht, wird die Wayguard-Leitstelle alarmiert. Ein Mitarbeiter dort versucht dann, den Nutzer anzurufen. Reagiert der nicht, ruft der Mitarbeiter einen Rettungswagen. Die Besonderheit der App: Sie übermittelt den genauen Ort des Verletzten auf Basis der GPS-Daten. So können die Retter die Unfallstelle schneller finden.

Beim Axa-Licht ist im Preis von rund 70 Euro eine einjährige Fahrrad-Unfallpolice enthalten. Der Bund der Versicherten sieht darin vor allem einen Marketing-Gag. "Grundsätzlich wird eine Unfallversicherung langfristig abgeschlossen", sagt eine Sprecherin. "Die Absicherung von nur einem Jahr, die noch dazu automatisch endet, ist daher wenig sinnvoll." Eine separate Unfallpolice sei deutlich besser.

Außerdem kritisieren die Verbraucherschützer, dass die Deckungssumme mit 60 000 Euro viel zu niedrig ist. "Wir empfehlen als Invaliditätsgrundsumme je nach Alter das Vier- bis Sechsfache des Bruttojahreseinkommens abzusichern, um angemessen im Falle einer unfallbedingten Invalidität abgesichert zu sein."

Ganz so neu ist die Idee des Fahrrad-Ecalls jedoch nicht. Auch der tschechische Anbieter Rexbike verkauft ein Alarmsystem für Fahrradunfälle. Das Freiburger Start-up Tocsen hat eine Lösung für Fahrradhelme entwickelt. So etwas hat auch der chinesische Helmhersteller Livall auf den Markt gebracht. Livall kooperiert in Österreich mit der Ergo-Versicherung, dort funktioniert das System ähnlich wie bei der Axa in Deutschland.

Wichtig ist die Verbindung zu einer professionellen Leitstelle - und nicht nur zu vorher vom Fahrer eingegebenen Nummern von Freunden oder Familienmitgliedern. Das meint Martin Utz vom Bayerischen Radsportverband (BRV). "Der Verunfallte ist nicht darauf angewiesen, dass die SOS-Nachricht von seinem Kontakt auch gelesen wird." Grundsätzlich begrüßt der BRV die Einführung von Notrufsystemen. "Oftmals haben Angehörige Bedenken, wenn andere alleine mit dem Rad unterwegs sind", sagt Utz. Diese Gewissheit, dass im Fall eines Sturzes Hilfe geholt wird, könne auch dem Fahrer Sicherheit geben. "Die Berichterstattung zeigt ja leider, dass Opfer vom Unfallgegner immer wieder hilflos zurückgelassen werden."

Allerdings lohne sich die Anschaffung eines speziellen Helms oder Rücklichts vor allem für Fahrer, die oft allein und außerhalb von Ortschaften unterwegs sind. "Wer mit dem Rad nur tagsüber im Stadtverkehr unterwegs ist, sollte darauf vertrauen dürfen, dass andere Verkehrsteilnehmer Hilfe leisten und holen."

Das französische Start-up Liberty Rider will ebenfalls noch in diesem Jahr mit einen Ecall für Motorräder und Fahrräder auf den deutschen Markt kommen. Während die Axa nach eigenen Angaben keine Daten sammelt, wertet das französische Start-up die Informationen aus. Anhand der Daten zeigt Liberty Rider dann die besten und ungefährlichsten Routen.

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Quelle:
SZ vom 11.11.2019
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