Süddeutsche Zeitung

Versicherungen:Es geht um die Existenz

Bei der Wahl einer privaten Berufsunfähigkeitspolice kann viel schiefgehen.

Von Anne-Christin Gröger, Köln

Für viele Arbeitnehmer ist es ein Schreckensszenario: wegen einer dauerhaften Erkrankung nicht mehr arbeiten gehen zu können. Fällt das monatliche Einkommen weg, kann eine Berufsunfähigkeit (BU) schnell existenzbedrohend werden, zumal dann oft noch Kosten für die medizinische Behandlung anfallen.

Vom gesetzlichen Sozialversicherungssystem ist nicht viel zu erwarten: Zwar gehörte vor 2001 die BU-Absicherung zur gesetzlichen Rentenversicherung. Aber weil die Regierungen Kohl und Schröder hier sparen wollten, müssen Erwerbstätige, die nach dem 1. Januar 1961 geboren sind, seitdem selbst für den Fall vorsorgen, dass sie wegen Krankheit dauerhaft nicht arbeiten können. Denn wer so krank ist, dass er in überhaupt keinem Beruf mehr als drei Stunden pro Tag arbeiten kann, erhält lediglich eine staatliche Erwerbsminderungsrente, die oft sehr schmal ausfällt.

Verbraucherschützer und Versicherer raten deshalb in seltener Einigkeit zum Abschluss einer privaten Berufsunfähigkeitsversicherung. Nur sie könne Erwerbstätige vor dem finanziellen Absturz schützen, argumentieren sie. Dennoch sind die Policen umstritten. Kritiker monieren, dass die Verträge zu teuer sind. Vor allem Handwerker, die aufgrund ihrer harten körperlichen Arbeit den Schutz am meisten brauchen, können sich die Policen kaum noch leisten. Ein Beispiel: Ein 38-jähriger Sachbearbeiter mit Hochschulabschluss zahlt für eine Police mit einer Rente in Höhe 1500 Euro je nach Anbieter zwischen 60 Euro und 150 Euro pro Monat. Das zeigt eine Abfrage beim Vergleichsportal Check24. Ein gleichaltriger Fliesenleger muss für eine gleich hohe Rente zwischen 200 Euro und 350 Euro monatlich bezahlen.

Außerdem ist der Abschluss schwierig. Kunden müssen sich durch zahlreiche Fragen über Vorerkrankungen quälen. Wer bei der Angabe zu Krankheiten schummelt oder versehentlich etwas vergisst, riskiert den Versicherungsschutz. Denn die Versicherer prüfen den Wahrheitsgehalt der Angaben nicht beim Abschluss des Vertrages, sondern meist dann, wenn der Kunde das Geld braucht und im Zweifel schon jahrelang Prämien eingezahlt hat - nämlich im Schadensfall. Meist fragen die Versicherer beim Abschluss nach Behandlungen, die in den vergangenen fünf Jahren stattgefunden haben, einige haben die Frist auf drei Jahre verkürzt.

Experten raten dazu, den Vertrag so früh wie möglich abzuschließen. "Da schon kleinere Leiden oder Vorerkrankungen zu Ausschlüssen, Risikozuschlägen oder gar zur Ablehnung eines Antrags führen können, sollte die Berufsunfähigkeitsversicherung möglichst in jungen Jahren, wenn man noch ganz gesund ist, abgeschlossen werden", empfiehlt etwa die Verbraucherzentrale Hamburg.

Während die Prämien für handwerkliche und industrielle Berufe hoch sind, haben Büroangestellte und Akademiker inzwischen gute Chancen, ihre Arbeitskraft günstiger als früher abzusichern. Denn die Versicherer arbeiten seit einiger Zeit mit immer feiner untergliederten Berufsgruppen. "Einige Anbieter unterscheiden nicht mehr nur nach dem Beruf, sondern fragen nach dem genauen Inhalt der Tätigkeit", berichtet der Aachener Versicherungsmakler Marc Jacobs. "Für viele Berufstätige wird die Police dadurch preiswerter, etwa wenn ein gelernter Kfz-Mechaniker nur wenige Stunden der Woche am Auto schraubt und ansonsten Büroarbeit verrichtet."

Der Makler rät, nicht nur auf den Preis zu schauen, sondern auch auf den Versicherer. "Kunden sollten prüfen, wie lange ein Anbieter schon im BU-Geschäft aktiv ist", sagt er. Das lasse sich im Internet herausfinden. In der jüngsten Zeit seien Gesellschaften in das Geschäft mit den Policen eingestiegen, die noch wenig Erfahrung und zu wenige Versicherte hätten, um auskömmlich zu wirtschaften. "Bekommen diese Unternehmen dann die ersten für sie teuren Schadensfälle, können sie in Zahlungsschwierigkeiten kommen, weil das große Versichertenkollektiv im Bestand fehlt", sagt er.

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SZ vom 24.01.2020
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