Versicherungen:Dann eben kuscheln

Junge Versicherungsfirmen - alte Traditionskonzerne: Das war bisher eher ein schwieriges Verhältnis. Nun aber merken beide, dass sie einander brauchen.

Von Herbert Fromme und Anna Gentrup, München/Köln

Eine alte Fabrikhalle, jetzt als Loft zurechtgemacht, im "Werk 1" nicht weit vom Münchener Ostbahnhof. Wummernde Musik, ein abgedunkelter Raum, Scheinwerferlicht auf die Bühne. Dort bemühen sich junge Menschen, das Publikum von sich zu überzeugen, meistens zu zweit, immer mit höchstens zehn Minuten Zeit. Das ist keine schlechte Kopie von "Deutschland sucht den Superstar", sondern ein ganz besonderes Casting, bei dem es um Millionen geht.

Auf der Bühne stehen die Macher aus fünf jungen Unternehmen, die Apps und Programme für Versicherungsgesellschaften bauen. Im Publikum hockt die erste Garde der großen in München ansässigen Versicherer. "Zwei von den fünf Projekten sind mit Sicherheit höchst interessant", sagt Giovanni Liverani, der Deutschlandchef der Generali. "Sehr spannende Sachen", meint Torsten Jeworrek von der Munich Re.

Das Zusammentreffen ist nicht zufällig. Denn die Versicherer zahlen für ein Projekt des von der Landesregierung geförderten "Werk 1". Bargeld gibt es nicht für die Start-ups, aber jeweils 80 000 Euro in Form von Infrastruktur, Mentoring und Dienstleistungen. "Wir haben von 44 Bewerbern fünf ausgewählt", sagt Projektmanagerin Anastasia Stoycheva vom "Werk 1". "Sie sind von Ende Juni bis Ende Dezember hier bei uns."

Lex Tan ist einer der jungen Unternehmer. Er hat Motions Cloud mitgegründet. Das Programm kann mit Hilfe künstlicher Intelligenz und einer großen Datenbank automatisch Schadensummen kalkulieren - allein auf der Basis eines Fotos. "Wir können Schäden acht Mal schneller regeln als heute und bis zu 30 Prozent der Schadensumme einsparen", sagt Tan selbstbewusst.

Munich-Re-Manager Jeworrek lobt das System. "Wenn man so ein maschinenbasiertes Schadenregulierungssystem nur für einen Teil der Schäden hinkriegt, wäre das schon eine tolle Sache für die Endkunden." Der Kunde schickt ein Foto eines beschädigten Geräts oder eines Wasserschadens, der Rechner sagt 700 Euro. "Daran arbeiten viele, aber das ist in Marktreife noch nicht vorhanden."

Vor zwei Jahren lachten Versicherungsvorstände über die Start-ups, die plötzlich antraten, um ihr Geschäftsmodell durcheinanderzubringen. Insurtechs nennen sie sich, ähnlich wie die Fintechs, die hoch technisierten Finanzunternehmen.

Mit der herablassenden Haltung der etablierten Versicherer ist es vorbei. Alle bemühen sich um Partnerschaften, die großen Versicherer versuchen, junge Unternehmen mit eigenen "Programmier-Garagen" zu kopieren, wo im Eiltempo neue Versicherungsangebote, Apps und Programme gebaut werden.

Das bisherige Geschäftsmodell mit riesigen Vertretertruppen, viel Papier und langen Wartezeiten zwischen Antrag und Antwort ist am Ende.

Auch viele Start-ups haben ihre Strategie geändert. Anbieter wie Knip, Clark und Getsafe sind eigentlich keine Freunde der leisen Töne. Sie erregten die Aufmerksamkeit der Investoren, weil sie deutlich und offen traditionelle Geschäftsmodelle angriffen. Längst haben die Investoren erkannt, welches Potenzial in den Ideenschmieden steckt und rüsten sie mit Millionen aus. Allein das digitale Maklerunternehmen Financefox sammelte im September 28 Millionen Dollar bei Investoren ein.

Es bleibt aber gefährlich: Bald will der erste voll digitale Krankenversicherer starten

Innovative Insurtechs könnten in der Versicherungswirtschaft die Macht am Markt neu unter sich aufteilen - zulasten der etablierten Versicherer. Davon geht die Managementberatung Oliver Wyman aus. Das Phänomen Insurtech zu verharmlosen, sei gefährlich. Großes Potenzial sehen die Berater bei Vergleichsportalen wie Check24 und Verivox, bei Onlinemaklern für Gewerbekunden und bei Finanzportalen wie Moneymeets oder Feelix.

Viele junge Unternehmen agieren als Online-Makler. Sie nutzen ihre ausgefuchste Technik, um Kunden die Arbeit mit der Verwaltung ihrer Verträge abzunehmen und neue und bessere Angebote zu finden. Einige Insurtechs suchen inzwischen die Nähe der Versicherer und gehen auf Kuschelkurs. Simplesurance, Anbieter des Online-Produktversicherers Schutzklick, hat sich mit dem weltweit größten Rückversicherer Munich Re zusammengetan. Gemeinsam wollen sie Versicherungen für Privatkunden entwickeln, die sich zusammen mit anderen Produkten wie Uhren oder Sportgeräten online verkaufen lassen. Die Allianz hat sich an Simplesurance beteiligt.

Doch so kuschelig wird es nicht bleiben. Die Insurtechs behalten ihr Angriffspotenzial. In diesen Wochen beantragt das Münchener Unternehmen Ottonova die Zulassung als privater Krankenversicherer bei der Finanzaufsicht Bafin. Ottonova will 2017 als erster voll digitaler Krankenversicherer auf den Markt kommen.

Auch andere Firmen bereiten den Marktantritt mit eigenen Angeboten vor, einige mit Rückversicherern im Hintergrund. Vorbild ist der digitale Lebensversicherer Community Life, der alle Tätigkeiten eines Versicherers ausübt, von der Risikoprüfung bis zur Schadenzahlung. Die Risiken trägt allerdings nicht das Unternehmen, sondern der Rückversicherer Swiss Re über die Luxemburger Tochter Iptiq.

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