Versicherung:Wer sich bewegt, zahlt weniger

Yoga Expo in München, 2013

Wenn der Versicherer künftig erfasst, wie oft Kunden den Yoga-Kurs besuchen, stellt sich auch die Frage, was mit den Informationen passiert.

(Foto: Florian Peljak)

Der zweitgrößte Privatversicherer führt ein umstrittenes Programm ein: Wer viel läuft, ins Fitnessstudio geht und gesunde Lebensmittel kauft, wird vom Konzern belohnt. Kritiker warnen vor einer "Gesundheitsdiktatur".

Von Herbert Fromme

Die Standardfrage an der Supermarktkasse wird demnächst noch etwas nerviger für Kassierer und Kunden. "Haben Sie eine Payback-Karte?" heißt es heute. "Haben Sie eine Payback- oder eine Vitality-Karte?", könnte der Satz ab Juli lauten. Denn ab dann bietet der Versicherungskonzern Generali das umstrittene Programm Vitality an, mit dem er das Gesundheitsbewusstsein bei seinen Kunden erhöhen will.

Wer viele als gesund geltende Lebensmittel einkauft, per Fitness-Armband körperliche Aktivität nachweist oder regelmäßig ins Fitness-Studio geht, wird von Generali belohnt. Das reicht von Rabatten für den Besuch des Studios über günstigere Reisen bis hin zu einem Nachlass auf die Versicherungsprämie.

Was Generali für gesundheitsbewusstes Verhalten hält, wird mit einem Punktesystem belohnt. Je nach Punktestand erhält der Kunde dann einen Status, von Bronze bis Gold. Je höher der Status, desto größer die finanziellen Vorteile. Die Daten liefern Supermärkte, die aus dem Einkauf die als gesund geltenden Produkte herausfiltern, Sportstudios und Anbieter von Fitness-Apps. Kein Sachbearbeiter bekomme zu sehen, was ein Kunde eingekauft habe oder wo er trainiere, sagt Deutschlandchef Giovanni Liverani. "Die sehen nur den Score, also den Punktestand".

Die Konzerne geben riesige Summen für die Analyse der Daten aus

Zunächst will er das System Kunden anbieten, die eine Risiko-Lebensversicherung oder eine Berufsunfähigkeitsversicherung bei dem Unternehmen abschließen. Dabei bleibt es nicht. "Wir wollen das auch in der privaten Krankenversicherung einführen", sagt Liverani. Dafür steht noch kein Datum fest. Die Generali arbeitet in Deutschland mit den Marken Aachen Münchener, Cosmos, Generali und in der privaten Krankenversicherung als Central. Der Konzern ist der zweitgrößte Privatkundenversicherer in Deutschland, er gehört dem italienischen Marktführer in Triest.

Mit Fitness-Studios und Supermärkten hat der Versicherer bereits Verträge unterschrieben. Einzelheiten will Liverani Ende Juni nennen. Er kooperiert mit dem südafrikanischen Versicherer Discovery, der Vitality entwickelt hat und im Heimatland sowie in Großbritannien mit Erfolg betreibt. In beiden Ländern bietet Discovery Preisnachlässe für die Kunden der Kranken- und der Lebensversicherung.

Als Generali im November 2014 bekannt gab, das System auf den deutschen Markt zu übertragen, führte das zu einem Sturm der Entrüstung bei Verbraucherschützern und Politikern. Die Schriftstellerin Juli Zeh sprach von den Anfängen einer "Gesundheitsdiktatur".

Generali-Chef Liverani wehrt sich gegen die Kritik. Man werde nur Daten von Kunden verwenden, die damit ausdrücklich einverstanden seien. Und niemand werde bestraft. "Der Preis kann nicht höher sein als beim Einstieg." Dabei werden nicht die Fitten von den Unfitten aussortiert, sagt Liverani. Auch behinderte und kranke Menschen könnten profitieren, wenn sie sich entsprechend verhalten.

Ebenfalls im Juli will der Konzern auch einen neuen Tarif in der Autoversicherung einführen, der auf der Messung des Fahrverhaltens beruht. Vor allem für jüngere Menschen von 18 bis 25 sei das eine gute Möglichkeit, günstigen Versicherungsschutz zu erhalten, sagte Liverani. In Italien nutzen eine Million Generali-Kunden ein ähnliches Angebot. HUK-Coburg und Allianz, die beiden Marktführer in der deutschen Autoversicherung, und weitere Anbieter bereiten ähnliche Tarife vor.

Liverani spürt den Widerstand: "In Deutschland gibt es zwei Reaktionen auf unsere Pläne - es wird mit dem Datenschutz argumentiert und mit der Entsolidarisierung", sagt er. "Zum Datenschutz muss man sagen, dass unsere Kunden uns ihr Geld für 30 Jahre und mehr anvertrauen, da haben viele kein Problem, uns auch ihre Daten zu geben."

Das Solidarprinzip sei sehr wichtig für die Versicherer. Es gebe aber auch so etwas wie "vergiftete Solidarität", wenn sich jemand nicht an die Regeln halte und deshalb ein viel höheres Risiko darstelle. "Nehmen Sie Diabetiker", sagte Liverani. "Viele leben damit sehr verantwortungsbewusst, andere nicht." Es gehe darum, die Auswirkungen dieser "toxischen Seite der Solidarität zu" reduzieren.

Allerdings gibt es selbst in den Reihen der Versicherer große Skepsis. "Studien zeigen, dass gerade einmal zwei bis 2,5 Prozent der Gesundheitsausgaben auf mangelnde Bewegung zurückzuführen sind", sagt Birgit König, die Chefin der Allianz Private Krankenversicherung. Tarifkalkulationen in der privaten Krankenversicherung auf Grund von Fitness-Daten seien deshalb kaum möglich.

Darum geht es der Generali auch nicht - jedenfalls nicht im ersten Schritt. Hauptziel der ersten Welle der digitalen Angebote: Der Versicherer will mit seinen Kunden viel öfter in Kontakt treten. "Das muss alle zwei Wochen sein", fordert Liverani. Er will weg aus der Rolle des Prämieneinsammlers und Schadenzahlers, mit dem der Kunde selten zu tun hat. Stattdessen möchte Liverani den Versicherer zum Lebenspartner seiner Kunden machen. Das kann die Mail von Vitality mit dem Fitness- und Punktestand sein, oder die Nachricht vom Autoversicherer über Fahrverhalten und Rabatt.

Mittelfristig werden die so gesammelten Daten aber doch wertvoll. Sie können den Versicherern Anhaltspunkte für ganz neue Risikozusammenhänge geben, die sie bislang nicht sehen können. Nicht umsonst geben Generali, Axa und Allianz horrende Summen für Datenanalysezentren aus, die mit "Big Data" umgehen können. Im heftigen Konkurrenzkampf der Versicherer untereinander gewinnt der, der schnell und gut die Daten nutzen kann. Deshalb prescht die Generali jetzt vor.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: