Süddeutsche Zeitung

Versicherung:Servicechaos bei der Allianz

Wegen einer IT-Umstellung warten Kunden seit Monaten auf ihr Geld, Auskünfte gibt es keine. Offenbar war der Konzern schlecht vorbereitet.

Von Herbert Fromme

Seit mehr als 25 Jahren ist Claudia S. bei der Allianz privat krankenversichert. "Beim Service hat es hin und wieder gehakt", sagt die Endfünfzigerin aus Berlin. "Aber was ich aktuell erlebt habe, kann ich nicht mehr nachvollziehen." Sie spürt gerade die Folgen der IT-Umstellung des Konzerns.

Die leitende Angestellte - die ihren echten Namen nicht in der Zeitung lesen möchte - hat seit Jahren Rückenprobleme. Der Arzt verordnet eine neue Therapie mit einem Vibrationsgerät, der Powerplate.

Claudia S. will wissen, ob ihr Versicherer diese Behandlung bezahlt. Sie braucht drei Anläufe bei der Servicehotline, die jeweils mit Wartezeiten von 30 bis 40 Minuten verbunden sind. Erst beim dritten Anruf hat sie Erfolg und wird mit der Leistungsabteilung verbunden. Aber dort kann man ihr auch nicht helfen und verweist sie auf die Website der Allianz. Claudia S. klickt sich durch und findet eine Seite mit der Abfragemöglichkeit zu den Leistungen. Dabei muss sie eine Sparte eingeben. Hat sie Fragen zu Leistungen bei Kfz, Wohngebäude oder Haftpflicht? Zur Krankenversicherung gibt es keine Fragemöglichkeit, nur zur Tierkrankenversicherung. Claudia S. stellt ihre Frage deshalb per Mail und hat nach mehr als vier Wochen noch immer keine Antwort.

Claudia S. weiß von ihrem eigenen Arbeitgeber, dass IT-Umstellungen Probleme machen können. Der Allianz wirft sie vor allem eine mangelhafte Informationspolitik vor - und dass sie offenbar das Personal in den Callcentern nicht ausreichend aufgestockt hat, obwohl sie mit mehr Anfragen rechnen musste.

Die Allianz will unter Konzernchef Oliver Bäte näher an die Kunden, will schneller reagieren und digitaler werden. IT-Umstellungen sind nicht einfach. Aber das müsste auch die Führung der Allianz Private Krankenversicherung (APKV) in München wissen und sich besser vorbereiten.

Die Hotline-Mitarbeiterin ist überfordert - und verweist auf die Website

Er warte jetzt fünf Wochen auf eine Erstattung von mehr als 1000 Euro, moniert etwa der Allianz-Kunde Roland N., der in einem Vorort von München wohnt. "Ich finde es erstaunlich, dass ein Konzern, der bekanntermaßen im Geld schwimmt, zumindest Teilen seiner Kundschaft ihre Ansprüche vorenthält, ohne sie anständigerweise per Zwischenmeldung oder Erklärung über ein wohl massives technisches Problem zu informieren", schreibt Roland N. per Mail. Verärgert sind auch andere: Im öffentlichen Beschwerdeforum der Allianz kritisiert Nutzer Ray R. Mitte November, dass er seit dem 25. September 2017 sein Krankengeld nicht mehr erhalten habe. "Mittlerweile beläuft sich der an mich zu erstattende Betrag auf über 6000 Euro." Regelmäßig werde er vertröstet. "Werden die Mitglieder verschaukelt, oder ist das Unternehmen pleite?"

Seit Mitte des Jahres stellt die APKV ihr System um. Aktuell seien "fast alle Verträge" umgestellt, sagt ein Sprecher. "Die Kollegen müssen damit fertigwerden, dass in der Umstellungsphase viel aufgelaufen ist und jetzt natürlich dauernd neue Abrechnungen und Anfragen hinzukommen."

Das könne dazu führen, dass einige Vorgänge nicht sofort bearbeitet werden können, bestätigt er. "Gerade in der Leistungsabrechnung kann es dadurch zu Verzögerungen kommen, ebenso bei der telefonischen Erreichbarkeit." Doch bei mehr als der Hälfte der Fälle sei die Bearbeitung auch jetzt innerhalb einer Woche erledigt.

Offenbar hat das Team um APKV-Chefin Birgit König die Schwierigkeiten der Umstellung unterschätzt. Inzwischen habe der Konzern die Kapazitäten in den eigenen Telefonabteilungen erhöht und externe Callcenter dazugeschaltet, um zumindest die Wartezeiten zu verringern, sagt der Sprecher.

Die Wut der Kunden, die sich im Forum beschweren, bleibt groß. "Am 24. November 2017 habe ich nun zum dritten Mal identische Rechnungsbelege (da in Ihrem System verschwunden) zur Leistung eingereicht", schreibt Ute S. am Montag dieser Woche. "Bezahlt wurde bis jetzt von einer Rechnung, eingereicht am 02. Oktober 2017, die Position der Seite zwei. Ein Witz!

!" Die Fehler in der Systemumstellung könnten doch nicht zu Lasten der Versicherten gehen, schreibt sie. "Von mir bekommen Sie doch die Beiträge auch pünktlich überwiesen. Muss ich die erst zurückhalten, um von Ihnen eine Zahlung zu bekommen?" Allianz-Mitarbeiterin Ines versucht zu beruhigen. Sie will helfen und erbittet von Ute S. die Versicherungsnummer und die Kontaktdaten. "Sobald mir Ihre Mail vorliegt, werde ich mich um Ihr Anliegen persönlich kümmern."

Kunde Roland N. ist damit nicht einverstanden. "Im ,Forum' der Allianz ist zu erkennen, dass man Leuten, die dort vorstellig werden, eine Art persönliche Vorzugsbehandlung in Aussicht stellt, wenn sie sich mit ihren Kontaktdaten an entsprechende Sachbearbeiter wenden würden", sagt er. "Das hinterlässt den Eindruck, dass andere dadurch in den Wartelistenweiter nach hinten rutschen."

Bei der APKV geht es um handwerkliche Fehler. Und möglicherweise wird ja tatsächlich alles besser und schneller, wenn das neue System eingespielt ist. Von ganz anderer Natur dagegen sind Berichte von Vertretern der Allianz über angebliche Anweisungen des Konzerns.

Wurde die Ansage des Chefs tatsächlich missverstanden?

Der Konzern hat seit einigen Monaten einen neuen, oft günstigeren KfzTarif im Angebot. Der Vorwurf: Vertreter, die Kunden den Wechsel empfehlen, bekommen Druck. Zwar wirbt das Unternehmen mit einem Millionenaufwand im Fernsehen für das neue Angebot, aber das soll vor allem auf mögliche Neukunden zielen. Die bestehenden Kunden sollen bitteschön im alten, teuren Tarif bleiben, berichten Teilnehmer des jüngsten Treffens von 500 Vertretern im bayerischen Bad Gögging. Wer viele "negative Tarifumstellungen" aufweise, müsse mit Kündigung rechnen, habe der Vertriebschef Süd, Jürgen Heinle, gedroht. Der Spiegel hatte am 11. November über ein internes Forum berichtet, bei dem Vertreter ähnliche Klagen geäußert haben sollen.

Die Allianz weist diese Vorwürfe zurück. Man lege Wert auf bedarfsgerechte Beratung der Kunden. "Wir haben jedoch in der Vergangenheit vermehrt Tarifumstellungen beobachtet, die ohne Beratung des Kunden stattgefunden haben", sagte eine Sprecherin. "Wir haben unsere Vertreter deshalb in unseren Veranstaltungen darauf hingewiesen, dass Abschlüsse oder Umstellungen ohne Beratung nicht unserer Strategie und dem Kundeninteresse entsprechen." Da müssen einige Vertreter die Ansprache des Chefs wohl gründlich missverstanden haben.

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Quelle:
SZ vom 29.11.2017
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