Süddeutsche Zeitung

Aufsichtsbehörde BaFin:"Wenn wir bei den Zinsen japanische Verhältnisse haben, ist das für die Versicherer eine Belastung"

Die Zinsen sind derzeit historisch niedrig. Das ist nicht nur für Sparer ungünstig, sondern auch für Versicherungen. Im Gespräch mit der "SZ" spricht Branchenaufseher Hufeld über Flutschäden, die Folgen der Krise für die Lebens- und Krankenversicherer und das neue EU-Aufsichtssystem Solvency II.

Interview: Herbert Fromme und Patrick Hagen

Seit Januar 2013 ist Felix Hufeld, 51, Exekutivdirektor für Versicherungsaufsicht bei der Bundesanstalt für Finanzaufsicht (BaFin). Jahrelang stand der Jurist an der Spitze der deutschen Tochter des internationalen Maklers Marsh, davor war er Leiter der Konzernentwicklung bei der Dresdner Bank.

Süddeutsche Zeitung: Die Kosten der derzeitigen Flutschäden sind kaum abzusehen. Was halten Sie von der Idee einer Pflichtversicherung gegen Elementarschäden?

Felix Hufeld: Das ist eine Frage an die Politik, die auch dort beantwortet werden muss. Klar ist aber, dass auch eine solche Pflichtversicherung als Privatversicherung nach kostendeckenden Prinzipien kalkuliert werden muss. Oder um es kurz zu sagen: Eine Pflichtversicherung könnte in der Deckung durchaus helfen, sie wird aber ihren Preis haben.

Wie geht es generell den deutschen Versicherern, die Sie beaufsichtigen?

Es sind potenziell schwierige Zeiten. Wenn wir bei den niedrigen Zinsen auf lange Sicht japanische Verhältnisse haben, was man nicht ausschließen kann, ist das für die Versicherer eine Belastung. Darauf muss man sich einstellen.

Ist das Geld der Kunden sicher?

Das Geld ist sicher. Es gibt kurz- und mittelfristig keinen Anlass zur Sorge. Das gilt aber nur dann, wenn die Versicherungsbranche und wir weiter umsichtig agieren.

Kurz- und mittelfristig: Wie lange ist das? Nennen Sie eine Jahreszahl.

Unsere Szenario-Rechnungen, die wir anstellen, beinhalten viele Variablen mit vielen Varianten und unterschiedlichen Wirkungen. Es wäre nicht seriös, jetzt eine konkrete Jahreszahl zu nennen.

Die Mindestzuführungsverordnung regelt, wieviel die Kunden und wieviel die Aktionäre eines Lebensversicherers von den Gewinnen erhalten. Bei den Kapitalerträgen sind das 90 Prozent für die Kunden und zehn Prozent für die Aktionäre. Wir hören, dass einzelne Versicherer bei Ihnen die Aussetzung dieser Vorschrift beantragt haben.

Das kommt vor, ist aber nicht so außergewöhnlich, wie es klingen mag. Es ist auch nicht zum ersten Mal in der jetzigen Niedrigzinsphase passiert. Für sich allein betrachtet ist das noch kein Alarmsignal.

Wird die Krise eine Marktbereinigung bringen? Oder sorgen Sie dafür, dass alle Versicherer für immer überleben?

Es ist nicht unsere Aufgabe, eine konkrete Marktstruktur festzuschreiben. Es muss möglich sein, dass Unternehmen aus dem Markt ausscheiden. Wir müssen dafür sorgen, dass das System insgesamt stabil bleibt. Wenn jemand ausscheidet, soll bei den Versicherten möglichst wenig oder idealerweise gar kein Schaden angerichtet werden. Umgekehrt haben wir auch nicht den Auftrag, eine Marktbereinigung durchzuführen.

In jüngster Zeit wurden viele Skandale über Versicherungsvertriebe aufgedeckt, von der Sexreise nach Budapest bis zur Pleite des Herrn Göker, der Krankenversicherungen verkaufte und sich davon eine Ferrari-Flotte leistete. Haben Sie da geschlafen?

Vertriebsorganisationen unterliegen nicht der Aufsicht der Bafin.

Aber die Versicherer, die solche Vertriebe beauftragen.

Mit diesem Mandat arbeiten wir auch. Hier ändert sich das rechtliche Umfeld auf EU-Ebene. Da gibt es die Beschwerderichtlinie der EU, die gerade eingeführt wird, und die neue Vermittlerrichtlinie. Es kann nicht angehen, dass wir keinen Einblick bei einem Vertrieb nehmen können, weil er rechtlich unabhängig ist, aber weitestgehend den Vertrieb eines Versicherungsunternehmens darstellt. Das wird durch die Beschwerderichtlinie jetzt geändert, das finde ich richtig.

Es werden Vorwürfe laut, die Versicherungswirtschaft zahle im Schadenfall schleppend und schikaniere Geschädigte. Die Justizministerin erhebt dazu Daten. Was tun Sie?

Wir gehen dem Thema nach. Ein Indikator ist die Zahl der Beschwerden, die bei uns einlaufen. Das sind mehr als 10.000 pro Jahr. Auf den ersten Blick können wir keine signifikanten Sprünge erkennen. Aber wir haben ein sehr waches Auge darauf.

Spüren auch private Krankenversicherer die Niedrigzinsen?

Natürlich, das kann auch nicht anders sein. Die private Krankenversicherung (PKV) ähnelt der Lebensversicherung, mit einem wichtigen Unterschied: Die PKV kann auch im laufenden Bestand die Preise anpassen, während in der Lebensversicherung das einmal gegebene Garantieversprechen dauerhaft gilt. Wir haben ein bewährtes Verfahren, um die Nachhaltigkeit der PKV-Unternehmen zu untersuchen, also ihre Fähigkeit, den einkalkulierten Zins auch nachhaltig zu verdienen.

Und 18 Unternehmen haben in diesem Jahr das Ziel nicht erreicht.

Ja, aber das ist ja nur die eine Seite. Die andere ist, wie hoch die Diskrepanz ist. Dazu sage ich, dass sie nicht dramatisch ist. Aber klar ist, dass die Branche Jahr für Jahr eine steigende Belastung spürt. Damit müssen die Unternehmen fertig werden. Allerdings muss dies nicht zwangsläufig und sofort zu Beitragserhöhungen führen.

Heißt das, dass sich PKV-Kunden mittelfristig auf steigende Beiträge einstellen müssen?

Wenn das Marktumfeld dauerhaft so bleibt, ist das unausweichlich. Haupttreiber dieses Effekts ist und bleibt aber der medizinische Fortschritt und die dadurch erfreulicherweise erweiterten ärztlichen Leistungen.

Seit Jahren ringt Europa um neue, einheitliche Regeln für die Versicherungsaufsicht und die Kapitalausstattung der Versicherer. Mehrfach gab es Verschiebungen von Solvency II. Kommt das Regelwerk noch?

Es kommt. In dieser Woche wird die europäische Versicherungsaufsicht EIOPA in Frankfurt einen Bericht über eine Auswirkungsstudie von Solvency II auf Verträge mit lang laufenden Zinsgarantien veröffentlichen. Das ist der letzte Baustein, der an die Kommission, das EU-Parlament und den Ministerrat geht. Damit wird der berühmte Trilog zwischen den drei Seiten eingeleitet. Wir haben Hoffnung, dass die Sache bis Ende 2013 in trockenen Tüchern ist.

Worum streitet sich Europa?

Das entscheidende Thema ist, wie die Zinsgarantien zu behandeln sind. Da gibt es in den verschiedenen Ländern unterschiedliche Anforderungen an die Übergangsregeln. Gerade in Deutschland haben wir einen gigantischen Bestand an Verträgen, die in Kraft sind und Zinsgarantien enthalten. Allerdings handelt es sich eben nur um Übergangsregeln. Man reduziert sie Stück für Stück, um schließlich für den gesamten Bestand die risikobasierte, marktorientierte Methodik von Solvency II anzusetzen. Uferlose Ausnahmeregeln wird es nicht geben.

Was passiert, wenn Brüssel bis Ende 2013 nicht fertig wird?

Dann wird es schwieriger. Im Jahr 2014 sind Europawahlen, da dreht sich das politische Rad nicht mit der gleichen Intensität wie sonst.

Und wenn es doch nicht klappt?

Wir setzen alles daran, dass es klappt. Dafür brauche ich jeden Funken Energie.

Und dann kommt Solvency II 2016, wie in Brüssel angekündigt?

Die derzeitige Planung geht vom 1. Januar 2016 aus. Aber ich würde das Datum nicht überhöhen. Es geht um die schrittweise Umsetzung der Volleinführung. Es wäre ein Schattenboxen, sich so auf das eine Datum zu fixieren.

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